In Bestform: »Sport nach Covid ist wie mit angezogener Handbremse«
Die Symptome sind weg, und der Coronatest ist endlich wieder negativ – darf ich nun gleich wieder die Sportschuhe schnüren? Wie lange ist Pause angesagt, und was kann passieren, wenn man sich nicht daran hält? Sportkardiologe Martin Halle von der Technischen Universität München erklärt, worauf man bei Sport nach Corona achten sollte.
»Spektrum.de«: Covid ist überstanden – wann darf man wieder loslegen mit dem Sport?
Martin Halle: Das hängt von mehreren Faktoren ab. Entscheidend ist sicherlich die Frage: War ich geimpft oder nicht? Bei Geimpften sehen wir wesentlich leichtere Verläufe als bei Ungeimpften. Aber auch unabhängig von der Schwere der Symptome macht die Impfung, was den Wiedereinstieg in den Sport angeht, einen Unterschied von etwa einer Woche aus.
Warum?
Sieben bis zehn Tage nach der Infektion kann es zu einer Art zweiten Welle im Körper kommen – auch, wenn das Virus dann gar nicht mehr da ist. Bestimmte Botenstoffe werden vermehrt ausgeschüttet, es kommt zu einer Entzündungsreaktion, man spricht auch von einem Zytokinsturm. Das kann zu einem erneuten Fieberschub führen, der Husten wird vielleicht wieder stärker, weil sich die Kapillaren in der Lunge entzünden. Diese Zweitreaktion wird durch die Impfung offenbar reduziert. Wir sehen diese verlängerten Verläufe längst nicht mehr so häufig wie zu Beginn der Pandemie.
Auch bei Geimpften kann die Infektion recht schwer verlaufen. Davon hängt sicherlich auch ab, wann man wieder starten darf, oder?
Natürlich. Da stellt sich zunächst die Frage: Was heißt schwer? Wenn jemand auf der Intensivstation landet, sprechen wir sicherlich von Monaten, bis Sport wieder möglich ist. Die große Mehrheit erholt sich aber zu Hause, ohne dass eine Behandlung im Krankenhaus nötig wäre.
Von Sportler zu Sportlern
Martin Halle ist viel mit dem Fahrrad unterwegs. Zudem macht er regelmäßig Gymnastik und spielt Tischtennis. Bislang sei er von Covid verschont geblieben, erzählt der Sportkardiologe. Patienten und Patientinnen seien oft frustriert, weil es nach überstandener Infektion mit dem Sport nicht so läuft, wie sie sich das vorstellen. Dann rät er: nicht verzagen und nicht zu viel vom Körper fordern. Nach etwa sechs Wochen lege sich bei vielen der Schalter um.
Wie lange ist hier das absolute Minimum für die Sportpause?
Bei ganz milden Verläufen ist meine Empfehlung: drei Tage, nachdem der Test negativ ist und die Symptome vollständig verschwunden sind. Dann kann ich langsam, mit moderater Intensität, wieder einsteigen. Häufig sind die Symptome schon weg, der Test ist aber noch positiv. Das bedeutet: Das Virus ist noch da. Dann sollte ich noch keinen Sport treiben. Bei etwas schwereren Verläufen würde ich mindestens sieben Tage pausieren, nachdem die Symptome abgeklungen sind. Waren Lunge und vor allen Dingen das Herz mit betroffen, noch länger. Nach Herzmuskelentzündungen kann es sein, dass man mehrere Wochen oder gar Monate aussetzen muss. Das muss dann ein Arzt oder eine Ärztin nach medizinischen Untersuchungen entscheiden.
Woran merke ich, ob Herz oder Lunge beteiligt waren?
Für die Lunge ist das ganz klar: Wer hustet, hat eine Lungenbeteiligung. Die kann natürlich unterschiedlich ausgeprägt sein – von leichtem Husten bis hin zur Atemnot. Bleibt das bestehen, während die anderen Krankheitssymptome bereits abgeklungen sind, kann man mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Lunge Schaden genommen hat.
Was genau passiert dabei in der Lunge?
Die Lungenbläschen kleben zusammen. Auf einem Röntgenbild oder einer Computertomografie, kurz CT, sind weiße, flächige Veränderungen erkennbar. Das deutet auf Flüssigkeit in der Lunge und Entzündungsreaktionen hin. Hier kann kein Sauerstofftransport mehr stattfinden.
Ist das komplett reversibel?
Sind die Bläschen vernarbt, bleibt der Schaden bestehen. Ist nur Flüssigkeit eingelagert, bildet sich die Lungenstruktur komplett zurück. Im Röntgenbild lässt sich das nicht genau differenzieren, dafür braucht es ein CT.
»Viele bemerken nicht, dass der Herzmuskel entzündet ist. Das ist gefährlich«
Und wie merke ich, ob mein Herz beteiligt war?
Manche Betroffene haben Herzklopfen oder spüren ein Ziehen im Brustkorb. Viele bemerken aber auch gar nicht, dass der Herzmuskel entzündet ist. Das ist gefährlich. Man neigt dazu, zu früh wieder mit dem Sport zu beginnen und sich zu übernehmen.
Was kann dann passieren?
Es können Herzrhythmusstörungen auftreten, die schlimmstenfalls zum plötzlichen Herztod führen. Auch eine chronische Herzschwäche kann sich entwickeln. Soweit wir wissen, ist das zwar sehr selten. Aber wir müssen beobachten, wie sich das in den nächsten Jahren entwickelt und ob es Spätfolgen gibt. Im Moment würde ich sagen: Coronabedingte Herzmuskelentzündungen sind eher leicht und heilen schneller ab als Entzündungen, die durch andere Viren ausgelöst wurden.
