Great Barrier Reef: Beim Riff darf nichts schiefgehen
Die Kirchenfenster der katholischen Kathedrale St Monica sind einzigartig. In leuchtenden Farben erzählen die Bilder des tropischen Regenwalds, des knochentrockenen Outback und des Great Barrier Reef (GBR) mit seiner verschwenderischen Artenvielfalt die Schöpfungsgeschichte. Das Gotteshaus steht in Cairns, dem Hotspot des Great-Barrier-Tourismus im tropischen Norden von Queensland.
Die Lebensvielfalt am GBR könnte aber bald der Vergangenheit angehören. Zwei direkt aufeinander folgende zu heiße australische El-Niño-Sommer haben zwei direkt aufeinander folgende Korallenbleichen verursacht. Die Korallenbleiche 2016 war die stärkste, die je festgestellt wurde. Die Bilanz 2017 könnte nach ersten Beobachtungen und Messungen der Experten der Great Barrier Reef Marine Park Authority (GBRMPA) und des Australian Institute of Marine Science (AIMS) ähnlich katastrophal ausfallen. Klimawandel, mit Düngemittel belastete Flüsse, verschmutzte Abwässer und Überfischung sind die weiteren Zutaten des für das maritime Ökosystem tödlichen Cocktails. Die Prognose der Wissenschaftler: Wenn das so weitergeht, ist das Riff in 20 Jahren Vergangenheit.
Die australische Politik tut sich schwer, das GBR – das mit einer Fläche von 348 000 Quadratkilometern so groß ist wie Italien – durch couragierte und nachhaltige Maßnahmen zu schützen. Die Regierungen egal welcher Couleur der letzten Jahre haben letztlich immer wirtschaftlichen Erwägungen den Vorrang vor dem Schutz des weit über Australien hinaus lebenswichtigen maritimen Ökosystems gegeben. Nur durch massive politische Interventionen konnte Australien eine Herabstufung des GBR als Weltnaturerbe auf den Status »gefährdet« durch die UNESCO vermeiden. Ein ums andere Mal hat die UNESCO dem Druck aus Canberra durch Verlängerungen der Fristen zur Nachbesserung der Riffrettungspläne nachgegeben. Im Dezember 2016 kündigte Australien ein umgerechnet 920 Millionen Euro teures Programm zur Rettung des Riffs an. Zu wenig, zu spät und zu halbherzig, sagen Kritiker.
»Wenn Politiker nur in Kosten-Nutzen-Rechnungen denken, dann kleben wir eben ein Preisschild auf das Riff«
In dieser Situation haben sich Meeresbiologen, Korallenforscher, Wasserexperten und Klimawissenschaftler gesagt: »Wenn die Politiker nur in Kosten-Nutzen- und Profitkategorien denken können, dann sollen sie das haben. Kleben wir eben ein Preisschild auf das Riff.« Herausgekommen ist der Report »At what price? The economic, social and icon value of the Great Barrier Reef« von Deloitte Access Economics. Das Fazit des internationalen Wirtschaftsprüfungskonzerns lautet kurz gefasst: »This report makes it clear that the Great Barrier Reef is a treasure that is too big to fail.« »To big too fail« – »zu groß, um es scheitern zu lassen«. Klingt vertraut? Richtig: »Too big to fail« – also »systemrelevant« – lautete das Mantra der Politiker zur Begründung der milliardenteuren Bankenrettungen während der Finanz- und Eurokrise.
Größte lebende Struktur der Erde
Die Zahlen von Deloitte sind beeindruckend. Auf sagenhafte 56 Milliarden australische Dollar (AUD) oder umgerechnet 37,5 Milliarden Euro beziffern die Wirtschaftsexperten den »wirtschaftlichen, sozialen und ikonischen« Wert des GBR (PDF). In dieser Summe steckt also auch eine monetäre Bewertung der »weichen Faktoren« des GBR als »australische Marke«, die Bedeutung des Riffs für die australische Identität sowie sein kultureller und spiritueller Wert für die australischen Ureinwohner. Man kann darüber streiten, ob überhaupt und wenn ja, mit welchen Kriterien und Methoden solche Faktoren in Dollar und Cent umgerechnet werden sollen. Steve Sargent, Direktor der Great Barrier Reef Foundation, sagt: »Als größte lebende Struktur der Erde und als eines der komplexesten und vielfältigsten natürlichen Ökosysteme der Welt gilt das Great Barrier Reef mit Fug und Recht als unbezahlbar und nicht ersetzbar.«
Konkreter aber sieht die Sache bei dem Riff als Wirtschaftsfaktor aus: Satte 6,4 Milliarden AUD (4,3 Milliarden Euro) brachte das Riff 2015/16 der australischen Wirtschaft und 64 000 Vollzeitjobs, davon gut die Hälfte in Queensland, vor dessen Küste sich das Riff erstreckt. Das Riff sei somit ein »größerer Arbeitgeber« als so manches australisches Großunternehmen, betont Sargent. Zum Vergleich: Der Telekommunikationskonzern Telstra beschäftigt 33 000 Menschen; bei der National Australia Bank gibt es 34 000 Jobs; 26 000 Australier stehen bei Qantas Airways in Lohn und Brot.
