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Autobahnen: Was bringt ein Tempolimit wirklich?

Wenige Themen erzürnen Politik und Bevölkerung so stark wie die Frage nach Tempo 120 auf der Autobahn. Wir haben die wichtigsten Fakten zu Emissionen, Feinstaub und Unfallopfern.
Schnellfahrt auf der Autobahn

Das Gaspedal durchgetreten und das Lenkrad umklammert, die Finger an der Lichthupe, der Blick als Bannstrahl auf die rechte Spur gerichtet, das ist – so scheint es – für manchen Deutschen ein Moment höchster Erfüllung. Wie sonst ließe sich der emotionale Aufschrei erklären, der immer ertönt, wenn über ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen debattiert wird? Da geht es dann um Freiheit bei Tempo 215, und nach Aussage des zuständigen Ministers wäre eine Begrenzung zum Beispiel auf 130 Kilometer pro Stunde »eine Gängelung der Bürger«. Da stimmen dann auch die ein, die meinen, mit 160 könne man entspannt reisen. »Wer bremst, hört auf zu existieren«, beschrieb die Wochenzeitung »Der Freitag« vor Kurzem die nationale Befindlichkeit.

Eine rationale Diskussion über die Frage, ob die Straßenverkehrsordnung in §3 (3) einen 3. Satz braucht, der die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen festlegt, ist unter solchen Vorzeichen schwierig. Sie krankt aber auch an einem Mangel aktueller deutscher Daten und Studien dazu, was eine Einführung bewirken könnte. Externe Hilfe ist kaum zu erwarten: Alle Nachbarländer haben seit Langem Tempolimits auf ihren Autobahnen. Sie debattieren höchstens, ob sie die Begrenzung etwas lockern oder weiter verschärfen, und machen dazu Studien.

Hier zu Lande stammen zwei wichtige Untersuchungen aus den Jahren 1999 und 2007 und beruhen auf noch älteren Daten. Interpretationen und Plausibilitätsbetrachtungen, Abschätzungen und Extrapolationen sind in der Debatte darum genauso wichtig und präsent wie Zahlen. Auf der Suche nach Antworten auf Fragen zum Tempolimit auf Autobahnen muss man deshalb eine Schneise durch den Dschungel schlagen und läuft doch stets Gefahr, dass am Ende beide Seiten ihre Position durch geschickte Auswahl der Argumente bestätigt sehen.

Nützt ein Tempolimit dem Klima?

Zu dieser Frage gibt es in Deutschland nur eine einschlägige Studie. Sie ist 1999 vom Umweltbundesamt (UBA) erstellt worden und stützt sich auf Daten von 1992. Damals fuhren die Autos im Mittel 120, und 15 Prozent der Autos hatten ein Tempo von mehr als 148 Kilometern pro Stunde. Die Studie berechnete für das Jahr 1996, dass ein Tempolimit auf Autobahnen von 120 Kilometern pro Stunde etwa neun Prozent der Emissionen oder 2,2 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr einsparen würde. Im Jahr 2005 könnten es sogar drei Millionen Tonnen sein, so eine Schätzung, vor allem weil im Osten Deutschlands dann auf sanierten oder neuen Autobahnen weniger Geschwindigkeitsbegrenzungen gelten würden als bei Abschluss der Studie. Praktisch die gleichen Reduktionen schrieb die Behörde in einer Studie von 2010 für 2020 und 2030 fort – ohne neue Zahlen erhoben zu haben.

Freie Fahrt? | Nur auf einem Teil der deutschen Autobahnen gilt ein Tempolimit, auf einem anderen Teil behindern Staus die Fahrt. Letztere könnten seltener werden, wenn Ersteres auf alle Abschnitte ausgedehnt würde.

Drei Millionen Tonnen CO2 mögliche Einsparung, wenn die Zahl noch stimmen sollte, wären heute immerhin 2,6 Prozent des gesamten gegenwärtigen Ausstoßes im Straßenverkehr. Er lag 2017 laut Statistischem Bundesamt bei 115 Millionen Tonnen und ist allein in den 2010er Jahren um sechs Prozent gewachsen, weil mehr und größere Autos weiter fahren. Ob die Schätzung zur Einsparung heute noch brauchbar ist, dazu gibt es zwei Überschlagsrechnungen. Sie stammen vom ADAC und dem Öko-Institut – viel weiter auseinander in ihren Grundeinstellungen können Autoren kaum liegen.

Beide benutzen ein Zahlenwerk des Umweltbundesamts namens HBEFA: das Handbuch der Emissionsfaktoren. Hier kann man den durchschnittlichen Ausstoß für verschiedene Geschwindigkeiten ablesen. Der ADAC macht sein Ergebnis einer möglichen CO2-Reduktion durch ein Tempolimit nicht explizit, sondern spricht als »Ergebnis einer Abschätzung« von »deutlich weniger als drei Millionen Tonnen«.

