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Schlichting!: Wie Waben in der Wüste wachsen

An der Oberfläche ausgetrockneter Seen bilden sich polygonförmige Strukturen. Sie sind das Ergebnis von Konvektionsvorgängen, die von der Sonne angetrieben werden und Salz auf organisierte Weise ausfällen.
Schmale Grate aus Salz teilen die Salzebene des Salar de Uyuni in Bolivien in regelmäßig anmutende Vielecke auf.
Schmale Wülste aus Salz teilen die Salzebene des Salar de Uyuni in Bolivien in regelmäßig anmutende Parzellen auf.

Wüsten sind als raue Schönheiten bei Touristen beliebt, gelten aber zu Unrecht als tote Landschaften. Tatsächlich sind sie ständig im Fluss, wenn auch manchmal auf subtile Art. In den weltweit vorkommenden Salzwüsten beispielsweise wachsen erstaunliche Wabenmuster am Boden. Deren Zustandekommen hat sich lange einer einheitlichen und konsistenten wissenschaftlichen Beschreibung entzogen.

Salzwüsten – ob im Death Valley in Kalifornien, im Chott el Djerid in Tunesien oder in der Salar de Uyuni in Bolivien – gehen aus austrocknenden Seen hervor, in denen mehr Wasser verdunstet, als der Regen nachliefert. Der Zufluss erfolgt meist durch Grundwasser, das aus Niederschlägen in den umgebenden Bergen gespeist wird.

»Aus Vor- und Rückwärts bildet sich der Kreislauf«Franz Grillparzer

Zu den ebenso beeindruckenden wie rätselhaften Merkmalen dieser trockengefallenen Seen gehören ästhetische polygonale Muster kristallisierten Salzes. Sie überziehen die Wüsten auf großen Flächen. Rein von der Struktur her erinnern sie zunächst vielleicht an überdimensionale Trockenrisse, die man von Pfützen oder lehmigen Flusssedimenten in der Sommerhitze kennt. In solchen Fällen richtet sich die Größe der auseinanderklaffenden Bodenabschnitte nach der Dicke der Schlammschicht. Im Gegensatz dazu weisen die Vielecke aus Salzkristallen einen einheitlichen Durchmesser von ein bis zwei Metern auf, unabhängig von der Stärke der verkrusteten Schichten. Daran scheitern auch weitere Hypothesen zur Entstehung, etwa dass an die Oberfläche gelangendes Salz zu einer horizontalen Ausdehnung führen würde und damit zu einer Art Faltenbildung.

Als ich derlei Polygone zum ersten Mal vor Jahren in Tunesien gesehen habe, erinnerten sie mich an eine Art erstarrter Rayleigh-Bénard-Konvektionszellen. Solche Formen sieht man manchmal auf Milchkaffee, erwärmtem Fett in der Pfanne oder sogar Eisschichten. Allerdings gab ich den Vergleich schnell wieder auf, weil die Gebilde aus Salz bestehen und in den meisten Fällen weit davon entfernt scheinen, flüssig zu sein.

Nun liegt genau diese Vorstellung einem Modell zu Grunde, das im Februar 2023 von einer internationalen Forschungsgruppe um Jana Lasser von der Universität Graz veröffentlicht wurde. Das Team erklärt die polygonartigen Strukturen durch eine Wechselwirkung von Salzwasser-Konvektionsbewegungen mit den kristallisierten Krusten. Die bisherigen Ansätze haben meist übersehen, dass es unterhalb des festen Wüstenbodens im Allgemeinen nicht trocken ist, sondern Kontakt zu stark salzhaltigem Grundwasser gibt. Dieses reicht oft bis knapp unter die Oberfläche. Die Hypothese wurde durch Computersimulationen untermauert: Die Resultate geben das natürliche Phänomen erstaunlich gut wieder und erlauben verifizierbare Vorhersagen.