Die bedeutsamsten Wirtschaftszweige des Riffs sind die Freizeitindustrie, die Fischerei, die Wissenschaftsbranche und natürlich der Tourismus. Die kommerzielle Fischerei sowie Aquakulturen machten 2015/16 knapp 134 Millionen Euro der Riffökonomie aus. Freizeitaktivitäten wie Tauchen, Schnorcheln, Segeln oder auch die Hobbyfischerei brachten 47 Millionen Euro ein. Beachtliche 122 Millionen Euro waren im gleichen Zeitraum die Forschungsaktivitäten sowie die Arbeit zum Management des Riffs der Great Barrier Reef Foundation wert, zu der das Australian Institute of Marine Science (AIMS), die Great Barrier Reef Marine Park Authority, das ARC Centre of Excellence der James Cook Universität und die Lizard Island Reef Research Foundation gehören. Den Löwenanteil aber trägt der Rifftourismus zum australischen Volkseinkommen bei. »Der totale Wert der signifikanten Tourismusaktivitäten in Verbindung mit dem GBR wird für die australische Wirtschaft für 2015 und 2016 auf 5,7 Milliarden Dollar geschätzt«, heißt es in dem Bericht von Deloitte.
Riff als großer Arbeitgeber und Geldmaschine
Die Geldmaschine GBR aber ist ins Stottern geraten. Der globale Klimawandel wie auch wirtschaftliche Aktivitäten entlang der Küste des Korallenmeers setzen dem 2300 Kilometer langen Riff arg zu. Letzteres lässt sich gut am Beispiel der gefräßigen und vermehrungsfreudigen Dornenkronenseesterne veranschaulichen. Millionen der blau-rot gefärbten »crown-of-thorns starfish« (COTS) »überfallen« in regelmäßigen Abständen Riffe und laben sich an Steinkorallen. Ein einzelner Acanthaster planci kann innerhalb eines Jahres eine Korallenfläche von 13 Quadratmetern vertilgen. Nach einer Invasion von Dornenkronenseesternen bleiben nur noch die Kalkskelette der Korallenbänke übrig. »Sie tun sich an den Korallen gütlich und lassen sie gebleicht und anfällig für Zerstörungen durch schwere Stürme zurück«, sagt Professor Bernard Degnan, Meereswissenschaftler und Molekularbiologe an der Universität von Queensland in Australien.
Die mit fünf Zentimeter langen, giftigen Stacheln bewehrten Dornenkronenseesterne sind zudem äußerst fruchtbar. »In einer Laichsaison kann ein einziger weiblicher Seestern bis zu 120 Millionen Nachkommen produzieren«, weiß Professor Degnan. »Trotzdem haben sie in normalen Zeiten nur eine geringe Auswirkung auf das Riff.« Nicht zuletzt, weil sie durch den Napoleon-Lippfisch, den Riesen-Kugelfisch und andere natürliche Fressfeinde in Schach gehalten werden.
Die Zeiten sind aber nicht normal. In den letzten 40 Jahren sind die Dornenkronenseesterne-Invasionen immer häufiger und in immer kürzeren Abständen aufgetreten. Als Verursacher stehen Bauern entlang der Küste von Nordqueensland im Verdacht, die zur Ertragssteigerung ihre Bananen- und Zuckerrohrplantagen mit Nitraten und Phosphor traktieren. Durch Regenfälle werden die Chemikalien ins Meer gespült, was wiederum zu einer Zunahme von Phytoplankton als Nahrung der Dornenkronenseestern-Larven führt. Folge: Mehr Larven überleben und entwickeln sich zu Seesternen. Das Riff ist also nicht nur ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor, sondern auch wird durch die wirtschaftlichen Aktivitäten der Menschen gefährdet.