Beim Öko-Institut hingegen lassen sich die Zahlen nachvollziehen: Demnach stoßen Autos bei einem Tempo von mehr als 130 Kilometern pro Stunde um 19 Prozent mehr CO2 aus als die gleichen Fahrzeuge bei 120. Dann braucht man noch den Anteil der Strecken ohne Tempolimit (etwa 70 Prozent) und der Fahrer, die sich an eine Begrenzung halten würden (80 Prozent). Daraus errechnet das Ökoinstitut in einer Studie für den Thinktank Agora Verkehrswende in Berlin eine mögliche Reduktion der Emissionen im Straßenverkehr von 2 bis 3,5 Millionen Tonnen CO2 für ein Limit von 120. Liege die Grenze bei 130, dann sei gut die Hälfte an Einsparung möglich.

In Ermangelung einer besser begründeten Zahl bleibt es also bei der möglichen Ersparnis von etwa drei Millionen Tonnen CO2 durch ein Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde. Eigentlich, stellte 2017 der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) fest, genüge sowieso die Physik, um die Frage nach möglichen Treibhausgaseinsparungen bei reduziertem Tempo zu beantworten: »Da mit einer Verdoppelung der Geschwindigkeit eine Vervierfachung des Luftwiderstands verbunden ist, hilft die Einführung einer allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung, die Verbräuche drastisch zu senken und den Schadstoffausstoß von Fahrzeugen zu verringern.«

Wie wirkt ein Tempolimit auf die Luftqualität?

Bei Dieselmotoren ist die Menge der Stickoxide (NOx) im Abgas vor allem eine Frage der Temperatur – also auch der Leistung, die das Aggregat abgeben muss. Darum gehen die Schadstoffe bei Geschwindigkeiten über 100 Kilometer pro Stunde steil nach oben. Dem Handbuch der Emissionsfaktoren zufolge kann sich der Ausstoß zwischen dem Optimum bei etwa 80 Kilometer pro Stunde auf der Landstraße und dem Autobahntempo von 140 verdoppeln.

Das genauer zu beleuchten, war Anfang der 2010er Jahre eines der Ziele im Umweltbundesamt-Forschungsprojekt Parest. Für ein Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen kamen die Autoren durch eine Modellierung auf eine mögliche NOx-Reduktion von 5428 Tonnen. Das wäre im Bereich von gut einem Prozent der gesamten Emissionen im Verkehr, und da Stickoxide vor allem lokal zum Problem werden, ist das höchstens auf Stadtautobahnen relevant – wo es aber ohnehin Tempolimits gibt. Feinstaub der beiden Größenklassen bis 2,5 Mikrometer und bis 10 Mikrometer könnte ein Tempolimit um jeweils 27 Tonnen mindern – auch hier liegt der Effekt im Bereich von einem Prozent. Die Partikel werden mit dem Wind weiter transportiert als NOx, aber Messstationen an kritischen Innenstadtstraßen zeigen, dass die Grenzwerte zurzeit eingehalten werden.

Passieren mit einem Tempolimit auf Autobahnen weniger Unfälle?

Auf der Autobahn A24 Hamburg-Berlin wurde Ende 2002 auf der viel befahrenen Strecke zwischen den Autobahn-Dreiecken Wittstock-Dosse und Havelland Tempo 130 eingeführt. Die Auswertung der Jahre davor und danach in einer Studie aus dem Landesbetrieb Straßenwesen in Brandenburg (oben bereits erwähnt) gilt als bestes Beispiel, dass ein Tempolimit Leben retten kann. Die Zahl der Unfälle ging danach um 48 Prozent, die der Verunglückten um 57 Prozent zurück.

Unfall | Autobahnen sind gemessen an der Zahl der gefahrenen Kilometer die sichersten Straßen in Deutschland. Ein Tempolimit könnte sie aber wohl noch sicherer machen.

Allerdings muss man diese Zahlen ins Verhältnis zur allgemeinen Entwicklung in Brandenburg setzen. Die Autoren der Studie wählten dazu eine Größe namens Unfallkostenrate; sie gibt die Höhe der volkswirtschaftlichen Schäden pro 1000 Fahrzeugkilometer an. Sie lag vor Einführung des Tempolimits bei 22 Euro und sank danach auf 11 Euro – ein Rückgang von 50 Prozent. Auf vergleichbaren Autobahnstücken, etwa anderen Teilen der A24, verbesserte sich die Sicherheit allerdings ohne Eingriff ebenfalls. Die Unfallkostenrate sank in der Kontrollgruppe um 23,5 Prozent. Das schmälert den rechnerischen Effekt des Tempolimits von der Hälfte auf ein gutes Viertel.

