Wie Medien die Politik prägen
Anfang November haben die US-Amerikaner Donald Trump, den »Twitterpräsidenten«, abgewählt. Während er gerade einmal 50 Nutzern folgt, peitscht er 90 Millionen Follower wöchentlich mit Hunderten von Tweets auf. »Trumps Twitterei hat die Regeln von Politik, Gesellschaft und Medien verändert und obendrein die Differenzierung von wahr und falsch«, schreibt Klaus Brinkbäumer, Chefredakteur von »Spiegel« und Herausgeber von »Spiegel Online«.
Medientechnologien im Wandel
Der Essay von Brinkbäumer ist einer von 18 Texten im kürzlich von Raphael Gross, Melanie Lyon und Harald Welzer herausgegebenen Band »Von Luther zu Twitter. Medien und politische Öffentlichkeit«. Es handelt sich um ein Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin, die seit dem 10. September 2020 bis zum 11. April 2021 zu sehen ist. Ausstellung und Buch thematisieren, wie sich Medientechnologien wandeln und wie das die politische Öffentlichkeit verändert.
Medien »formatieren politische Kommunikation neu«, so Raphael Gross im Vorwort. Der Text »Strukturwandel von Öffentlichkeiten« des Mitherausgebers Welzer beschreibt, wie sich Medien im Lauf der Zeit gewandelt haben: »Mediengeschichte ist immer die Geschichte von Beziehungen, die Soziales mit der Technik eingeht – daher die formative Kraft von Medien.«
Die 18 Essays im Buch vermitteln im Wechsel von historischen und medientheoretischen Beiträgen eine Geschichte unserer Welt seit der Erfindung der beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg im 15. Jahrhundert, was die Voraussetzungen schaffte, Informationen einer breiten Masse zugänglich zu machen. Seither vermittelte jede neue Kommunikationstechnik nicht nur Bildung, sondern ermöglichte es politischen Kräften, das Volk zu beeinflussen und zu manipulieren. Schon Martin Luther schaffte es, »innerhalb von fünf kurzen Jahren den Buchdruck in Mitteleuropa nahezu im Alleingang zu revolutionieren«; er war 1518 der »meistgedruckte Autor innerhalb Europas«, schreibt der britische Historiker Andrew Pettigrew.
Die weiteren Aufsätze erläutern die Bedeutung von Zeitungen und Zeitschriften in der Aufklärung und im Vormärz wie auch die Relevanz der »Rheinischen Zeitung« für Karl Marx, der selbst bis zum Ende seines Lebens für verschiedene Zeitungen schrieb. Mit der Entwicklung der Telegrafie entstand ein globales Nachrichtennetzwerk, das unter anderem Reichskanzler Otto von Bismarck geschickt für seine Politik einzusetzen wusste. Der Hörfunk in der Weimarer Republik und seine Pervertierung durch Goebbels in der NS-Herrschaft ist ebenso Thema wie die politische Propaganda in der filmischen Inszenierung in Leni Riefenstahls »Triumph des Willens«, in der Hitler zum neuen Christus überhöht wird. In den 1950er Jahren entwickelte sich das Fernsehen zum Leitmedium, was John F. Kennedy und sein Wahlkampfteam schnell erkannten. Sie nutzten die Telegenität des jungen Präsidentschaftskandidaten gegen einen müden und von einer Erkrankung noch nicht genesenen Nixon aus, was den Mythos Kennedy begründete.
»Die algorithmisch gelenkte Öffentlichkeit« heutiger Medien analysiert der Journalist Adrian Lobe. Er spitzt seine These in der Frage zu: »Wie kann ein öffentliches Interesse erzeugt werden, wo Algorithmen immer nur das persönliche Interesse adressieren?« Der frühe Gedanke des freien, libertären Internets verwandelt sich zunehmend in eine Hybris, »weil wir immer weniger Informationen über Informationen haben und auf der anderen Seite die Information durch ihre Inflationierung an Wert und Autorität verliert«.
Das Thema der verschwindenden Wahrheit greift der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen auf. Da die Gesellschaft zunehmend das Bewusstsein für qualitativ gute Quellen verliert, dominieren immer mehr »Fake News« die digitale Öffentlichkeit. Nachrichten seien zunehmend »dekontextualisiert«, das Gesetz der Informationsverbreitung gerate in Widerspruch zum Gesetz der Informationsverarbeitung. Die Wahrheit erodiere.
Die Beiträge im Buch sind auf etwa 20 Seiten begrenzt und gut lesbar. Dennoch gehen manche Texte nicht genug in die Tiefe. Anders einzuordnen sind die medientheoretischen und -politischen Aufsätze etwa von Pörksen, Lobe und Andreas Bernard, deren Analysen das Weiterdenken anregen.
Dem Band fehlt ein Autorenverzeichnis, was den Lesern die Mühe hätte ersparen können, die Hintergründe der Personen selbst zu recherchieren. Außerdem wären Hinweise auf die Exponate im Deutschen Historischen Museum wünschenswert. So fällt es schwer, einen Zusammenhang zur Ausstellung zu finden.
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