Numerische Fähigkeiten: Frisch geschlüpfte Zebrafische haben ein Gefühl für Zahlen
Die Fähigkeit, numerische Informationen verarbeiten zu können, scheint ein charakteristisches Merkmal der Gehirne von Wirbeltieren zu sein. Zu diesem Schluss kommt eine vierköpfige italienische Forschungsgruppe um die beiden Biologen Tyrone Lucon-Xiccato und Elia Gatto von der Università degli Studi di Ferrara. Die Wissenschaftler hatten untersucht, ob frisch geschlüpfte Zebrafischlarven (Dania rerio) Unterschiede in der Anzahl von vertikalen schwarzen Balken erkennen können, die auf die weißen Wände eines Beckens gedruckt sind. Die Ergebnisse sind nun in der Zeitschrift »Communications Biology« erschienen.
Insgesamt 360 Larven wurden zunächst entweder in Becken aufgezogen, deren Wände mit einem Muster aus unterschiedlich dicken und unregelmäßig verteilten vertikalen schwarzen Balken bedeckt waren, oder aber in weißen Becken. Nach 96 Stunden setzten die Forscher jeweils 30 Larven in die Mitte eines separaten Tanks mit zwei weißen Wänden, auf die eine unterschiedliche Anzahl von bis zu vier schwarzen Balken aufgedruckt war. Das Team beobachtete anschließend, ob die Larven zu der größeren oder kleineren Menge schwarzer Balken hinschwammen oder in der Mitte des Tanks blieben.
Diejenigen Jungtiere, die kurz nach der Geburt vertikalen Balken ausgesetzt waren, entwickelten eine deutlich messbare Anziehungskraft für Balkenreize. Bei einer Reihe von Unterscheidungsaufgaben mit ansteigendem Schwierigkeitsgrad (1 vs. 4, 1 vs. 3, 1 vs. 2 und 2 vs. 4 Balken) wählten die Zebrafischlarven zuverlässig die höhere Anzahl. Die Forscher maßen zudem, wie lange sich die Larven in den einzelnen Tankabschnitten aufhielten. Die Jungfische verbrachten fast doppelt so viel Zeit in der Nähe größerer Mengen als in der Nähe kleinerer Mengen (knapp 57 Sekunden gegenüber 32 Sekunden).
Von den Larven, die die Wahl zwischen Wänden mit einem und vier Balken hatten, bevorzugten 66,5 Prozent die Wand mit den vier Streifen. Bei Tests, in denen zusätzlich die Dicke und die Verteilung der Balken berücksichtigt wurden, um andere Reize auszuschließen, wählten weiterhin mehr als 63 Prozent der Larven Wände mit einer größeren Anzahl an Balken. Die Forscher schließen daraus, dass Zebrafischlarven ein Gefühl für Zahlen haben und zu größeren Mengen tendieren.
Eine Herausforderung bei Studien zur numerischen Kognition besteht darin, so merken die Forscher an, experimentell festzustellen, ob ein Tier echte numerische Informationen verwendet oder ob es sich auf nichtnumerische physikalische Merkmale des Reizes verlässt. Der Nachweis numerischer Fähigkeiten erfordere eine Reihe von sorgfältigen Kontrollexperimenten, bei denen der Zugang zu nichtnumerischen Informationen verhindert werde. Das habe man mit etlichen gut etablierten Kontrollbedingungen ausreichend getan.
Frühere Forschungsarbeiten hätten numerische Fähigkeiten bereits bei neugeborenen Babys sowie bei frisch geschlüpften Guppys und Hühnern nachgewiesen – Arten, bei denen das Gehirn bei der Geburt bereits hoch entwickelt sind. Vor dieser Studie habe es jedoch nur vereinzelt Erkenntnisse gegeben über die numerischen Fähigkeiten nichtmenschlicher Arten, die mit unterentwickelten Gehirnen auf die Welt kommen. »Die Bestätigung unserer Hypothese erfordert nun sicherlich noch mehr Daten über Zebrafischlarven, die auf verschiedenen Reizen wie etwa horizontalen Balken und weiteren Objekten sowie Tests basieren, die andere numerische Verhaltensweisen ausnutzen«, schreibt die Forschungsgruppe in ihrem Fazit.
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