Eichenprozessionsspinner: Giftige Haare machen die Raupe zur Plage
Sie treten in Gruppen auf, kriechen die Bäume hoch und ihre Brennhaare können schmerzhafte Verletzungen verursachen: Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea processionea) gibt es auch im Jahr 2020 wieder in großen Mengen – vor Gesundheitsgefahren wird vielerorts gewarnt. Werden die Insekten mehr? Wie lange leben die Raupen? Wo fühlen sie sich am wohlsten? Wir haben die wichtigsten Fakten zu diesen Tieren und ihren potenziellen Folgeschäden zusammengefasst:
Welches Insekt ist das?
Nur wenige Schmetterlinge machen so viele negative Schlagzeilen wie der Eichenprozessionsspinner. Dabei wirkt der unscheinbare graue Nachtfalter aus der Familie der Zahnspinner auf den ersten Blick nicht besonders bedrohlich. Und zumindest als adultes Tier hat er auch gar nicht viel Zeit, um sich unbeliebt zu machen. Schließlich leben die Falter nur ein paar Tage, in denen sie den Grundstein für eine neue Generation legen müssen. Wenn sie zwischen Ende Juli und Anfang September durch die Gegend flattern, verschwenden sie daher keine Zeit mit Fressen, sondern konzentrieren sich voll auf die Fortpflanzung. Zur Paarung kommt es oft schon, wenn sich die Flügel der etwas später schlüpfenden Weibchen noch gar nicht richtig entfaltet haben. Nach dem Hochzeitsflug legen die werdenden Schmetterlingsmütter zwischen 30 und 200 Eier auf dünne, besonnte Äste in einer Eichenkrone. Anschließend sterben sie.
Ihr Nachwuchs überwintert im Ei und schlüpft dann je nach Temperatur zwischen Anfang April und Anfang Mai. Etwa zwei Monate lang werden die Raupen nun Nacht für Nacht in den Kronen der Eichen unterwegs sein und sich den Magen mit Blättern vollschlagen. Dabei zeigen sie sich als ausgesprochen gesellige Tiere: In bis zu zehn Meter langen Prozessionen wandern sie abends gemeinsam zu ihren Restaurants in den Baumkronen. Mit speziellen Borsten am Kopf und am Hinterleib nehmen sie die Berührungen ihrer Artgenossen wahr und versuchen, den Kontakt nicht abreißen zu lassen.
Am häufigsten finden solche Schauspiele in lichten Eichenwäldern oder in Kiefernbeständen mit hohem Eichenanteil statt. Sehr gerne besiedeln die Tiere aber auch einzeln stehende Eichen an Alleen, in Parks oder Gärten. Den Tag verbringen sie dort in selbst gesponnenen Nestern, in denen sie sich auch häuten, um anschließend als etwas größere Raupe wieder hervorzukommen. Insgesamt sechs dieser Larvenstadien machen die Tiere im Lauf der Wochen durch. Dabei werden nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Refugien immer größer. Ab dem fünften Larvenstadium konstruieren sie bis zu fußballgroße Gespinste an Ästen und Stämmen. Darin verschwinden die fünf bis acht Zentimeter langen Larven dann im Juli, um ihre Raupenkarriere zu beenden und sich zu verpuppen. Nach einer Ruhephase von drei bis sechs Wochen sind schließlich die Falter fertig entwickelt und beginnen ihr kurzes Erwachsenenleben.
Warum sind die Raupen so gefährlich?
Ihren schlechten Ruf verdanken die Larven zum einen ihrem großen Appetit. Frisch ausgetriebene Blätter verspeisen sie normalerweise ganz, die älteren knabbern sie bis auf die Mittelrippe ab. So können sie bei stärkerem Befall ihren Wirtsbaum völlig kahl fressen, bevor sie zum nächsten weiterziehen. In besonders starken Prozessionsspinnerjahren verschmähen die Tiere auch andere Baumarten wie die Hainbuche nicht.
Wenn eine gesunde Eiche ihr Laub nur einmal an die gefräßigen Mitbewohner verliert, kann sie wieder austreiben. Wird sie aber mehrfach kahl gefressen oder rücken ihr noch weitere Schädlinge wie der Eichenwickler und der Frostspanner zu Leibe, kann das ihr Todesurteil bedeuten. Unter ungünstigen Umständen besteht sogar die Gefahr, dass ganze Eichenbestände absterben. Deshalb gilt der Eichenprozessionsspinner als Forstschädling.
