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Unendliches für Kleine und Große

Der Mathematiker Richard Evan Schwartz erläutert Konzepte der Unendlichkeit kindgerecht: mit Tieren auf einem Bauernhof.

Hilberts Hotel mit seinen unendlich vielen Zimmern kann auch in voll belegtem Zustand stets einen Überraschungsgast aufnehmen. Man bittet einfach alle bisherigen Gäste, in das Zimmer mit der jeweils nächsten Nummer umzuziehen, und hat Zimmer eins für den Neuankömmling frei. Das funktioniert, denn ein letztes Zimmer gibt es nicht. Mit etwas aufwändigerem Umziehen gelingt es auch, unendlich viele neue Gäste oder gar die Reisenden aus unendlich vielen Bussen mit jeweils unendlich vielen Passagieren in der ausgebuchten Herberge unterzubringen (siehe auch Spektrum der Wissenschaft 4/2000, S. 112).

Kinder empfinden allerdings den Aufenthalt in Hotels gemeinhin als eher nervig. Lieber gehen die Kleinen wohl auf einen Bauernhof. Einen solchen, auf dem sich ein schöner Urlaub mit Besichtigung des Unendlichen erleben lässt, stellt uns der Mathematiker Richard Evan Schwartz in diesem Buch vor. Auf seiner »Infinite Farm« gibt es allerlei zu sehen. Rosie beispielsweise, die Kuh mit den unendlich vielen Beinen, liebt Schuhe über alles, trägt aber schon einen an jedem Fuß. Und wenn sie nun noch ein Paar geschenkt kriegt? Kein Problem. Sie steigt mit dem jeweils n-ten linken Fuß in den (n–1)ten linken Schuh, danach dasselbe mit rechts – nicht gleichzeitig, sonst müsste sie ja alle Füße zugleich in der Luft haben –, und schon ist das erste Fußpaar frei für die neuen Schuhe. Das Verfahren ist im Prinzip dasselbe wie bei Hilberts Hotel.

Wundersame Sanierung des Gebisses

Hammerwood, das Krokodil, hat so lange Süßigkeiten genascht, bis an jeder Stelle seiner unendlich langen Schnauze neun von zehn Zähnen der Karies zum Opfer gefallen sind. Da werden unendlich viele Ameisen als Kieferorthopäden tätig, indem sie starke Gummibänder von verbliebenem Zahn zu verbliebenem Zahn spannen. Vom hintersten Backenzahn geht das Gummi an einen Pflock, der in der Erde steckt, auf welcher auch das Krokodil unverrückbar ruht. Über Nacht erweichen sich auf wundersame Weise der Ober- und der Unterkiefer, und das Gummi zieht die Beißerchen von der unendlich fernen Schnauzenspitze backenzahnwärts. Wohlgemerkt: Jeder Zahn wandert dabei nur eine endliche Strecke. Am Morgen räumen die Ameisen die Bänder ab, und schon erstrahlt das Gebiss lückenlos wie zu gesunden Zeiten.

Schwartz, Mathematikprofessor an der Brown University in Providence (Rhode Island), belässt es in seinem Kinderbuch nicht bei dieser vergleichsweise harmlosen Sorte Unendlichkeit, die unter dem Namen »abzählbar« bekannt ist. Er stellt auch Delores die Tintenfischdame vor, die einen eher korallenähnlichen Körperbau hat: Jeder ihrer Arme teilt sich in zwei, diese teilen sich abermals in zwei und so weiter. An jeder Verzweigung trägt sie einen Armreif. Das sind so unendlich (»überabzählbar«) viele, dass sie ohne Weiteres ihre Freundin für eine Party mit einer kompletten Dekoration ausstatten kann und ihrerseits nach wie vor vollständig beringt ist. Nur das Übergabeverfahren ist nicht ganz einfach.

Der Autor hat sein Buch in erster Linie für Kinder geschrieben. Zumindest die größeren unter ihnen werden schon bald die naheliegenden Fragen stellen: Hat der unendliche Bauernhof auf der endlichen Erde überhaupt Platz? Und wenn das Krokodil seine unendlich lange Schnauze aufmacht, bewegt sie sich dann nicht weit vorn schneller als das Licht?

Auf die erste Frage hält die Mathematik sogar eine Antwort bereit. Vielleicht steckt der ganze Bauernhof ja in einer so genannten Poincaré-Kugel mit hyperbolischer Geometrie (siehe Spektrum der Wissenschaft 2/2010, S. 49). Von außen sieht diese aus wie eine gewöhnliche Kugel, aber für ihre Einwohner werden die Entfernungen umso größer, je mehr sie sich dem Kugelrand nähern. Auf diese Weise haben unendliche Entfernungen in einem endlichen Volumen Platz.

Den ernsthaften physikalischen Fragen jedoch hält die Geschichte vom unendlichen Bauernhof nicht lange stand. Schwartz spricht das auch offen an: In seiner Fantasiewelt sind die Naturgesetze keine unerbittlichen Aufpasser, die einem Atom jede unerlaubte Bewegung verbieten, sondern eher trottelige Kontrolleure, die ab und zu nach dem Rechten sehen, aber vor gewissen Verstößen konsequent die Augen verschließen.

Es gelingt dem Autor, auf überaus originelle Weise verschiedene Konzepte der Mathematik anschaulich zu machen. Und zwar, ohne diese beim Namen zu nennen. Wozu auch: Die Kinder könnten mit den wissenschaftlichen Erläuterungen wenig anfangen, und für die Erwachsenen gibt es Erläuterungen zum Buch im Internet. Deutschsprachige Leser im Zielgruppenalter werden ohnehin ihre Eltern um Lesehilfe bitten müssen; darüber hinaus werden auch die Großen an den fantasievollen Ideen Gefallen finden.

Die Bebilderung dagegen – na ja. Wahrscheinlich soll sie kindgerecht sein; ich finde es jedoch ziemlich lieblos, wie der Autor seine Tierwelt mit den einfachsten Formen illustriert, die das Zeichenprogramm hergibt, und die Seiten bis zum Rand mit Farbflächen ohne jede Abstufung vollklatscht.

Eine Frage bleibt offen: Wozu befassen sich Mathematiker mit solch seltsamen Tieren? Die Antwort hätte Schwartz sogar innerhalb seiner Erzählung geben können. Das Schönste an Rosie ist, dass sie zwar über alle wesentlichen Eigenschaften einer Kuh verfügt, aber keine Kuhfladen produziert! Oder etwas abstrakter ausgedrückt: Es ist manchmal äußerst hilfreich, wenn man das, was einem stinkt und was man auf andere Weise nicht loswird, ins Unendliche abschieben kann.

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