Covid-19 versus Corona-Schutzimpfung: Die Folgen fürs Herz
Zwischen 0,1 und 2 Prozent der Sportlerinnen und Sportler entwickeln infolge von Covid-19 eine Herzmuskelentzündung (Myokarditis) oder eine Herzbeutelentzündung (Perikarditis). Auch eine Corona-Schutzimpfung, insbesondere mit mRNA-basierten Impfstoffen, kann solche Entzündungen verursachen. Das Risiko ist allerdings mindestens viermal geringer: Laut einer Studie aus England kam es bei Geimpften zu 1 bis 10 zusätzlichen Myokarditis-Fällen pro einer Million Menschen, hingegen 40 auf eine Million Fälle nach Sars-CoV-2-Infektion. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) meldet eine Rate von 1,6 Myokarditis- Verdachtsfällen (Perikarditis: 1,8) pro 100 000 Impfdosen. Meist sind junge Männer und männliche Jugendliche betroffen. Die meisten Erkrankten sprechen laut PEI gut auf Behandlung und Ruhe an.
Woran liegt das?
Nach bisherigem Kenntnisstand infiziert und zerstört Sars-CoV-2 – anders als andere Viren – die Herzmuskelfasern nicht direkt. Das Virus erreicht das Herz über kleine Gefäße, so genannte Kapillaren, und führt dort zu einer Entzündungsreaktion, ähnlich wie in der Lunge. Es kommt zu Wasseransammlungen zwischen den Muskelfasern. Diese können die elektrische Leitfähigkeit des Herzens behindern und zu Rhythmusstörungen führen, wenn man das Herz-Kreislauf-System zu sehr belastet.
Mein Eindruck: Sportliche Menschen trifft Covid-19 oft schwerer und länger. Stimmt das?
Das kann ich so nicht bestätigen. Von der Pathophysiologie sind sportlich aktive und inaktive Menschen meines Wissens gleich stark betroffen. Es gibt sogar Untersuchungen, die nahelegen, dass Personen, die regelmäßig Sport treiben und schlank sind, seltener schwer an Covid-19 erkranken. Insgesamt nehmen andere Faktoren sicherlich mehr Einfluss. Allen voran das Alter: Ab etwa 60 Jahren lässt sich das Immunsystem durch die Impfung weniger gut aktivieren, und auch das Immungedächtnis wird schlechter. Daher erkranken ältere Menschen in der Regel häufiger schwer als jüngere. Eine mögliche Erklärung für Ihre Beobachtung: Sportlich aktive Menschen haben oft ein besseres Körpergefühl und merken sofort, wenn etwas nicht stimmt. Bewege ich mich generell wenig, nehme ich vielleicht gar nicht wahr, dass ich nicht voll belastbar bin.
Wie lange dauert es in der Regel, bis man zu 100 Prozent wiederhergestellt ist?
Das ist individuell sehr verschieden. Viele Menschen, die sonst sehr viel Sport treiben, kommen in unsere Ambulanz und sagen: Nach Covid ist es wie mit angezogener Handbremse. Mein Puls ist einige Schläge höher, ich brauche für dieselbe Strecke deutlich länger als früher, die Muskeln fühlen sich schwer und müde an. Vermutlich zirkulieren immer noch Bruchstücke des Virus im Körper, die die Entzündungsreaktion aufrechterhalten oder immer wieder aufflammen lassen. Erfahrungsgemäß hält das für etwa sechs Wochen an. Dann, so berichten viele, ist es oft, als ob sich ein Schalter umlegt: Binnen ein bis zwei Tagen ist die volle Belastbarkeit wieder da.
Wenn ich wieder loslege: Gibt es klare Warnsignale, dass es für Sport nach Corona noch zu früh ist?
Wird Ihnen unter der Belastung schwindlig, spüren Sie einen leichten Druck auf dem Brustkorb oder müssen stark husten, sollten Sie zu Hausarzt oder -ärztin oder in eine sportmedizinische Ambulanz gehen.
»Laufen Sie lieber mehrmals 500 Meter, als eine Stunde am Stück zu joggen«
Sollte sich jeder, der mit dem Sport nach Corona wieder loslegen will, vorab »durchchecken« lassen?
Im Hobbysport nicht, aber ambitioniertere Sportlerinnen und Sportler sowie diejenigen, die unsicher sind und etwas am Herzen gespürt haben. Ein Elektrokardiogramm zeigt, ob Sie Rhythmusstörungen haben. Über eine Blutuntersuchung lässt sich feststellen, ob eine Entzündungsreaktion im Gange ist. Zusätzlich kann man auch noch einen Lungenfunktionstest, ein Belastungs-EKG und einen Ultraschall des Herzens machen. Sind die Befunde unauffällig, wissen Sie, dass alles in Ordnung ist.
Wie sollte ich trainieren, um möglichst keinen Rückfall zu bekommen?
Am Anfang sollten Kraft, Stabilität und Koordination im Vordergrund stehen. Trainieren Sie mit Geräten, Gewichten oder dem eigenen Körpergewicht. Alles, was die Muskeln belastet, aber den Puls nicht hochtreibt, ist okay. Mit Ausdauertraining sollten Sie erst im nächsten Schritt beginnen. Insgesamt sind mehrere kurze Belastungen besser als eine lange. Laufen Sie lieber mehrmals 500 Meter und machen dazwischen Pause, als eine Stunde am Stück zu joggen. Oder machen Sie dreimal zehn Liegestütze statt 30 auf einmal.
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