In Bestform: »Hochintensives Intervalltraining erhöht die Sauerstoffaufnahme«
Fitter und leistungsfähiger werden in kurzer Zeit – so lautet das Versprechen von hochintensivem Intervalltraining, kurz HIIT. Doch was ist dran? Was man über die Erfolge von HIIT weiß und für wen diese Trainingsform geeignet ist, erklärt der Trainingswissenschaftler Kuno Hottenrott von der Universität Halle-Wittenberg.
»Spektrum.de«: Unter hochintensivem Intervalltraining (HIIT) stelle ich mir ein anstrengendes Programm aus Liegestützen, Sit-ups und Hampelmännern vor. Liege ich da richtig?
Kuno Hottenrott: Ja und nein. Hochintensives Intervalltraining meint zunächst nur, Belastungsintervalle und Pausen abzuwechseln. Egal, ob Schwimmen, Radfahren oder Laufen – als Trainingsform lässt sich das im Prinzip auf jede Sportart anwenden, selbst auf Mannschaftssportarten. Was Sie angesprochen haben, ist eine Spezialform des HIIT, Tabata genannt. Es enthält verschiedene Übungen, die man klassischerweise 20 Sekunden lang macht, dazwischen sind jeweils 10 Sekunden Pause. Das Ganzkörpertraining wurde von dem japanischen Sportwissenschaftler Izumi Tabata entwickelt.
Neben HIIT gibt es auch HIT. Was ist der Unterschied?
HIIT steht für hochintensives Intervalltraining, HIT bedeutet hochintensives Training. Bei letzterem macht man keine Pausen, sondern erbringt konstant eine möglichst hohe Leistung. Bei beiden Trainingsformen geht es darum, möglichst lange im hochintensiven Bereich zu trainieren. Mit Pausen hält man aber insgesamt länger durch.
»Hochintensiv« kann für verschieden fitte Menschen durchaus unterschiedlich sein. Gibt es eine klare Definition?
Hochintensiv bedeutet, dass die Intensität des Trainings bei mehr als 90 Prozent der maximalen Sauerstoffaufnahme liegt, kurz V(O2)max. Bei Menschen, die nicht gut trainiert sind, ist die objektiv messbare Leistung nicht sehr hoch. 90 Prozent davon sind dann nur mäßig intensiv für eine trainierte Person. Es gibt auch klare Vorgaben für die Länge der Intervalle.
Welche?
Man unterscheidet zwischen Sprint-Intervallen, die 20 bis 30 Sekunden betragen, mittleren, die bis zu zwei Minuten dauern, und Langzeitintervallen. Die sind bis zu vier Minuten lang. Natürlich kann man auch zehn Minuten trainieren, aber das ist kein klassisches Intervalltraining mehr, sondern eher eine Dauermethode. Auch die Pausen müssen entsprechend angepasst werden. Das Verhältnis von Belastung zu Pause beträgt meistens zwei zu eins, bei den längeren Intervallen eins zu eins.
Manche behaupten, mit HIIT könne man binnen kürzester Zeit die Leistung steigern. Stimmt das?
Ja. Man erhöht damit vor allem die bereits angesprochene maximale Sauerstoffaufnahme. Studien belegen: Sie kann durch HIIT binnen weniger Wochen signifikant ansteigen.
Wie hängen Herzgröße und V(O2)max zusammen?
Die maximale Sauerstoffaufnahme V(O2)max ist definiert als Herzminutenvolumen mal arteriovenöse Sauerstoffdifferenz. Darunter versteht man den Unterschied zwischen dem Sauerstoffgehalt des Bluts in der Lungenarterie (sie bringt das sauerstoffarme Blut aus dem Körper vom Herzen zur Lunge) und dem im arteriellen Blut (vom Herzen wegführend, das bedeutet in der Regel sauerstoffreich).
Durch HIIT vergrößern sich Zahl und Fläche der Mitochondrien. Sie setzen mehr Sauerstoff um – dadurch erhöht sich die arteriovenöse Sauerstoffdifferenz. Zudem vergrößert sich das Herz und damit das Minutenvolumen. Beide Effekte bewirken eine Zunahme der V(O2)max.
Mein Blut kann also mehr Sauerstoff transportieren?