In die Diskussion geraten ist die Art allerdings vor allem als kriechende Gesundheitsgefahr. Ab dem dritten Larvenstadium, das Ende April oder Anfang Mai auftaucht, wachsen auf dem Rücken der Tiere mikroskopisch kleine Strukturen, die an winzige Härchen erinnern. Ihre Zahl und Länge nimmt bei jeder Häutung zu, ältere Raupen besitzen etwa 630 000 davon. Und die haben es in sich: Die Haare sind innen hohl, brechen sehr leicht ab und setzen dann ein Nesselgift namens Thaumetopoein frei. Zu den typischen Symptomen nach einem Kontakt gehört heftiger Juckreiz, der mehrere Tage andauern kann. Neben Entzündungen von Haut, Schleimhäuten und Augen kann das Gift auch Fieber und Schwindelanfälle auslösen, in Einzelfällen ist sogar ein allergischer Schock möglich. Wer die Haare einatmet, muss mit Atembeschwerden, Bronchitis oder Asthma rechnen.
Auch für Tiere kann der Kontakt mit den Brennhaaren mehr als unangenehm werden. Schon aus dem Jahr 1833 gibt es Berichte über Augenentzündungen, Hustenanfälle und Hautbeulen bei Schafen, Kühen und Ziegen. Pferde würden durch das heftige Jucken regelrecht zur Raserei getrieben. Aus jüngerer Zeit gibt es auch Hinweise darauf, dass in befallenen Gebieten höhlenbrütende Singvögel von ihrem Gelege vertrieben werden und die Küken dann mangels Betreuung oder direkt an den Brennhaaren sterben.
Um Probleme mit den haarigen Baumbewohnern zu bekommen, müssen Menschen und Tiere nicht einmal direkt mit den Raupen in Kontakt kommen. Denn vor allem im letzten Drittel jeder Häutungsphase fallen die Haare leicht aus und liegen dann separat im Nest herum. Ihre Wirkung schmälert das allerdings nicht, sie sind noch nach Jahren gesundheitsschädlich – also lange nachdem die Raupen verschwunden sind. Vom Wind werden sie in die Umgebung getragen, wo sie eine Zeit lang in der Luft schweben und sich dann im Boden anreichern. Es kann demnach genügen, sich in der Nähe eines befallenen Baumes aufzuhalten, um sich juckende Symptome einzuhandeln.
Warum hört man immer häufiger von ihnen?
Prozessionen von haarigen Giftmischern sind in Deutschland kein neues Phänomen. »Daß solche ganzen Züge von gefräßigen Raupen an den Blättern der Bäume, wo sie hinkommen, große Verwüstungen anrichten und das Gedeihen und die Gesundheit der Bäume hindern können, ist leicht zu erachten«, heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 1811. »Doch ist das nicht das schlimmste, sondern sie können sogar dem menschlichen Körper gefährlich werden, wenn man ihnen zu nahe kommt, sie muthwillig beunruhigt oder gar aus Unvorsichtigkeit mit einem entblößten Theil des Körpers berührt und drückt. Sie dulden es nicht ungestraft, wenn sie sich rächen können.« Auch Massenentwicklungen hat es schon früher gegeben. So waren die Raupen in den Jahren 1936 bis 1938 und 1950 bis 1953 in Heerscharen im Elbe-Havel-Land unterwegs.
Trotzdem machen die Tiere seit einigen Jahren vermehrt Schlagzeilen. Und das liegt nicht nur an einem gestiegenen Interesse von Medien und Öffentlichkeit. Tatsächlich verzeichnen Wissenschaftler etwa seit 1993 ein verstärktes Auftreten der Art in Deutschland. Vor allem im Nordosten und Südwesten sowie in Teilen Nordrhein-Westfalens krochen die Tiere zeitweise massenhaft durch die Bäume. Und sie tauchten in Gebieten auf, in denen Forscher sie in den Jahren zuvor nicht nachgewiesen hatten. Aus der Geschichte gebe es keinen Hinweis auf eine derart intensive Besiedlung, heißt es in einer Analyse des Bundesamts für Naturschutz.
Woran das genau liegt, ist allerdings schwer zu sagen. Denn das Auftreten und die Massenvermehrungen der gefräßigen Insekten werden durch ein komplexes Netz von verschiedenen Faktoren gesteuert. Das Wetter spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Verfügbarkeit und Qualität der Nahrung oder das Auftreten von Konkurrenten und Feinden, Parasiten und Krankheiten. Nach Einschätzung des Umweltbundesamts sind die Massenvermehrungen der letzten Jahre Ausdruck der natürlichen Populationsdynamik dieser Art. Es ist also normal, dass die Tiere zeitweise in Scharen auftreten und später wieder seltener werden. Tatsächlich gebe es in einigen betroffenen Regionen bereits Hinweise auf einen solchen Rückgang.