Simulierte Dynamik | Eine Visualisierung der Vorgänge entlang und unter der Kruste eines Salzsees zeigt an der Oberfläche die aufsteigenden (blau) und absteigenden (rot) Ströme sowie darunter die Salzkonzentration (in Brauntönen; je dunkler, desto höher).

Für eine Vorstellung von der Dynamik des Vorgangs hilft zunächst ein Blick auf die normale Rayleigh-Bénard-Konvektion, auch wenn sich die Ergebnisse nicht eins zu eins übertragen lassen. Dabei hat man es mit einer Flüssigkeitsschicht zu tun, die typischerweise von unten geheizt und dadurch instabil wird. Die erwärmte und damit leichter gewordene untere Lage drückt die darüberliegende nach oben. Das kann nicht im Stück über die gesamte Fläche gelingen, sondern geschieht an vielen Stellen, indem sich ein Austausch zwischen kalten und warmen Partien einstellt. Das führt zu einem stationären Muster von charakteristischen Konvektionszellen. In deren Zentren erreicht die nach oben strömende warme Flüssigkeit die Oberfläche und breitet sich radial nach den Seiten aus, während ihre Temperatur abnimmt. Dort trifft sie auf die entsprechenden Strömungen der Nachbargebiete, und alle sinken gemeinsam – durch die Abkühlung dichter geworden – wieder nach unten. Dort erwärmen sie sich und durchlaufen eine neue Runde.

Wenn man dieses überschaubare Geschehen vor Augen hat, ist es einfacher, die Vorgänge unter- und oberhalb der Wüstenebene anschaulich zu erfassen. In dem porösen Bodenmaterial steigt Salzwasser auf, nachdem es seine Dichte durch Kontakt mit dem Grundwasser verringert hat. Das passiert jeweils in der Mitte jedes Polygons. Oben angekommen, breitet sich die Flüssigkeit radial nach allen Seiten aus. Dabei wird sie von der Sonne aufgeheizt, und ein Teil des Wassers verdunstet. Dadurch steigen dessen Salzgehalt und Dichte. Das hat einen doppelten Effekt. Einerseits wird Salz ausgefällt, das in der zunehmend konzentrierten Sole nicht mehr löslich ist. Andererseits nimmt die Dichte zu, woraufhin die übrige Lake am Übergang zu den Nachbarzellen absinkt. Entlang der Ränder der einzelnen Polygone wachsen dann Kristalle in die Höhe.

Konvektionsbewegungen | Pfeile kennzeichnen die Strömungen in einer Zelle, kräftigere Farben entsprechen höheren Salzkonzentrationen.

Im Prinzip ist diese Konvektionsdynamik rotationssymmetrisch. Es würden sich also kreisförmige Zellen ergeben. Wenn allerdings solche runden Gebilde gegeneinander wirken und eine gemeinsame Grenze bilden, kommt es im Idealfall zu Sechsecken. Das kennt man von Bienenwaben. Bei den Wüsten läuft es nicht ganz so perfekt ab. Hier stören unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten an vielen Stellen den freien Fluss. Deswegen sind zwar die Zellen mit sechs Ecken in der Überzahl, aber meistens sind die Seiten nicht gleich lang. Dennoch ist die Musterung wunderschön. Sie beeindruckt umso mehr, wenn man sich bewusst macht, dass man gerade eine Momentaufnahme eines hochkomplexen dynamischen Geschehens vor Augen hat.

Hinter zahlreichen alltäglichen Dingen versteckt sich verblüffende Physik. Seit vielen Jahren spürt H. Joachim Schlichting diesen Phänomenen nach und erklärt sie in seiner Kolumne. Schlichting ist Professor für Physik-Didaktik und arbeitete bis zur Emeritierung an der Universität Münster. Alle seine Beiträge finden sich auf dieser Seite.

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  • Quellen

Lasser, J. et al.: Salt polygons and porous media convection, Physical Review X 13, 2023

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