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Tagebuch: "Wissenschaft zurück an ihren rechtmäßigen Platz"

© NAS / PCAST
Barack Obama spricht vor der National Academy of Sciences | John F. Kennedy war gleich zweimal bei der NAS zu Gast, 1961 und 1963. Danach kamen Jimmy Carter im Jahr 1979 und George Bush senior 1990. Letzterer verkündete hier noch Rekordbudgets für Forschung und Entwicklung, beklagte aber auch schon Mängel in der Lehre. Seither vergingen 19 Jahre.
Nein, ich höre mir nur selten Politikerreden an, schon gar nicht in voller Länge. Aber wenn Barack Obama, wie am 27. April geschehen, vor der National Academy of Sciences (NAS) über die "Necessity of Science" spricht?

Zwei Wochen danach habe ich es nun doch getan. YouTube ruckelt ein wenig. Auftritt John P. Holdren: Obamas Berater für Wissenschaft und Technologie und Direktor des Büros für Wissenschafts- und Technologiepolitik im Weißen Haus kündigt den Präsidenten kurz und knapp an. Er möchte den Besuch seines Vorgesetzten als Signal verstanden wissen.

Nötig war der Hinweis wirklich nicht: Jeder im Saal erwartete nichts weniger als genau das. Zumal Reden der amtierenden US-Präsidenten beim NAS-Treffen eine Rarität sind. Zuletzt hatte Bush senior als erst dritter und dann für lange Zeit auch letzter Präsident der wissenschaftlichen Gesellschaft die Ehre erwiesen. Das war vor 19 Jahren.

Nicht länger "auf dem Rücksitz der Ideologie"

Um so eindeutiger fiel das Signal schließlich aus. Knapp vierzig Minuten Zeit nahm sich Obama Zeit, um die zukünftige Rolle der Naturwissenschaften (inklusive der Mathematik) zu skizzieren, und machte ein weiteres Mal klar, dass er in der Wissenschaftspolitik einen drastischen Kurswechsel vornehmen will. Wie schon bei seiner Amtsantrittsrede kündigte er an: "Wir verhelfen der Wissenschaft wieder zu ihrem rechtmäßigen Platz." Die Tage, in denen sie "auf dem Rücksitz der Ideologie" mitfuhr, seien vorüber. "Ich möchte sicher sein, dass Fakten die wissenschaftlichen Entscheidungen bestimmen und nicht anders herum" (Applaus und Gelächter). Und dann ein unmissverständliches Bekenntnis, das wir auch im eigenen Land gerne einmal so vernehmen würden: Wissenschaft sei bedeutsamer für "unseren Wohlstand, unsere Sicherheit, unsere Gesundheit, unsere Umwelt und unsere Lebensqualität als jemals zuvor".

Der US-Präsident, der längst ein akademisches "Who is Who" um sich versammelt hat und vor einigen Tagen sogar Google-Chef Eric Schmidt und Microsoft-Chefforscher Craig Mundie ins Beraterboot holte, hatte alle wichtigen Themen im Blick, von der Finanzkrise bis zum Klimawandel. Ganz Amerikaner, sieht er sie als "challenges". Veränderung ist möglich, Probleme lassen sich lösen. Wäre er nicht Obama, dem Spiegel Online nach 100 Tagen im Amt die Anführung einer "Revolution im Eiltempo" bescheinigt hatte, würde man ihm das als Plattitüde auslegen. Und selbst wenn er John F. Kennedy zitiert: "The challenge, in short, may be our salvation", mag man ihm die Rede von der Erlösung nicht wirklich übel nehmen.

"There will be no single Sputnik moment"

Allerdings muss sogar die Mondlandung als Motivationshilfe herhalten. 1961 habe Kennedy verkündet – übrigens einen Monat nach dessen eigenem Besuch bei der NAS –, die USA werden einen Menschen auf den Mond befördern und gesund wieder zurückbringen. So brachte er damals das ganze Land hinter sich. "We have to replicate that", sagt Obama, ist aber wie gewohnt klug genug, einerseits den Mythos zu beschwören, andererseits aber auch das Neue an der heutigen Situation zu benennen. "There will be no single Sputnik moment", sagt er und meint: Wir können nicht mehr auf den einen Augenblick warten, in dem auch noch der Letzte gemerkt hat, dass es zu spät ist.