Größte Einzelgefahr gerade gestartet: Kohletagebau
Der Startschuss für die aus Sicht von Riffexperten größte Einzelgefahr für das maritime Naturwunder ist jedoch am 1. Oktober 2017 mit dem ersten Spatenstich für die Kohleminen Carmichael des indischen Milliardärs Gautam Adani im Galilee-Becken gefallen. In sechs Tagebauminen und fünf Untertagebergwerken sollen 60 Jahre lang jährlich mindestens 120 Millionen Tonnen Steinkohle gefördert werden. Der Carmichael-Kohlebergbau wird sich über 443 Quadratkilometer erstrecken. Das entspricht der Fläche von Paris.
Über eine noch zu bauende Bahnstrecke soll die Kohle zum Kohlehafen Abbot Point am Korallenmeer transportiert und von dort nach Indien verschifft werden. Die Schiffsroute geht direkt durch das GBR. Doch nicht nur das: Experten schätzen zudem, dass allein durch die Verheizung der Carmichael-Kohle in Indien jährlich zusätzliche 79 Millionen Tonnen des Klimakillers CO2 ausgestoßen werden. Das entspricht der jährlichen CO2-Emission von Österreich.
Für Australiens Regierung ist das 16,5 Milliarden Dollar teure Adani-Projekt »too big to fail«. Die zuständigen Minister bejubeln die Arbeitsplätze und die vielen Dollars für Wirtschaft und Staatshaushalt. Klimawissenschaftler, Umweltschützer, Ureinwohner und die Bewohner der durch den steigenden Meeresspiegel langsam versinkenden südpazifischen Inseln laufen dagegen Sturm. Kritik kommt auch von Ökonomen. Deren Argument: Förderung und Transport nach Indien macht die Kohle so teuer, dass sie mit den Strompreisen existierender Kraftwerke und der in Indien wachsenden Stromversorgung durch erneuerbare Energien nicht konkurrieren kann.
Umweltschutz versus Arbeitsplätze
Allerdings ist bei dem Adani-Projekt das letzte Wort noch nicht gesprochen. Dem Milliardär Adani fehlt die Finanzierung. Die Regierung in Canberra hat zwar ein Darlehen von einer Milliarde Australischer Dollar in Aussicht gestellt. Bei australischen und internationalen Großbanken ist Adani aber mit seinen Kreditanträgen abgeblitzt. Die Bank Westpac zum Beispiel will laut ihrem »Klimaaktionsplan« Kredite für Kohleförderung nur noch für »Projekte in bereits existierenden, Kohle produzierenden Becken« vergeben, und das auch nur, wenn die Kohle den besonders hohen Heizwert von mindestens 6300 Kilokalorien pro Kilo aufweist. Beides trifft für die Kohle aus den Adani-Minen nicht zu. Die Deutsche Bank und die HSBC haben die Finanzierung des Ausbaus von Abbott Point zum größten Kohlehafen der Welt ebenfalls abgelehnt.
Matthew Canavan, ein Leugner des Klimawandels, schäumte vor Wut. Canavan, bis zu seinem Rücktritt Ende Juli 2017 wegen seiner ungeklärten Staatsbürgerschaft Minister für Bodenschätze, warf klimabewussten Unternehmen und Banken »eine Kultur der Feigheit« vor, weil sie den Klimawandel ernst nehmen und daraus unternehmenspolitische Konsequenzen ziehen.
Die Bedeutung des Great Barrier Reef reicht weit über Australien hinaus. »Das Riff ist nicht nur in sich selbst ein wertvolles Ökosystem«, hieß es schon 2004 in dem Hirtenbrief der katholischen Bischöfe, gewissermaßen Schöpfungsexperten, von Queensland. »Es ist auch ein integraler Teil des einen Netzes des Lebens auf dem Planeten, das uns alle verbindet – die Menschheit und alle Spezies auf dem Land und im Meer, Regenwald und Riff, Berge, Ebenen und die Wüsten im Landesinneren.« Wie sie auf den Fenstern von St Monica zu sehen sind. Mit anderen Worten: Auch ökologisch ist das GBR »to big too fail«.
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