Bessere Medizin dank KI?
Künstliche Intelligenzen (KI) haben Zugriff auf deutlich mehr medizinisches Wissen, als sich ein Arzt jemals merken kann. Sie bleiben problemlos auf dem neuesten Stand der medizinischen Forschung und können die benötigten Informationen in Sekundenschnelle abrufen. Wenn es darum geht, Befunde anhand von Röntgenbildern und MRT-Aufnahmen zu erstellen, sind lernende Maschinen den menschlichen Experten schon heute mindestens ebenbürtig. Verknüpft mit tragbaren Geräten wie einem Blutdruckmesser in der Smartwatch, ermöglichen sie zudem ein Gesundheitsmonitoring in Echtzeit. Wer braucht da noch einen Arzt aus Fleisch und Blut?
Dieser Frage widmet sich der Arzt und Wissenschaftsjournalist Christian Maté. Als Mitbegründer, ehemaliger Chefredakteur und Miteigentümer der österreichischen Version des Gesundheitsportals »NetDoktor« hat er sich viel damit beschäftigt, wie digitale Angebote die Gesundheitsversorgung ergänzen und bereichern können. Eine Website kann den Arztbesuch natürlich nicht ersetzen, sehr wohl aber dem Patienten vor und nach dem Arztgespräch Orientierung geben und seine Gesundheitskompetenz stärken.
Sämtliches Wissen auf einen Schlag verfügbar
KIs können noch einige Schritte weiter gehen. Wie Maté im ersten Kapitel ausführt, wären sie sehr gut in der Lage dazu, auch seltene Krankheiten frühzeitig zu diagnostizieren. Anders als menschliche Ärzte hätten sie nämlich beinahe alles medizinische Wissen der Welt zugleich verfügbar und könnten dieses auf die konkreten Symptome des Patienten anwenden. Verknüpft mit Messgeräten zum Monitoring von Gesundheitsdaten könnte eine KI zudem die Messwerte des Patienten mit riesigen Datenbanken und Studien abgleichen und ihm so eine präzise, individuelle Therapie auf dem neuesten Stand der Forschung ermöglichen. Telemedizin könnte zudem Liegezeiten im Krankenhaus verkürzen, da die Nachsorge digital bei den Patienten zu Hause stattfinden könnte.
Das zweite Kapitel widmet sich der Frage, was einen guten Arzt ausmacht, und erörtert, wo Verbesserungspotenzial durch Maschinen besteht. Ein guter Arzt kann sich viele Dinge merken und sein Wissen auf konkrete Fälle anwenden – aber braucht er diese Fähigkeit künftig überhaupt noch, wenn künstliche Intelligenzen das viel besser können? Wiederum: Anders als eine Maschine ist ein menschlicher Arzt in der Lage, Empathie zu empfinden und zu äußern. Dadurch kann allein das Gespräch mit dem Arzt schon eine heilsame Wirkung entfalten. Im aktuellen Gesundheitssystem bleibt dafür aber oft zu wenig Zeit. Auch hier könnten KIs Abhilfe schaffen. Dafür müssen sie nicht lernen, selbst empathisch mit Patienten zu kommunizieren; stattdessen können sie den Arzt von anderen Aufgaben entlasten, so dass er mehr Zeit hat, sich auf den Kern der menschlichen Heilkunst zu konzentrieren und sich wirklich auf den Patienten einzulassen.
Im weiteren Verlauf präsentiert Maté positive und negative Visionen, wie die Zukunft der Medizin mit KIs aussehen könnte. Dabei spricht er auch kritische Fragen an: Wer wird die Kontrolle über sensible Gesundheitsdaten haben? Führt KI zu einer Entmenschlichung der Medizin? Wird es womöglich eine Dreiklassenmedizin geben, bei der nur noch die Reichsten sich den Luxus menschlicher Ärzte leisten? Überwiegend blickt der Autor optimistisch in die Zukunft.
Leicht lesbar und anschaulich, wenn auch teilweise redundant schildert Maté verschiedene Szenarien, in denen menschliche Ärzte und Maschinen sich optimal ergänzen und so die Gesundheitsversorgung für alle Menschen verbessern. Die künstliche Intelligenz ist dabei für eine Echtzeitüberwachung der Gesundheitsdaten des Patienten zuständig, steht ihm rund um die Uhr als erster Ansprechpartner zur Verfügung und unterstützt den Arzt bei Diagnostik und Therapie. Außerdem beobachtet sie, ob eine verschriebene Therapie die gewünschte Wirkung erzielt oder ob sie gegebenenfalls angepasst werden muss. Die letzte Entscheidung darüber, wie ein Patient behandelt wird, bleibt jedoch beim Arzt, der dabei auch die persönlichen Bedürfnisse des Patienten berücksichtigen und in empathischen Gesprächen die Heilung fördern kann. Dafür benötigt er nach wie vor medizinisches Fachwissen, muss sich aber weniger merken als früher, da er jederzeit die KI um Rat fragen kann. Durch diese Entlastung gewinnt er den Freiraum, sich ganz auf den Patienten als Person zu konzentrieren. Zudem übernimmt er neue Aufgaben, etwa das Trainieren und Überwachen der künstlichen Intelligenzen.
Auch wenn Matés Prognosen stark vereinfacht sind, vermittelt das Buch einen spannenden Blick darauf, was KIs schon heute im medizinischen Bereich leisten und was in Zukunft möglich sein könnte. Außerdem schärft es den Blick für ethische Fragen: Was macht den Kern des Arztberufs aus? Erlaubt das Gesundheitssystem den Ärzten, berufsethischen Idealen gerecht zu werden? Wo beginnt und wo endet die Eigenverantwortung des Patienten? Und wer sollte die Hoheit über sensible Daten haben? Unabhängig von zukünftigen technischen Entwicklungen sind diese Fragen schon heute relevant.
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