Eulbergs tönende Tierwelt: Ein Leben in der Luft

Mit ihren durchdringenden »sriih sriih«-Rufen verbreiten Mauersegler (Apus apus), die sich nur etwa drei Monate hier zu Lande aufhalten, dieses wunderbare Sommergefühl in der Stadt. Bei ihren »screaming parties« handelt es sich um soziale Flugspiele, mit denen sie ihre Kolonie synchronisieren. Dabei jagen sie mit Spitzengeschwindigkeiten von ungefähr 200 Stundenkilometern in Trupps durch die Häuserschluchten.
Die rasanten Segler haben sich in unseren Städten als echte Kulturfolger angesiedelt: Hier nutzen sie die Annehmlichkeiten, die der von Menschen gestaltete Raum bietet. So finden sie unter Dächern und in Gebäudenischen geeignete Brutstätten – in modernen, energieeffizienten Häusern jedoch immer schlechter.
Auch wenn Mauersegler Schwalben auf den ersten Blick stark ähneln, sind sie nicht näher mit ihnen verwandt. Im Gegensatz zu den Schwalben zählen Mauersegler nicht einmal zu den Singvögeln. Verblüffenderweise sind Kolibris die nächsten Verwandten der Segler und Baumsegler, welche ebenfalls zur Ordnung der Seglervögel (Apodiformes) gehören. Erst bei genauerer Betrachtung fallen tatsächlich einige Parallelen zu den Kolibris auf: etwa die kurzen Arm- und langen Handschwingen oder die länglich ovalen Eier. Die Ähnlichkeit zu Schwalben hängt mit der aerodynamischen Körperform zusammen, durch die beide optimal an ihren Lebensraum angepasst sind. Konvergente Evolution nennt man dieses Phänomen, wenn sich eine »Erfindung der Natur« gleich mehrfach ausbildet.
Lediglich zur Brut begibt sich der Mauersegler freiwillig auf festen Boden. Die übrige Zeit seines Lebens verbringt er in der Luft. Er frisst in der Luft, trinkt in der Luft, schläft in der Luft, betreibt Körperpflege in der Luft und vermag sogar die Paarung in luftiger Höhe zu vollführen. Bei dieser maximal vier Sekunden dauernden Begattung schwebt das Männchen von oben auf die Partnerin zu und verkrallt sich in ihrem Rückengefieder. In der Nähe von Brutkolonien kann man das so genannte »banging« beobachten: Ein suchender Segler schlägt im Vorüberfliegen mit dem Flügel gegen eine potenzielle Niststätte. Falls diese bereits besetzt ist, macht sich der Vogel in der Bruthöhle durch einen geschlechtsspezifischen Ruf bemerkbar.
- Der Mauersegler
Hier finden Sie alle wichtigen Eckdaten und Beobachtungstipps rund um den Mauersegler.
- Steckbrief
Klasse: Vögel
Ordnung: Seglervögel
Familie: Segler
Größe: 16 bis 17 Zentimeter
Gewicht: 36 bis 50 Gramm
Fortpflanzungsperioden pro Jahr: 1
Nachkommen pro Periode: 2 bis 3
Höchstalter: 21 Jahre
Bundesweiter Gefährdungsgrad (Rote Liste): nicht gefährdet
Volkstümlicher Name: Turmschwalbe
- Beobachtungstipps
Man sieht Mauersegler von Ende April bis Anfang August in der Luft und an hohen, alten Gebäuden.
© Dieter Mahlke / Getty Images / imageBROKER (Ausschnitt)Im Anflug | Ein Mauersegler nähert sich seinem Nest an einer Hauswand. Gut zu erkennen sind seine kurzen, kräftigen Füße.
Dank seiner sehr langen, sichelförmigen Flügel, seines kurzen Schwanzes und seines abgeflachten Kopfes bringt der Mauersegler die perfekten aerodynamischen Voraussetzungen für das Leben in der Luft mit. Auf Grund seiner Wendigkeit kann er Insekten spielend im Flug ergattern. Mauersegler erbeuten etwa Blattläuse, Ameisen im flugfähigen Stadium, Käfer, Hautflügler oder Zweiflügler aus dem so genannten Luftplankton. Dieses besteht neben Algen, Bakterien, Pflanzensamen oder -sporen auch aus kleinsten Tierchen, die nicht oder kaum aus eigener Kraft fliegen können und sich vom Wind hunderte oder tausende Kilometer weit tragen lassen. Dazu zählen zum Beispiel Fransenflügler (Thysanoptera), die man auch unter dem Namen Gewittertierchen kennt.