Obama verspricht viel Geld (von dem schon die nähere Zukunft zeigen dürfte, ob es tatsächlich vorhanden ist). Das Budget von Schlüsselinstitutionen wie der National Science Foundation, welche die Grundlagenforschung fördert, und dem National Institute of Standards and Technology soll verdoppelt werden, ebenso wie jenes des Office of Science. Dieses Amt im Energieministerium unterstützt die Nuklearforschung ebenso wie den Bau von Teilchenbeschleunigern und die Entwicklung von Supercomputern.

Alle Hände voll zu tun

Das "große Projekt" der Zukunft aber sei die Energieversorgung. 150 Milliarden Dollar, verteilt über zehn Jahre, sollen in die Erforschung erneuerbarer Energien und die Verbesserung der Energieeffizienz fließen. Steve Chu, US-Energieminister und Nobelpreisträger von 1997 (der Atomphysiker zählt übrigens zu den Autoren von Spektrum), wird alle Hände voll zu tun haben. Obama kündigte zudem die Gründung der ARPA-E an, einer Agentur für Spitzenforschung auf dem Gebiet der Energie. Und verneigte sich so auch vor den Anwesenden, denn die NAS hatte dies ursprünglich empfohlen. Als Vorbild dient die DARPA, mit deren Etablierung einst Eisenhower auf den Sputnik-Schock reagiert hatte. Das "D" für Defense trägt die neue Agentur nicht mehr im Namen, wieder ein Hinweis auf den angestrebten Politikwechsel.

Im Thema Energie sieht Obama die Zukunft, zumindest die der USA: Wer die Menschen in ein 21. Jahrhundert mit sauberer Energie führt, wird auch die weltweite Wirtschaft anführen. (In Deutschland weiß man das längst, unternimmt aber trotzdem nur halbherzige Schritte.) Und erneut bekräftigte Obama sein schon im Wahlkampf verkündetes Ziel, die Kohlendioxidemission der USA bis 2050 um mehr als 80 Prozent zu reduzieren. Schon in den nächsten wenigen Jahren will er die Kapazitäten zur Bereitstellung regenerativer Energien verdoppeln.

"Spend time in the classroom!"

Seine folgende Klage schließlich klingt wohlbekannt: Auch in den USA herrscht Nachwuchsmangel. 20 Prozent der Mathemathikschüler auf der High School und sogar 60 Prozent der Chemie- und Physikschüler werden von Lehrern unterrichtet, die auf diesen Gebieten nicht ausgebildet sind. Um 2015 sollen landesweit sogar rund 280.000 Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften fehlen. Amerikas 15-Jährige hätten es in Studien, die weltweite Vergleiche durchführten, gerade einmal auf Rang 25 in Mathematik und Rang 21 in den Wissenschaften geschafft. Es folgt die eindringliche Aufforderung, für hervorragenden Nachwuchs zu sorgen ("spend time in the classroom"!). 5 Milliarden Dollar werde das Bildungsministerium zur Verfügung stellen, um Bundesstaaten, die sich schon jetzt durch besondere Anstrengungen auszeichnen, weiter zu unterstützen. Doch die Wissenschaftler müssen sich auch selbst engagieren: "We need to create a way to bring the expertise and the enthusiasm of these folks –- folks like you –- into the classroom."

Man kann zu Recht und aus vielerlei Gründen vermuten, dass etliche von Obamas Plänen zur Förderung der Wissenschaft nicht so bald Wirklichkeit werden. So wenig, wie es einen zweiten "Sputnik moment" geben wird, steht auch eine zweite Mondlandung in Aussicht. Eine deutliche Linie aber hat er vorgegeben. Schon dafür hat sich diesmal die Politikstunde vor dem Bildschirm gelohnt.

Christian Tack

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