Warkus' Welt: Wie viel Philosophie steckt im Essen?

In der Satire »Tagebuch eines Budget-Gestalters« von Ephraim Kishon aus den 1970er Jahren ist ein Ministerialbeamter in größter Not, bis zum 31. Dezember noch sein Jahresbudget auszugeben. Einer seiner Einfälle: ein »Gastronomisches Institut« zu gründen und dafür ein teures japanisches Teleskop zu beschaffen. Das Institut mutiert dann allerdings zum »Steakhaus Zum Teleskop« und wirft Gewinne ab – was so gar nicht im Sinne des Erfinders war. Die Pointe besteht hier nicht nur im Wortspiel. Es erscheint besonders abwegig, ausgerechnet Essen und Wissenschaft miteinander in Verbindung zu bringen. Klar, Backen ist angewandte Chemie, heute gibt es molekulare Küche, und Lebensmitteltechnologie kann man studieren. Auch werfen Produktion und Verteilung von Nahrungsmitteln zahlreiche ethische Fragen auf. Aber das Essen an sich?
Die bloße Nahrungsaufnahme ist doch eine eher primitive Lebensäußerung. Traditionell wird sie oft in einem Atemzug mit dem Ausscheiden besprochen, etwa bei dem englischen Renaissancehumanisten Thomas Morus (1478–1535), der bei einer Erörterung der menschlichen Lustempfindungen die »Erneuerung der Bestandteile des Körpers« und das »Abstoßen jener Stoffe, an denen der Körper Überfluss hat« in einem Satz nennt.
Insgesamt aber wird in der Philosophie dem Essen eher wenig Beachtung geschenkt. Es scheint auf den ersten Blick als Anlass zur Diskussion eine Rolle zu spielen – Platons berühmtes »Gastmahl«, das »Symposion«, ist jedoch eher ein Trinkgelage, das altgriechische Wort kommt vom Verb für »trinken«. Passend zur klischeehaften Verbindung von Denken und Alkohol. Aber bei etwas so Allgegenwärtigem und Lebenswichtigem wie Essen muss philosophisch doch etwas herauszuholen sein!
Philosophie mit frischen Feigen
Der vielleicht berühmteste philosophische (oder zumindest philosophisch lesbare) Text über das Essen ist eine Miniatur von Walter Benjamin (1892–1940) mit dem Titel »Frische Feigen«. Benjamin beschreibt darin einen Ausflug in ein Dorf im Umland von Neapel. Dort kauft er am Wegesrand aus »Müßiggang« und »Verschwendung« ein halbes Pfund frische Feigen, woraufhin er bemerkt, dass er nichts hat, um sie einzupacken. Folglich muss er sie so schnell wie möglich aufessen. Diese Erfahrung ist für ihn Anlass, über Essen, ja geradezu über Fressen nachzudenken: darüber, was es heißt und mit einem macht, eine große Menge eines einzelnen Nahrungsmittels hemmungslos, maßlos zu verzehren. Beim Vertilgen der Feigen macht Benjamin mehrere Stadien durch. Nach einer Überwältigung durch das alles durchdringende, klebrige Zeug kommt Überdruss, dann Ekel, zum Schluss aber nur noch Gier und Hass. Essen wird zur bloßen Vernichtung: »Der Biß hatte seinen ältesten Willen wiedergefunden.«
Wer jemals eine ganze Packung Gummibärchen oder Chips, eine riesige Schüssel frische Himbeeren aus dem Garten der wohlmeinenden Verwandtschaft oder auch nur ein deutlich zu großes Stück Käse – Benjamins Beispiel ist eine Kugel Edamer – weggefuttert hat, kennt das, was der Kulturkritiker der Weimarer Republik hier beschreibt. Hochgestochen ausgedrückt ist »Frische Feigen« eine kleine, essayistische Studie in Leibphänomenologie. Der Text findet in etwas, was anscheinend ganz subjektiv und intim, auf jeden Fall körperlich und ungeistig ist, etwas Elementares wieder, was sich reflektieren und objektivieren lässt. Letztlich tauchen verschiedene spezifische Aspekte des Menschseins in dieser Beschreibung des »Fraßes« auf: Wir sind in der Lage, zu essen, weil es uns Spaß macht, auch wenn wir keinen Hunger haben; sind dann aber doch wieder so »tierisch«, dass wir eventuell sogar weiteressen, wenn es längst schon keinen Spaß mehr macht. Unsere Fähigkeit zur Aggression und zur Vernichtung kann sich in den harmlosesten Situationen ebenso plötzlich zu Wort melden wie jene zum Genuss und zur Hingabe.
Es gibt nun sicher viele Vertreter meines Fachs, die sagen würden, dass es noch keine Philosophie ist, genau in sich hineinzuhorchen, wenn man ein halbes Pfund Feigen wegspachtelt – sondern bloß psychologisierende Literatur. Dem würde ich zum einen entgegnen, dass Literatur einen guten Ruf als philosophisches Erkenntniswerkzeug hat. Und zum anderen würde ich fragen, warum es denn edler und intellektueller sein soll, in sich hineinzuhorchen, wenn man an der Existenz der Außenwelt zweifelt; sich fragt, ob man wirklich wach ist; oder andere klassische philosophische Gedankengänge hegt, die mit dem Meditieren über subjektive Erfahrungen ihren Anfang nehmen. Die gemischten Empfindungen, wenn man viel zu viel von etwas isst, sind sicher Allgemeingut genug, um sich damit zumindest für einen Moment philosophisch zu beschäftigen.
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