Nicht nur das. Die V(O2)max ist ein Gradmesser für die Leistungsfähigkeit. Anhand dieser Größe lassen sich Athletinnen und Athleten miteinander vergleichen sowie der eigene Leistungsfortschritt beobachten. Erhöht sich der Wert, kann Sauerstoff besser an die roten Blutkörperchen binden und zu den Muskeln transportiert werden. Zur V(O2)max tragen weitere Faktoren bei: Die Mitochondrien vergrößern und vermehren sich. Das sind die Abteilungen der Zelle, in denen Sauerstoff umgesetzt wird. Nicht ohne Grund werden sie auch als Kraftwerke der Zellen bezeichnet. Während ein moderates Ausdauertraining eher die langsam zuckenden Muskelfasern trainiert, spricht HIIT mehr die schnell zuckenden an. Sie sind wichtig für Schnellkraft, Schnelligkeit und Schnelligkeitsausdauer. Das bedeutet: Man kann nicht nur sofort lossprinten, sondern das hohe Tempo auch länger durchhalten. Was sich am stärksten verbessert und die Trainingsform so besonders macht, ist das Herzminutenvolumen.
Was bedeutet das?
Intensives Intervalltraining führt zu einem kräftigeren und größeren Herzen. Mit jedem Schlag kann es mehr Blut durch den Körper pumpen.
Und das funktioniert bei jedem Menschen?
Im Prinzip schon. Bei Personen, die bereits sehr lange HIIT machen, erhöht sich die Leistung vielleicht nicht mehr wesentlich. Das sieht man bei Spitzensportlern. Die größte Wirkung lässt sich bei Menschen erzielen, die vorher anders trainiert oder gar keinen Sport getrieben haben. Auch im Rehabilitationsbereich ist HIIT sehr effektiv, etwa bei Menschen mit einer leichten Herzschwäche. Da kann man mit HIIT oft mehr erreichen als mit einem Dauertraining. Es ist übrigens auch sehr effektiv, wenn man Körperfett abbauen möchte, wie unsere Studien nahelegen.
Von Sportler zu Sportlern
Im Sommer geht Kuno Hottenrott gerne Mountainbiken und zieht im Freibad seine Bahnen, im Winter sind Laufen, Skilanglauf und Skating seine bevorzugten Sportarten. Dabei, so sagt Hottenrott, könne er wunderbar abschalten und neue Kraft schöpfen – sowohl körperlich als auch geistig. Unterwegs kämen ihm oft die besten Ideen, erzählt der Trainingswissenschaftler, der schon mehrere Bücher verfasst hat. Ohne das tägliche Training, vermutet er, wäre er weit weniger kreativ.
Ist ein Dauertraining nicht schonender?
Das lässt sich nicht so pauschal sagen. Grundsätzlich ist eine andauernde, moderate Aktivität natürlich gesund. Aber um denselben Trainingseffekt wie mit HIIT zu erreichen, muss man mit der Dauermethode viel größere Umfänge absolvieren. Das belastet Sehnen, Bänder und Gelenke stärker. Wer dazu noch einen schlechten Laufstil oder orthopädische Fehlstellungen hat, provoziert eine Überbeanspruchung oder sogar Verletzungen.
Also sollte man nur noch HIIT machen?
Auch das empfehle ich nicht. Drei bis vier Wochen darf man intensiver trainieren, dann sollte man wieder auf moderates Training umsteigen. Oder man wechselt ab: eine HIIT-Einheit und zwei Dauereinheiten pro Woche. Die Kombination ist am effektivsten.
Ist es nicht problematisch, wenn man mit der Intensität immer »von 0 auf 100« geht?
Es stimmt, der Wechsel ist recht extrem. Bevor man HIIT macht, sollte man sich daher immer gut aufwärmen. Dann stellt HIIT aber kein nennenswertes gesundheitliches Risiko dar. Will man Bewegungen machen, die die Muskulatur stark beanspruchen, sind Dehnübungen gut. Aktive Pausen sind ebenfalls empfehlenswert. Setzen Sie sich nach einem intensiven Intervall nicht einfach hin, sondern bleiben Sie in Bewegung.
Warum?
Wenn Sie hochintensiv trainieren, arbeitet Ihr Stoffwechsel zusätzlich anaerob. Das heißt, der Muskel gewinnt Energie aus Kohlenhydraten ohne Sauerstoff. Dabei entsteht Milchsäure oder genauer gesagt Laktat, ein Zerfallsprodukt.
… und der Muskel übersäuert?