Neben einem solchen Fall, der wie ein Experiment ausgewertet wurde, kann man das Autobahnnetz als Ganzes betrachten. Autobahnen sind einerseits die sichersten Straßen: 246 der rund 750 Milliarden gefahrenen Kilometer pro Jahr werden hier zurückgelegt, zeigt die Datensammlung »Verkehr in Zahlen des Bundesverkehrsministeriums«, also 32 Prozent. Laut Statistischem Bundesamt passierten auf Autobahnen aber nur sieben Prozent der Unfälle mit Personenschaden, und auf ihnen waren 13 Prozent der Verkehrstoten zu beklagen: 409 von insgesamt 3180.

Andererseits liegt die Unfallursache auf Autobahnen in mehr als jedem dritten Fall in der überhöhten Geschwindigkeit; insgesamt gilt das nur für jede achte Kollision. »2017 kamen schätzungsweise 80 Menschen auf Autobahnabschnitten ohne Tempolimit zu Tode, weil sie mit nicht angepasster Geschwindigkeit unterwegs waren«, sagte Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung beim Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft, vor Kurzem dem »Tagesspiegel«.

Ob das tatsächlich am fehlenden Tempolimit lag, lässt sich der Statistik nicht entnehmen. Das Statistische Bundesamt vergleicht für 2017 die Unfälle auf Autobahnabschnitten mit und ohne Tempolimit (Baustellen wurden gesondert gezählt). Auf zirka 70 Prozent der Strecken ist die Geschwindigkeit unbegrenzt, dort kamen in dem Jahr insgesamt 277 der 409 Getöteten ums Leben, das sind 68 Prozent; bei den knapp 6000 Schwerverletzten lag die Quote bei 69 Prozent. Auch bei den Unfällen, bei denen mindestens einem Beteiligten »nicht angepasste Geschwindigkeit« vorgeworfen wurde, liegt die Quote nicht auffällig anders. Der ADAC stellt auf Basis dieser Zahlen fest: »Die Streckenabschnitte ohne Tempolimit waren somit bei ›Geschwindigkeitsunfällen‹ nicht auffälliger als andere Teile des Autobahnnetzes.«

Daraus kann man schließen, dass nicht unbedingt dringender Handlungsbedarf in Sachen Unfallvermeidung herrscht – aber nicht, dass ein Tempolimit auf Autobahnen nichts für die Verkehrssicherheit bringen würde. Wo heute die Geschwindigkeit begrenzt wird, geschieht es ja oft, um Gefahren abzuwehren. Man könnte also vermuten, dass Strecken mit und ohne Limits die Autofahrer in ähnlicher Weise stressen und zu Unfällen beitragen. Womöglich lassen sich also durch ein Absenken der Geschwindigkeit auf »freien« Strecken solche fatalen Fehler am Lenkrad reduzieren.

Viele internationale Studien zeigen zudem, dass langsameres Fahren die Sicherheit verbessert und ein Beschleunigen des Verkehrs größere Gefahren bedeutet. Um solche Daten zu systematisieren, wird oft eine Studie aus Schweden mit einem griffigen Ergebnis zitiert: Ein Prozent geringeres Tempo führt zu zwei Prozent weniger Unfällen mit Verletzten, zu drei Prozent weniger Unfällen mit Schwerverletzten und zu vier Prozent weniger Unfällen mit Getöteten. Das Problem dabei: Die Untersuchung aus dem Jahr 2004 von Göran Nilsson vom Institut für Technologie in Lund, aus der die Faustformel stammt, behandelt als höchste Geschwindigkeit 112 Kilometer pro Stunde. Ob man daher die entsprechenden Effekte erzielt, wenn man frei laufende deutsche Premiumautos von 160 auf 130 bremsen will, ist nicht unbedingt gesagt. Es ist aber kaum vorstellbar, dass es keine Effekte gibt.

Fazit: Bringt ein Tempolimit was?

Eine ganze Reihe von Daten zeigt, dass eine Begrenzung der Geschwindigkeit auf Autobahnen mit großer Wahrscheinlichkeit einige erwünschte Folgen hätte: weniger Kohlendioxid, weniger Schadstoffe, weniger Verkehrstote. Doch die Effekte sind womöglich klein; sie später statistisch nachzuweisen, dürfte von Details der Annahmen und Messverfahren abhängen. Das würde den Gegnern des Tempolimits die Chance geben, die Resultate grundsätzlich anzweifeln. Es ist daher kaum anzunehmen, dass sich die Debatte so oder so befrieden ließe.

Vor diesem Hintergrund kann man den Satz der Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) verstehen, die in einem Interview gesagt hat, der Streit um ein Tempolimit auf Autobahnen sei eine »Symboldebatte aus der Vergangenheit«. In der Politik heißt Symbol in der Regel: bringt wenig und ist sehr schwierig durchzusetzen, weil auch die jeweiligen Kontrahenten den Symbolwert erkennen und entsprechend erbitterten Widerstand leisten. Der Streit wird also weitergehen.

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