Springers Einwürfe: Erkenntnistheorie der Hummel
Wir haben kein Problem damit, einen Gegenstand, dessen Aussehen wir kennen, mit Hilfe des Tastsinns zu identifizieren. Blindlings stöbern wir in unserer Tasche den richtigen Schlüssel auf. Die Fähigkeit der »multimodalen Objekterkennung« ist nicht nur dem Menschen eigen. Das erkenntnisfördernde Zusammenwirken von Seh- und Tastsinn wurde auch schon bei Affen und Ratten nachgewiesen. Als Voraussetzung dafür galt bisher ein komplex ausdifferenziertes Gehirn, das mentale Bilder des gesuchten Objekts zu generieren vermag.
Doch jetzt kam ein Team um die Biologin Cwyn Solvi von der Queen Mary University of London auf die Idee, Hummeln darauf zu testen, ob auch ihr winziges Gehirn im Stande ist, Gegenstände multimodal zu repräsentieren. Die neuronalen Verschaltungen der Tiere waren in der Vergangenheit mehrfach für Überraschungen gut, etwa hinsichtlich ihrer Wahrnehmung elektrischer Felder von Blüten. Solvi brachte zwei Gruppen der Insekten nun mit Hilfe belohnenden Zuckerwassers bei, kleine Würfel von gleich großen Kügelchen zu unterscheiden. Der Clou: Die eine Gruppe musste in absoluter Dunkelheit nur mit Hilfe des Tastsinns zurechtkommen, die andere durfte die Objekte hingegen sehen, aber nicht berühren (Science 367, S. 910–912, 2020).
Tatsächlich konnten die Hummeln danach von ihrem rein haptisch beziehungsweise rein visuell erworbenen Wissen über den süßen Unterschied zwischen Kugel und Würfel auch in der jeweils anderen Sinnesmodalität profitieren. Das mit dem Tastsinn Erlernte übertrug sich auf später bloß optisch dargebotene Objekte und umgekehrt. Das heißt, den Tieren gelingt es irgendwie, von den jeweiligen Eindrücken zu abstrahieren und diese zu einem multimodalen Bild von »kugelig« versus »würfelig« zu vereinen. Die Forscher rätseln jetzt, wie ein Insekt, das nur über den Bruchteil der Neurone eines Wirbeltiers verfügt, interne Repräsentationen eines Gegenstands schaffen kann. In einem Kommentar spekulieren die Zoologen Gerhard von der Emde von der Universität Bonn und Theresa Burt de Pereira von der University of Oxford über zwei Möglichkeiten: Entweder erzeugt das Hummelhirn aus relativ wenigen Sinnesdaten wirklich gleich eine mentale Gestalt von Würfel und Kugel, wie man das bisher lediglich höheren Wirbeltieren zugetraut hat, oder der kreuzmodale Transfer zwischen Tast- und Sehsinn findet nur von Fall zu Fall auf einer niederen Ebene von Nervenverbindungen statt. Für Letzteres spricht der eher geringe Organisationsgrad der Hummelneurone. Dennoch, irgendeine Repräsentation von Objekteigenschaften muss es geben (Science 367, S. 850–851, 2020).
Ein spannender Nebenaspekt solcher Überlegungen ist, dass Hirnforscher das Gewahrwerden mentaler Bilder von Objekten üblicherweise für eine mehr oder weniger mit Bewusstsein assoziierte Leistung halten. Heißt das, man muss der Hummel einen wenn auch noch so geringen Grad von Innenleben zubilligen?
Die Antwort auf die Frage hängt sehr davon ab, was man unter Bewusstsein verstehen will. Letztlich kann ich auf das Befinden eines anderen nur über dessen Verhalten schließen, und je näher mir ein Organismus in der Evolutionsgeschichte steht, desto eher bin ich bereit, ihm ein halbwegs verwandtes Wesen zuzugestehen. Der treue Augenaufschlag eines Hundes kann seinen Halter fast menschlich anmuten.
Sich in das Leben einer Hummel einzufühlen, fällt uns hingegen schwer, denn die Bewegungen von Insekten wirken so programmiert und mechanisch, als wären sie kleine Roboter – und schon landen wir bei der Kontroverse, ob es jemals maschinelles Bewusstsein geben kann.
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