Unklar ist jedoch, wie stark der Klimawandel den Insekten ihren Vormarsch erleichtert hat. Fest steht jedenfalls, dass der Eichenprozessionsspinner eine Wärme liebende Art ist, die in trockenwarmen Gebieten besonders günstige Lebensbedingungen findet. Vor allem die Raupen sind sehr empfindlich gegen Kälte und Nässe. Etliche Experten halten es daher für wahrscheinlich, dass die Art zu den Profiteuren des Klimawandels gehört.
Wie bekämpft man sie am besten?
Als einheimische Art hat der Eichenprozessionsspinner in Deutschland durchaus natürliche Gegenspieler. Die wohl effizientesten davon sind Parasiten, die seine Raupen und Puppen befallen. So entwickeln sich zum Beispiel die Larven bestimmter Raupenfliegen, Schlupfwespen und Brackwespen im Inneren seines Nachwuchses. Etliche weitere Raupen fallen zudem den Attacken von Waldameisen, Raubwanzen und Käfern wie dem großen Puppenräuber Calosoma sycophanta zum Opfer.
Vögel und Fledermäuse dagegen erbeuten vor allem die erwachsenen Falter. Zu den wenigen bekannten Arten, die auch die Raupen fressen, gehören der Wiedehopf und der Kuckuck. Letzterem kommt dabei wohl zugute, dass er seine Magenschleimhaut mitsamt den darin festsitzenden Brennhaaren auswürgen kann. Der Wiedehopf ist in Deutschland allerdings sehr selten, und der Kuckuck hat in den vergangenen Jahren starke Bestandsrückgänge verkraften müssen.
Wenn sich die Prozessionsspinner massiv vermehren, können solche Feinde diese Entwicklung nicht bremsen. Sie brauchen einfach zu lange, um auf das riesige Beuteangebot zu reagieren und ihre eigene Familiengründung anzukurbeln. Doch selbst wenn sie genügend Zeit dafür haben, kommen sie nicht immer gegen ihre haarigen Gegner an. Das zeigen die Erfahrungen des Landeskompetenzzentrums Forst Eberswalde in Brandenburg. Obwohl die befallenen Flächen dort von etwa 2004 bis 2013 stetig gewachsen sind, haben Räuber und Parasiten dagegen nur wenig ausrichten können. Umso wichtiger ist es nach Ansicht der Eberswalder Experten, die Lebensräume für die Gegner der Prozessionsspinner optimal zu gestalten.
Das allein genügt allerdings nicht. Wenn die Gesundheit von Menschen in Gefahr ist, müssen die Eichenprozessionsspinner direkt bekämpft werden. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) plädiert dafür, es in solchen Fällen erst einmal mit mechanischen Methoden zu versuchen.
Das ist eine Aufgabe für Spezialisten. Man kann die Raupen und Nester zum Beispiel von den Bäumen absaugen, muss dabei aber spezielle Gefahrstoff- oder Asbestsauger mit entsprechenden Filtern verwenden. Auch ein mechanisches Abkratzen der Nester ist möglich, wenn man die Haare vorher beispielsweise mit Sprühkleber oder Haarspray fixiert. Die beseitigten Nester müssen anschließend mindestens einen halben Meter tief vergraben oder in einer geschlossenen Anlage verbrannt werden. Bei all diesen Arbeiten empfiehlt die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt in Göttingen dicht schließende, am besten doppelte Schutzkleidung mit Handschuhen, Brille und Atemmaske.
Der Vorteil der mechanischen Bekämpfung besteht darin, dass nicht nur die Raupen selbst, sondern auch ihre Nester und Brennhaare beseitigt werden. Allerdings ist die Methode sehr aufwändig und daher nur geeignet, wenn einzelne Bäume oder kleinere Flächen befallen sind. Für größere Flächen kommen Insektizide zum Einsatz, die gegen frei fressende Schmetterlingsraupen zugelassen sind und vom Boden oder aus der Luft versprüht werden.
Diese Methode tötet zwar die Raupen, richtet aber nichts gegen die Haare aus. Deshalb sind solche Aktionen nur zwischen Mitte April und Ende Mai sinnvoll, wenn die jungen, noch haarlosen Raupen unterwegs sind. Zudem haben Insektizide den Nachteil, dass sie auch auf viele andere Arten wirken. Naturschutzorganisationen wie der NABU lehnen daher einen großflächigen Einsatz in Wäldern aus ökologischen Gründen ab. Dort genüge es, für die kritischen Wochen Warnhinweise aufzustellen und notfalls Wege vorübergehend abzusperren.
