Neue Krankheit: 5 Fragen zum West-Nil-Fieber in Deutschland
Eine neue Krankheit ist in Deutschland angekommen, und sie wird wohl nicht wieder verschwinden. Bei drei Menschen wurde das West-Nil-Fieber im Spätsommer 2019 festgestellt – vermutlich gab es noch mehr Fälle, denn ein großer Teil der Infizierten zeigt keine Symptome. Doch bei manchen Betroffenen kann die tropische Krankheit sehr schwer und sogar tödlich verlaufen. Wieso kommt die tropische Krankheit ausgerechnet jetzt nach Europa, kann man sich vor ihr schützen, und vor allem: Werden wir sie wieder los? In diesem Beitrag beantworten wir die wichtigsten Fragen zum West-Nil-Virus.
Was ist das West-Nil-Fieber?
Der Erreger des West-Nil-Fiebers ist mit einer Reihe gefährlicher Viren verwandt; zu dieser Gruppe der Flaviviren gehören die Erreger von Zika-, Dengue- und Gelbfieber. Das West-Nil-Fieber ähnelt diesen Krankheiten, allerdings sind Menschen gar nicht die Zielgruppe des West-Nil-Virus. Es befällt Vögel. Säugetiere stellen als »Fehlwirt« eine Sackgasse dar, aus der kein Weg mehr hinausführt.
Während Vögel regelmäßig daran sterben, merken die meisten Menschen nichts von der Infektion. Lediglich ein Fünftel der Infizierten entwickelt grippeartige Symptome – die Krankheit setzt recht abrupt mit Fieber ein, die Betroffenen bekommen Kopf- und Rückenschmerzen, Schüttelfrost und in vielen Fällen Ausschlag. Die Symptome ähneln unter Umständen dem Dengue-Fieber, sind aber leichter.
Etwa bei einem Prozent der Infizierten allerdings befallen die Viren das Nervensystem, und die Krankheit verläuft schwerer, besonders wenn sich eine Hirnhautentzündung mit Lähmungen und anderen neurologischen Symptomen entwickelt. Befällt der Erreger das Nervensystem, sterben etwa fünf bis zehn Prozent der Betroffenen, bei vielen anderen treten Spätfolgen wie neurologische Ausfälle auf. Das normale West-Nil-Fieber dagegen heilt ohne langfristige Folgen ab.
Wie und durch wen wird die Krankheit übertragen?
Überträger des West-Nil-Virus sind Mücken der Gattung Culex, die weltweit verbreitet sind – allein in Europa gibt es 16 Arten. Die Mücken werden leicht mit dem Erreger angesteckt, die Virusinfektion wirkt sich aber nicht negativ auf sie aus. Das Immunsystem dieser Mücken geht nicht so heftig gegen Viren vor wie das anderer Mücken; ihr wichtigster Mechanismus, die Viren einzudämmen, ist ein passiver Schutzwall. Eine Hülle aus Chitin und Proteinen, mit der die Mücke ihre Blutmahlzeit umschließt, hält einen Großteil der Viren von den Zellen der Mücke fern.
Außerdem tolerieren Culex-Arten eine hohe Viruslast, was sie zu effektiven Überträgern macht. Der Erreger vermehrt sich im Mitteldarm, in dem die Blutmahlzeit verdaut wird, und wandert über die Körperflüssigkeit in die Speicheldrüsen. Je mehr Viren im Speichel sind, desto höher ist die Chance, dass der Erreger auf das nächste gestochene Tier übertragen wird. Der Speichel der Mücken enthält außerdem Stoffe, die das Virus bei der Infektion unterstützen, unter anderem indem sie das Immunsystem lokal unterdrücken.
Im infizierten Wirbeltier befällt der Erreger zuerst die Zellen der Unterhaut; normalerweise gelangt der Erreger nicht direkt ins Blut, sondern wird von Immunzellen der Haut in die Lymphknoten getragen, wo er sich vermehrt. Von dort aus gelangt das Virus in die inneren Organe, wo eine zweite Welle der Vermehrung einsetzt. Damit sich eine Mücke beim Stich infiziert, müssen genug Viren im Blut sein – Vögel tragen viel mehr Viren im Blut als Säugetiere, deswegen sind sie die Hauptwirte, während Menschen und Pferde als Sackgasse gelten. Besonders unangenehm am West-Nil-Virus ist, dass es auch Nervenzellen befällt. Wenn die Viruslast im Blut hoch genug ist, überwindet es die Blut-Hirn-Schranke und verursacht eine Hirnhautentzündung, die langfristige Folgen wie Muskelschwäche oder Gedächtnisstörungen haben kann und mitunter sogar tödlich endet.
Warum breitet sich die Krankheit neuerdings in Europa aus?