Das kann passieren und fühlt sich dann unangenehm an. Aber: Laktat ist kein End-, sondern ein Zwischenprodukt des Stoffwechsels. Ein Enzym verwandelt es zurück in Pyruvat, das der Körper als Energieträger nutzt. Die anderen Muskeln, insbesondere das Herz, sind sehr gute Laktatverwerter. Dazu müssen Sie aber weiterhin aktiv bleiben. Dann verläuft der Laktatabbau etwa dreimal so schnell.
Mal abgesehen vom Laktat: Sich in den Pausen leicht zu bewegen, ist sicher auch besser für Herz und Kreislauf.
Natürlich. Wir haben uns gerade in einem Forschungsprojekt den Blutdruck von jüngeren und älteren ausdauertrainierten Probanden angeschaut. Alle haben dasselbe HIIT-Programm absolviert: viermal 30 Sekunden Belastung, dazwischen eine aktive Pause von drei Minuten. Interessanterweise konnten wir keine relevanten Unterschiede erkennen. Ältere Personen haben häufig Bedenken, dass HIIT-Programme schlecht für ihren Blutdruck sind. Doch eigentlich ist das Gegenteil der Fall: Nach dem Training sinkt der Blutdruck etwas, Fachleute bezeichnen das als »postexercise hypotension«. Das war sowohl bei den älteren als auch bei den jüngeren Probanden der Fall.
Brauchen ältere und jüngere Menschen keine unterschiedlichen HIIT-Programme?
Nein, zumindest nicht, wenn ihre Leistungsfähigkeit vergleichbar ist. Für unsere Studie haben wir Personen ausgewählt, deren V(O2)max – unter Berücksichtigung der jeweiligen Altersgruppe – im selben Bereich lag. Ist das der Fall, kann man mit 60 das gleiche Programm absolvieren wie mit 20 oder 30 Jahren. Man erholt sich genauso schnell und kann die Übungen in der gleichen Intensität genauso oft wiederholen. Das ist tatsächlich eine neue Erkenntnis. Bisher hieß es, je älter eine Person, desto länger braucht sie zum Regenerieren. Wir sagen: Nicht das Alter, sondern der Leistungszustand bestimmt die Regeneration.
Inwiefern gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen?
Frauen können zum Beispiel etwas kürzere aktive Pausen machen als Männer, weil sie das Laktat deutlich schneller abbauen. Außerdem haben Männer meist einen höheren Anteil an schnellen Muskelfasern, wodurch sie mehr Laktat bilden als Frauen. Bei der Regeneration des Herz-Kreislauf-Systems konnten wir dagegen keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellen. Aber wir wissen, dass Frauen einen deutlich besseren Fettstoffwechsel haben. Im aeroben Bereich, das heißt, wenn der Muskel mit Hilfe von Sauerstoff Energie gewinnt, sind sie leistungsfähiger. Leider findet das bislang keinen Eingang in die Trainingspläne. Die körperlichen Besonderheiten von Frauen werden nur sehr selten berücksichtigt.
»Risikopatienten sollten vor Beginn des Trainings eine kardiologische oder sportmedizinische Untersuchung durchführen lassen«
Gibt es klare Ausschlusskriterien beziehungsweise Menschen, die kein HIIT machen dürfen?
Ja. Wer zum Beispiel eine instabile Angina pectoris hat, also eine Verengung der Herzkranzgefäße, die schon im Ruhezustand Beschwerden verursacht, sollte kein HIT oder HIIT machen. Auch eine spezielle Verdickung des Herzmuskels ist ein Ausschlusskriterium, und es gibt einige weitere Kontraindikationen. Insgesamt ist meist das Herz der limitierende Faktor, für die anderen Organe gibt es in der Regel wenig Einschränkungen. Risikopatienten sollten vor Beginn des Trainings eine kardiologische oder sportmedizinische Untersuchung durchführen lassen. Dennoch gibt es Personengruppen, die etwas mehr aufpassen müssen, wenn sie hochintensiv trainieren – etwa Diabetiker.
Weshalb?
Beim Training schüttet der Körper Adrenalin aus. Dieses Stresshormon bringt die Leber dazu, Zucker freizusetzen. Bei einem Diabetiker kann der Blutzuckerspiegel dadurch extrem ansteigen. Kann der Körper selbst nicht gegensteuern, indem er Insulin ausschüttet, muss es gespritzt werden. Gleichzeitig muss man beachten: Beim Sport nehmen die Muskeln unabhängig vom Insulin Glukose auf, der Spiegel sinkt also zeitversetzt von selbst wieder ab. Wer seinen Körper gut kennt und alles vorbereitet, kann auch mit Diabetes HIIT-Programme absolvieren.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.