Auch das Umweltbundesamt ist vor allem bei relativ schwachem Befall gegen den Einsatz von Insektiziden in Gebieten, die von Menschen wenig genutzt werden. Wo man aber nicht darauf verzichten könne, solle man am besten ein biologisches Bekämpfungsmittel auf der Basis des Bakteriums Bacillus thuringiensis einsetzen. Solche Präparate sind Fraßgifte, die über den Darm aufgenommen werden. Sie haben den Vorteil, dass sie speziell auf Schmetterlingsraupen wirken und weniger gefährlich für andere Insekten sind. Damit die Mittel möglichst nicht in angrenzende Flächen getragen werden, soll die Bekämpfung nur an windstillen und niederschlagsfreien Tagen durchgeführt werden.
Wird sich das Problem künftig noch verschärfen?
Prognosen über die weitere Bestandsentwicklung der Prozessionsspinner sind schwierig. Denn es gibt bisher keine langjährigen Beobachtungsreihen, aus denen man detaillierte Erklärungen für das Auf und Ab der Bestände ableiten könnte. In einer Veröffentlichung des Bundesamts für Naturschutz kommt der Insektenexperte Thomas Sobczyk zu der Einschätzung, dass ein natürlicher Zusammenbruch von Beständen durchaus möglich sei. Es könne aber auch sein, dass sich die Populationen dauerhaft auf einem höheren Niveau halten werden.
Eine entscheidende Frage ist dabei, wie die Tiere auf den Klimawandel reagieren werden. Denn es ist nicht gesagt, dass der nur positive Folgen für sie hat. Das hat sich etwa in den fränkischen Hochburgen des Prozessionsspinners rund um Schweinfurt und Würzburg gezeigt. Dort hat die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft mehrere Jahre lang untersucht, wie die Bestände der Insekten auf die unterschiedlichen Witterungsverhältnisse reagieren. Entscheidend für die Populationsdynamik sind demnach die Temperaturen und Niederschläge in den sensiblen Entwicklungsphasen der Tiere.
So gingen im August 2010 nach heißen und trockenen Tagen heftige Regengüsse über Franken nieder, starke Windböen rissen viele Raupennester von den Bäumen. Die meisten Prozessionsspinner, die sich darin bereits verpuppt hatten, verfaulten anschließend am Boden. Wenn sich durch den Klimawandel Starkregen und andere Wetterextreme häufen, könnte das also eine schlechte Nachricht für die Tiere sein.
Doch auch von den steigenden Temperaturen müssen sie nicht immer profitieren. Der April 2009 war in Franken zum Beispiel ungewöhnlich warm, so dass die Larven schon vor dem Austrieb der Eichen schlüpften. Bis Mitte Mai mussten die Räupchen daher ausharren, bis sie ihre erste Mahlzeit zu sich nehmen konnten. Etliche haben diese Hungerkur offenbar nicht überlebt. Ihre Artgenossen in anderen Regionen scheinen damit allerdings weniger Probleme zu haben. Für Südwestdeutschland haben Mitarbeiter der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg jedenfalls keine wachsende Versorgungslücke durch zu spät austreibende Eichen festgestellt.
In Brandenburg scheinen Eichen und Raupen durchaus unterschiedlich schnell auf den Klimawandel zu reagieren, wie eine Analyse des Landeskompetenzzentrums Forst in Eberswalde zeigt. Mit einem Modell haben die dortigen Forscher ausgerechnet, dass sich die Schlupftermine der Eichenprozessionsspinner im Nordwesten Brandenburgs zwischen 1990 und 2016 um 13 bis 14 Tage nach vorn verschoben haben. Die Eichen wurden dagegen nur sieben oder acht Tage früher grün. Das aber sollte für die gefräßigen Raupen kein Problem sein: Schließlich können sie durchaus Hungerphasen von 18 bis 20 Tagen verkraften. Und es könnte sogar sein, dass sie mangels entfalteter Blätter einfach verstärkt an den Knospen knabbern.
Insgesamt halten es die Eberswalder Experten für wahrscheinlich, dass der Eichenprozessionsspinner in Brandenburg heute ein günstigeres Klima vorfindet als in früheren Jahrzehnten. Immerhin ist der für die Larven besonders kritische Monat April seit 1951 im Durchschnitt wärmer und trockener geworden. Und Klimaforscher erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzen wird.
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