Dass das West-Nil-Virus als Tropenkrankheit gilt und in Europa bisher kaum ein Thema war, lag an der Temperatur. Wenn es kälter als etwa 20 Grad ist, kann das Virus die Mücken nicht effektiv infizieren, selbst wenn es mit der Blutmahlzeit in den Darm des Insekts gelangt. Das ändert sich jedoch bei höheren Temperaturen: Wärmeres Wetter begünstigt Virus und Mücken gleichermaßen, so dass die Krankheit viel häufiger übertragen wird – laut dieser Studie steigt die Rate erfolgreicher Infektionen mit der vierten Potenz der Temperatur. Dadurch machen schon kleine Veränderungen der Durchschnittstemperaturen und in der Häufigkeit warmer Phasen einen großen Unterschied.
Durch die höheren Temperaturen vermehrt sich das Virus in den Mücken schneller, so dass die Tiere länger ansteckend sind, Vögel effektiver mit dem Erreger infizieren und auch selbst das Virus leichter aufnehmen. Dadurch steigt die Rate infizierter Vögel und Mücken dramatisch an – und damit die Chance, dass eine infizierte Mücke Menschen sticht. Die größere Viruslast in den Speicheldrüsen erhöht zudem die Wahrscheinlichkeit, dass die »Fehlwirte« Säugetiere ebenfalls erfolgreich infiziert werden. Das Jahr 2018, in dem die Krankheit in Deutschland erstmals registriert wurde, war deswegen ein so gutes Jahr für das Virus, weil es so heiß war. In Zukunft werden die Temperaturen eher noch weiter steigen, darum wird das West-Nil-Fieber in Deutschland wohl dauerhaft heimisch. Fachleute erwarten, dass sich auch 2020 wieder Menschen mit dem Virus infizieren.
Gibt es Gegenmittel gegen das West-Nil-Fieber?
Nur wenn man ein Pferd ist. Diese Tiere erkranken ebenfalls schwer am West-Nil-Fieber, für sie gibt es jedoch seit 2005 gleich mehrere wirksame Impfstoffe. Bisher gibt es keine zugelassene Immunisierung für Menschen; seit allerdings der Erreger Menschen in Europa und Nordamerika befällt, hat die Suche nach einer Vakzine noch einmal Fahrt aufgenommen. Derzeit gibt es mehrere Impfstoffkandidaten, unter anderem aus abgeschwächten und gentechnisch veränderten Viren; aber auch ein Nasenspray aus Virenproteinen und immunaktivierenden Substanzen ist in Entwicklung.
Wann ein Impfstoff verfügbar sein wird, ist zurzeit unklar. Auch eine spezifische antivirale Behandlung existiert im Moment nicht. Tatsächlich behandelt man die Symptome zum Beispiel mit Schmerzmitteln – die effektivste Methode, sich vor der Krankheit zu schützen, ist, nicht gestochen zu werden. Zum Glück bleibt eine Infektion in vielen Fällen ohne Folgen. Immunschwache Menschen, bei denen die Krankheit oft schwer verläuft, sollten sich im Sommer aber mit DEET-haltigen Sprays und langen Kleidungsstücken schützen, wenn sie sich in Regionen befinden, in denen die Krankheit unter Vögeln kursiert.
Was bedeutet das für andere Tropenkrankheiten?
Rückschlüsse auf andere durch Mücken übertragene Tropenkrankheiten sind nur bedingt möglich. Das liegt einerseits daran, dass auch verwandte Erreger wie die von Zika oder Gelbfieber durch Mücken übertragen werden, die hier entweder selten oder gar nicht heimisch sind; das West-Nil-Virus dagegen übertragen gleich mehrere heimische Mückenarten. Zusätzlich existiert beim West-Nil-Virus ein großes tierisches Reservoir in Form wilder Vögel. Während die Erreger von Krankheiten wie Dengue- und Gelbfieber in Europa nur menschliche Wirte haben und deswegen verschwinden, sobald ein Ausbruch bei Menschen eingedämmt ist, kursiert das West-Nil-Fieber unabhängig vom Menschen in seinem normalen Reservoir.
Das heißt, die Krankheit ist immer im Hintergrund und kann im Prinzip jederzeit bei hinreichend warmen Temperaturen wieder Menschen anstecken. Deswegen sind soziale Faktoren wie Armut und fehlender Zugang zu medizinischer Versorgung, die begünstigen, dass eine Krankheit dauerhaft bei Menschen kursiert, weniger entscheidend für ihre Ausbreitung als bei klassischen Tropenkrankheiten. Es gibt allerdings auch Gemeinsamkeiten. So steigt bei anderen von Mücken übertragenen Krankheiten die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung gemeinhin ebenfalls mit der Temperatur. Wärmeres Wetter begünstigt zusätzlich die tropischen Mücken in Europa, so dass auch diese Krankheiten vom veränderten Klima profitieren werden.
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