Freistetters Formelwelt: Das andere Jahr null
Ich habe am 28. Juli Geburtstag gefeiert. Geboren wurde ich 1977, also bin ich 41 Jahre alt geworden. Das auszurechnen ist trivial. Nicht trivial ist dagegen die nötige Rechnung, um herauszufinden, wie viele Tage ich schon auf dieser Welt bin. Ich muss dabei die unterschiedliche Dauer der Monate und alle Schaltregeln (und die Ausnahmen) berücksichtigen, um die Tage in den vergangenen 41 Jahren korrekt zu zählen. Am Ende komme ich dann auf eine (für mich etwas erschreckende) Anzahl von 14 975 Tagen.
Das eigene Alter in Tagen auszudrücken, gehört nicht unbedingt zu den vorrangigen Aufgaben der Wissenschaft. In der Astronomie muss man dagegen relativ häufig die Dauer berechnen, die zwischen zwei Ereignissen liegt.
Will man zum Beispiel die Helligkeit eines veränderlichen Sterns analysieren, könnte man sagen, dass er etwa in den letzten 2 Jahren, 4 Monaten, 7 Tagen, 5 Stunden und 6 Minuten seine Helligkeit verdoppelt hat. Aber das ist umständlich und auch nicht eindeutig. Je nach Schaltregel können Jahre und Monate unterschiedlich lang sein, und Wissenschaftler wollen natürlich Angaben machen, die nicht nur eindeutig sind, sondern auch möglichst simpel.
Für solche Fälle wird in der Astronomie daher ein spezieller »Kalender« verwendet. Dieses »Julianische Datum« lässt sich aus dem normalen Datum mit folgender Formel berechnen:
Diese Formel sieht ein wenig kompliziert aus, ist aber mathematisch nicht schwierig. Gibt man Jahr (Y), Monat (M) und Tag (D) ein, dann erhält man das Julianische Datum (JDN). Man muss nur darauf achten, bei jeder Division ausschließlich den ganzzahligen Teil zu verwenden (den Rest lässt man unter den Tisch fallen) und immer den seit 1583 bis heute gültigen gregorianischen Kalender zu verwenden.
Die Kalenderreform des Jahres 1583 war für Joseph Justus Scaliger auch der Ausgangspunkt für die Entwicklung des Julianischen Datums. Er war kein Astronom, sondern ein französischer Philosoph und Historiker – und auf der Suche nach einem System, mit dem er all die unterschiedlichen Kalendersysteme der Vergangenheit vereinheitlichen konnte, um einen Überblick über die Chronologie zu bewahren.
Aus heute nicht mehr ganz nachvollziehbaren Gründen stellte er sein System auf die Basis von drei Zyklen. Einmal den »Sonnenzyklus«, also den Zeitraum, nach dem sich ein Zusammenfallen von Kalenderdatum und Wochentag vollständig wiederholt. Vor der Umstellung zum gregorianischen Kalender waren das 28 Jahre. Der zweite Zyklus, den Scaliger betrachtete, war der 19-jährige Mondzirkel, da 19 Jahre ziemlich exakt 235 Mondmonaten entsprechen. Der dritte Kalenderzyklus von Scaliger kommt vielleicht ein wenig überraschend. Dabei handelt es sich um die »Indiktion«, und das ist ein 15-jähriger Zyklus, den der römische Kaiser Justinian für Steuerberechnungen festgelegt hat.
Das kleinste gemeinsame Vielfache dieser drei Zyklen jedenfalls beträgt 7980 Jahre, und als Scaliger zurückrechnete, stellte er fest, dass sie im Jahr 4713 v. u. Z. das letzte Mal zum gleichen Zeitpunkt starteten. Da damals so weit in der Vergangenheit keine historischen Aufzeichnungen bekannt waren, hielt er das für einen guten Kalendernullpunkt und ließ dort sein vereinheitlichtes Julianisches Datum starten.
In die Astronomie kam es allerdings erst im 19. Jahrhundert. Da schlug der Astronom John Herschel vor, ab jetzt einfach nur noch vom 1. Januar 4713 v. u. Z. tageweise vorwärtszuzählen, und zwar ohne Rücksicht auf Monate oder Jahre. Ein neuer Tag sollte außerdem immer zu Mittag beginnen, um einen Wechsel in der Nacht (wenn die Astronomen beobachten) zu vermeiden. Mein diesjähriger Geburtstag zum Beispiel begann als Tag mit dem Julianischen Datum 2 458 327 und endete mit 2 458 328. Mit entsprechenden Nachkommastellen kann man einen Zeitpunkt beliebig exakt angeben und kalendarische Rechnungen simpel durchführen.
Als Astronom finde ich diesen simplen Kalender äußerst praktisch. Ich würde aber trotzdem ungern auf die jährliche Geburtstagsfeier verzichten.
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