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Warkus' Welt: Wie kann man ein guter Mensch in einer schrecklichen Welt sein?

Der Philosoph und Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer entwickelte eine Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben – die gerade in unserer Zeit wieder Orientierung geben und inspirieren kann.
Ein älterer Mann mit markantem Schnurrbart und welligem ergrautem Haar schaut nachdenklich in die Kamera. Er trägt ein helles Hemd und stützt sein Kinn auf seine rechte Hand. Der Hintergrund der Schwarz-Weiß-Fotografie ist unscharf, was den Fokus auf sein Gesicht lenkt.
Albert Schweitzer war Mediziner, Theologe, Philosoph, Organist. Das Foto des »Urwalddoktors« mit dem markanten Schnauzbart stammt aus dem Jahr 1945.
Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

2025 ist ein Albert-Schweitzer-Jahr. Am 14. Januar jährte sich der Geburtstag des Philosophen, Theologen, Musikwissenschaftlers und Humanisten zum 150. Mal. Am 4. September wird sein 60. Todestag begangen, wir werden also sicher noch öfter von ihm hören – und das ist gut so in unserer aufwühlenden, beängstigenden Zeit.

Die weltweite Verehrung Schweitzers erlebte einen Höhepunkt mit der Verleihung des Friedensnobelpreises 1952; in Deutschland, aber auch etwa in Großbritannien und den USA wurde das »Genie der Menschheit« (Winston Churchill) hoch geachtet und umjubelt. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts verblasste sein Ruhm freilich zunehmend. Doch es lohnt sich gerade heute wieder, einen Blick auf Schweitzers Denken zu werfen.

Mir wurde er, wie vermutlich Millionen Deutschen, schon in der Grundschule vor allem als jemand mit einer beispielhaften Biografie vorgestellt. Wir Neunjährigen waren damals wohl kaum in der Lage nachzuvollziehen, was es hieß, wie Schweitzer mit 30 bereits eine spektakuläre Karriere als Theologe, Musikwissenschaftler und Organist vorweisen zu können, geschweige denn, dann noch einmal jahrelang Medizin zu studieren, um Missionsarzt im damals kolonialen Französisch-Äquatorialafrika zu werden.

Für eine philosophische Kolumne ist das allerdings eher nebensächlich. Schweitzer verstand sich zwar als Philosoph, blieb in der akademischen Philosophie aber stets nur eine Randerscheinung – trotz seiner großen Popularität. Sein Name ist mir in meinem gesamten Studium nicht begegnet und in Nachschlagewerken taucht er am ehesten als Fußnote auf. Dies dürfte vor allem mit seinem teils wenig akademischen und hin und wieder inkonsistenten Sprachstil zu tun haben. Dennoch war er ein äußerst einflussreicher Denker. Dass er für eine Ethik der »Ehrfurcht vor dem Leben« stand, ist weithin bekannt.

»Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will«Albert Schweitzer

Ihr Kernsatz ist die berühmte Formel: »Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.« Schweitzer sieht den eigenen Willen zum Leben als grundsätzlichen Kern des menschlichen Wesens, etwas, das allem anderem vorausgeht und nicht rational erkannt werden kann oder gar begründet werden muss. (Hier ist, wie bei zahlreichen Denkern aus Schweitzers Generation, so etwa dem gleich alten Thomas Mann, der enorme Einfluss von Arthur Schopenhauer erkennbar, der den Willen ebenfalls als unhintergehbar, als vorrational ansieht: »Der Mensch kann tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.«) Bei Schweitzer ist der Wille ist nicht bloß ein rein biologischer Trieb zur Selbsterhaltung, sondern auch ein Wille zu höheren geistigen Tätigkeiten. Vor allem in jungen Jahren hinterfragen wir ihn nicht, sondern stehen dem Leben ungebrochen bejahend gegenüber.

Schweitzers ethischer Pantheismus

Die bereits genannte Ehrfurcht kann nun als eine besonders hohe Form von Bejahung, ja Verehrung gesehen werden. Zudem ist es eine Urerkenntnis unserer Existenz, dass wir den Willen zum Leben nicht nur bei uns selbst erkennen, sondern auch bei anderen Menschen, aber auch bei Tieren, ja überhaupt bei allem um uns herum. Schweitzer sah etwa sogar Kristalle, vermutlich auf Grund ihres Wachstums, als Leben. Dies lässt sich an religiöse Denktraditionen anbinden, wie etwa die Vorstellung, alles in der Welt sei beseelt (Panpsychismus) oder die ganze Welt sei göttlich, gar identisch mit Gott (Pantheismus). Da Schweitzer diese Einsicht als mystisch-geheimnisvoll betrachtet, es aber theologisch offen lässt, ob er eine Gleichsetzung von Welt und Gott zulässt und wie sie dann auszugestalten wäre, spricht man bei ihm auch von einem »Ethischen Pantheismus«: Das Universum ist erfüllt von Willen zum Erhaltenwerden und zum Sichentwickeln.

Der erkannte Lebenswille und die Zustände in der Welt, in der sich Zufälliges, Absurdes und Schreckliches aller Art ereignet, stehen in einer Art notwendigem Konflikt. Für Schweitzer ist der einzige Ausweg eine tätige Bejahung allen Lebens, nicht bloß im Denken, sondern auch im Handeln. So gelangt er zu seinem ethischen Grundprinzip: »Gut ist, Leben erhalten und Leben fördern; böse ist, Leben vernichten und Leben hemmen.« Es führt ihn unter anderem zum Vegetarismus und zu einem radikalen Pazifismus.

»Gut ist, Leben erhalten und Leben fördern; böse ist, Leben vernichten und Leben hemmen«

Albert Schweitzer wurde zu einer Kultfigur der Nachkriegszeit und der 1950er Jahre. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs mit den nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen und im Schatten der neuen Bedrohung durch die Atombombe besann man sich verstärkt auf das, was man für die großen und guten abendländischen Traditionen hielt. Dies waren namentlich die – insbesondere antike – Philosophie sowie das Christentum, oft gebündelt durch die Analogie zwischen Sokrates und Jesus. In der Person Schweitzer kamen Philosophie und Theologie sowie tätiger Einsatz für das Gute zueinander, sowie nicht zuletzt die protestantische Kulturtradition – Schweitzer hatte eine gewaltige Monografie über Johann Sebastian Bach geschrieben und galt zu seiner Zeit als einer der wichtigsten Interpreten von dessen Musik. Zudem war er nicht nur intellektuell, sondern infolge seiner Tätigkeit in Zentralafrika auch schon rein geografisch weit auf Distanz zu den Weltkriegen gewesen. Er war die perfekte Identifikationsfigur für Menschen, gerade Deutsche, die in der Nachkriegszeit Konkretes darüber erfahren wollten, wie man ein guter Mensch in einer schrecklichen Welt sein kann.

Wir leben in Zeiten, in denen Krieg wieder ein dominierendes Thema geworden ist, in der sich an den Fragen nach der Möglichkeit eines Pazifismus und seiner genauen Ausgestaltung erneut heftige Debatten entzünden. Es lohnt sich daher, sich neu mit Albert Schweitzer als einem der bekanntesten Friedensdenker des 20. Jahrhunderts zu beschäftigen.

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