»Weckruf der Tiere u.a.«: Die Vielfalt der Natur und ihr Schutz – Lesefutter für Jüngere
Rund eine Million Tier- und Pflanzenarten könnten innerhalb der nächsten Jahrzehnte verschwinden. Verantwortlich dafür ist vor allem der Mensch durch seine Eingriffe in die Natur und die Zerstörung von Lebensräumen. Der Verlust der Biodiversität und seine Auswirkungen gehen uns alle an. Schnelles und effektives Gegensteuern ist dabei ebenso wichtig wie umfassende Aufklärung. Auch und gerade von Kindern und Jugendlichen, die in ihrer Zukunft ein Artensterben erleben werden wie noch keine Generation vor ihnen. Damit schon die Jüngsten ein Bewusstsein für das Bewahren biologischer Vielfalt entwickeln, beschäftigen sich auch immer mehr Kinder- und Jugendbücher mit dem Thema.
Der Mensch ist nur ein Lebewesen unter vielen anderen. Er beansprucht aber viel mehr Platz als andere. Das ist falsch. Deshalb muss er mehr Rücksicht auf die anderen Lebewesen nehmen. Das ist richtig. So der Tenor von Aino Järvinens Bildersachbuch »Weckruf der Tiere«. Darin taucht die ehemalige Biologielehrerin in die Lebensader unseres blauen Planeten ab und widmet der Bedeutung der Meere für das Leben und das Klimasystem auf der Erde mehrere Kapitel. Der Wille, schon Kindergartenkindern komplexe Zusammenhänge zu erklären, ist auf jeder Seite spürbar. Das klappt dank kurzer Texte und bildhafter Sprache meist gut. Doch manchmal brauchen Kinder hier definitiv einen erklärwilligen erwachsenen Begleiter, um den Durchblick zu behalten. Gelungen sind die Passagen, in denen Järvinen mit spektakulären Fakten über Tiere den kindlichen Wissensdurst stillt: Wer weiß schon, dass Pottwale senkrecht im Wasser stehend schlafen? Oder Riesenschildkröten bis zu ein Jahr ohne Essen und Trinken auskommen? Didaktisch klug ist auch, an die Kapitelenden Fragen zu stellen, die Groß und Klein ins Gespräch bringen. Dank der Bilder von Laura Merz gerät das Sachbuch zu einer künstlerischen Liebeserklärung an die Erde. In zurückhaltenden Farben erschafft sie eine ausdrucksstarke Bilderwelt mit Pflanzen, Tieren und Menschen. Manche Illustrationen muten mit zartem Pinselstrich besonders fragil an und spiegeln damit das sensible Gleichgewicht der Natur wider.
Um die Bewohner eines ganz speziellen kleinen Gewässers, das eine große Wirkung auf unser Ökosystem hat, geht es im Kindersachbuch »Die Pfütze« von Angelika Huber-Janisch. Denn dort fanden Forschende in kurzer Zeit über 400 kleine und kleinste Lebewesen. Darunter allein über 60 verschiedene Tierarten. »Doch wie kommt in diese kleinen Gruben so viel Leben hinein? Mit dem, was eine Pfütze überhaupt erst zur Pfütze macht: Wasser. Und das schickt meist der Himmel.« Was in solchen und ähnlichen Beschreibungen erst mal banal klingt, entpuppt sich schnell als relevantes und spannendes Thema. Wer hätte gedacht, dass im Mikrokosmos Pfütze so spannende Lebewesen wie Urzeitkrebse und Bärtierchen leben? So, wie hier Wissen verständlich und mit vielen schönen Bildern präsentiert wird, macht die Exkursion ins Innere der Pfütze wirklich Spaß. Unterwegs erklärt die Biologin und Publizistin Angelika Huber-Janisch, wie Pfützenbewohner unter Wasser atmen, welche Tiere sich an Pfützen treffen, welche Pflanzen und Algen darin leben und was passiert, wenn die Pfütze austrocknet oder zufriert. Das alles gelingt überaus anschaulich, auch durch die naturalistisch zarten Bilder von Annette Zacharias. Unter dem Motto »Pfützen for Future« ruft die Autorin dazu auf, selbst Pfützen anzulegen, um Tieren und Natur zu helfen. Pfützen leisten nämlich einiges fürs Ökosystem: Sie sorgen durch die Verdunstung ihres Wassers für Kühle und entlasten bei Regen die Kanalisation. So gelingt Klimaschutz schon im Kleinen.
Für optischen wie inhaltlichen Lesespaß sorgt auch Christina Steinleins Kindersachbuch »Die Vielfalt der Natur«. Auf knapp 100 Seiten vermittelt die Buchautorin, Journalistin und Grundschullehrerin Interessantes und Erhellendes zur Artenvielfalt – und wer oder was sie wie zerstört (hat). Pro Doppelseite behandelt sie je einen Aspekt als Information, drängende Frage, Statement oder provokante These. Die thematischen Schlaglichter reichen dabei von »Das meiste Obst und Gemüse verdanken wir Insekten« über »Naturschutz funktioniert oft nicht« bis hin zu »Das Aussterben gehört zum Leben auf der Erde«. Die Textmengen sind überschaubar und übersichtlich angeordnet. Dazu leisten die Illustrationen von Gareth Ryans mehr, als einfach nur die Texte zu bebildern oder zu erklären – wie bei der anschaulichen Darstellung der Entstehung des Lebens auf der Erde. Meist erzählt Gareth jedoch eine eigene kleine Geschichte in einer großen: mit comicartigen Szenen, kommentierenden Sprechblasen und lebensnahen Alltagsbeispielen. Kleine Kritikpunkte an diesem ansonsten gelungenen Nachschlagwerk (nicht nur) für Kinder: Für die junge Leserschaft im Grundschulalter wäre eine größere Schrift hilfreich gewesen sowie ein Inhaltsverzeichnis, um gezielter und interessengeleitet das Passende im Buch zu finden.
Wie sich Sachwissen mit Fiktion verbinden lässt, das zeigt Ute Scheub in ihrem Ökothriller »Der große Streik der Pflanzen«. Darin verbünden sich die Pflanzen gegen die Menschen, um sich für den von ihnen verursachten Klimawandel zu rächen. Zwei Teenager stehen ihnen dabei zur Seite und versuchen gleichzeitig, die Katastrophe zu verhindern. Es ist ein interessantes Gedankenspiel, zu dem die Publizistin und Autorin von Büchern über ökologische und politische Themen junge Lesende hier einlädt: Was, wenn auf einmal vom Alpenveilchen bis zur Zypresse alle Pflanzen aufhörten zu wachsen und die Photosynthese verweigerten? Die Story erzählt von den fatalen Folgen. Doch so schlimm kommt es nicht: Am utopischen Ende steht eine neue Staatsform – die »Biokratie« –, in der ausgewählte Menschen die Interessen von Tieren und Pflanzen vertreten. Bis dahin werden nebenbei Themen wie Biodiversität oder Ökologie versus Ökonomie verhandelt. Ute Scheub ist eine erfahrene Autorin für Erwachsene, doch findet sie für Teenager nicht immer die richtige Ansprache. Manche Passagen geraten mit langatmigen Erklärungen bemüht didaktisch. Auch geraten ihr viele Figuren eher als Typen denn als Charaktere. Dafür bewegt sich Scheub im finalen Kapitel »Was an dieser Geschichte wahr ist« wieder auf gewohntem Terrain: Hier erfährt man Interessantes über die Kommunikation von Pflanzen, ihre unterschätzte Intelligenz und darüber, mit welchen Lösungen sich der Klimawandel aufhalten lässt.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben