Geschichte der Wissenschaft
Mit der Coronakrise geriet die Wissenschaft verstärkt ins Scheinwerferlicht der öffentlichen Wahrnehmung: Virologen und Epidemiologen klären über die Eigenschaften des Krankheitserregers auf, während Modellierer die Politik mit Szenarien zum Pandemieverlauf beraten. Gleichzeitig sind die wissenschaftlichen Akteure mitunter heftiger – meist außerwissenschaftlicher – Kritik ausgesetzt, wenn sie ihre Einschätzungen im Lichte neuer Erkenntnisse korrigieren oder anpassen müssen. Während Interessengruppen versuchen, die Vielstimmigkeit der Wissenschaft für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, halten seriöse Medien dagegen und erklären, »wie Forschung funktioniert«.
Aktueller denn je
Zwar thematisiert der Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer in seinem neuen Buch »Vom Staunen in der Welt« nicht primär die Coronakrise – gleichwohl ist es vor deren Hintergrund aktueller denn je und reiht sich gut in die heutigen Debatten ein. Fischer bereitet dabei den Fortschritt der Wissenschaft seit der Zeit der Aufklärung interessant auf und macht deutlich, wie wissenschaftliche Erkenntnis entsteht.
In neun Kapiteln stellt sich der Autor den Fragen, wie sich im 17. Jahrhundert eine wissenschaftliche Arbeitsweise etablierte, welche Hoffnungen und Ziele die Menschen damit verbanden (und noch heute verbinden), wie die Wissenschaft als ein Berufsfeld entstand, welche Konflikte sich aus Erkenntnissen ergeben können (etwa bei der Kernenergie) und welche Anforderungen sich heute – vor dem Hintergrund von Klimawandel und Artenverlust im Anthropozän – an die Wissenschaft ergeben.
Bei der Frage, wie die Forschung seit der Aufklärung mit der Gesellschaft wechselwirkt und diese geprägt hat, konzentriert sich Fischer vor allem auf die naturwissenschaftlichen Errungenschaften, etwa bei chemischen Synthesen, der Energiegewinnung, im Bereich der Medizin oder Computertechnik. Hier sieht der Autor einige Bildungsdefizite unserer Gesellschaft, an der insbesondere eine zu starke Fokussierung auf den geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich schuld sei. Dabei kriegen deren Vertreter ihr Fett weg: etwa Marcel Reich-Ranicki, den die Natur schnell gelangweilt habe, oder Dietrich Schwanitz, dessen Buch »Bildung – Alles, was man wissen muss« sich auf den nichtnaturwissenschaftlichen Bereich fokussiere.
Sieht man über diese Seitenhiebe hinweg, kann man dem Autor durchaus beipflichten, dass die Naturwissenschaften unsere moderne Welt substanziell geprägt haben: Angesichts der Corona-Pandemie treten die Arbeiten Robert Kochs wieder in Erscheinung oder die des weniger bekannten Arztes Ignaz Semmelweis, der im 19. Jahrhundert durch seine Erkenntnisse zur Hygiene die Sterblichkeit junger Mütter auf Entbindungsstationen erheblich reduzierte.
Im Schlussteil des Buchs befasst sich der Autor mit aktuellen wissenschaftlichen Aspekten sowie deren künftigen Herausforderungen – von denen es zahlreiche gibt, weshalb die ungefähr 50 Seiten, auf denen er eine große Palette von Themen anreißt, hierfür kaum ausreichen: Die Ziele der Vereinten Nationen werden ebenso beschrieben wie die überwundene Ozonloch-Problematik, der Club of Rome und dessen »Grenzen des Wachstums« dürfen nicht fehlen, ebenso wenig Geoengineering und »Fridays for Future«, Plastikmüll, das Anthropozän und vieles andere.
Das ist alles interessant und gehört zu einer modernen Geschichte der Wissenschaft dazu, auch wenn sich die Themen auf so wenigen Seiten höchstens kurz anreißen lassen. Insgesamt ist Fischers Werk dennoch sehr lesenswert und verdeutlicht, was Wissenschaft in den vergangen Jahrhunderten alles möglich gemacht hat.
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