Der Mauersegler kann in luftiger Höhe sogar Spinnen erbeuten. Um ihr Verbreitungsgebiet auszudehnen, segeln Vertreter der Familie Baldachinspinnen (Linyphiidae) vom Sommer bis in den Winter durch die Lüfte. Dazu produzieren sie einen robusten Flugfaden, der, auf einer exponierten Stelle gesponnen, vom Wind erfasst wird: Die Ballonfahrt beginnt. Man nennt diesen Vorgang deshalb auch »ballooning«. Dabei erreichen Baldachinspinnen Höhen von mehreren tausend Metern.
Für seinen Nachwuchs erbeutet ein fürsorgliches Mauerseglerbrutpaar locker 20 000 Insekten und Spinnen am Tag, welche die Eltern in ihrem Kehlsack sammeln. Finden sie auf Grund von Schlechtwetterperioden nicht genügend Futter oder fliehen mitunter mehrere hundert Kilometer vor regenreichen und nahrungsarmen Tiefdruckgebieten, verfallen die Jungvögel in eine Hungerstarre (Torpor). Herzschlag und Atmung verlangsamen sich, die Körpertemperatur sinkt von 39 Grad Celsius auf bis zu knapp über 20 Grad. Die Stoffwechselrate verringert sich um mehr als die Hälfte, der Sauerstoffbedarf sinkt um bis zu 70 Prozent. Zuerst werden in diesen torpiden Zuständen die Fettreserven aufgezehrt, dann Körpergewebe wie die Muskulatur und die Leber angegriffen. Bis zu zwei Wochen können die Nestlinge so ausharren. Auch adulte Tiere können in einen Torpor verfallen, allerdings deutlich kürzer, und sie kühlen dabei auch weniger stark ab.
Mauersegler trinken über ruhigen Gewässern während des Flugs – einem Löschflugzeug bei der Wasserbetankung gleich. Sie nehmen auch mal ein Duschbad, indem sie mit Hilfe des Schnabels Wasser aufspritzen. Die Nacht verbringen die Segler in Höhen zwischen 400 und 3600 Metern. Dabei müssen sie wegen der fehlenden Thermik jedoch mehr mit den Flügeln schlagen als tagsüber und permanent in Bewegung bleiben. Wie die Vögel sich dennoch regenerieren, ist noch nicht vollständig erforscht. Es wird aber eine Art Halbhirnschlaf vermutet, bei dem nur eine der Hirnhälften schläft, während die andere aktiv bleibt. Derartiges kennt man auch von Delfinen oder Walen. Durch diese Anpassung ist der Mauersegler unabhängig von bodengebundenen Übernachtungsmöglichkeiten und kann ständig den sich ändernden Nahrungsangeboten folgen – ein Energieaufwand, der sich zu lohnen scheint.
Der Körper des Seglers ist derart an das Leben in der Luft angepasst, dass er bloß noch verkümmerte Klammerfüße hat, um sich an den Nestern an Gebäuden oder, wie ursprünglich, an Felsen oder Baumhöhlen festzuhalten. Alle vier Zehen sind dazu nach vorne gerichtet und enden in scharfen Krallen. Der ganze Fuß ist nur zehn bis zwölf Millimeter lang. Landet ein Mauersegler doch einmal auf dem Boden, ist er ein behäbiger Krabbler, da er kaum laufen kann. Früher nahm man an, er besäße gar keine Füße; denn sie sind im Flug komplett vom Gefieder umschlossen, um die aerodynamische Form zu optimieren. Schon sein wissenschaftlicher Name Apus apus deutet darauf hin. »Apus« stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie »ohne Füße«. Wie man jedoch herausfand, können Mauersegler ihre Körpertemperatur über die Füße regulieren. Bei Temperaturen ab 33 Grad Celsius strecken sie diese aus dem Gefieder und spreizen die Zehen. Im Luftstrom kühlt die Haut ab und der Temperaturhaushalt des ganzen Körpers verbessert sich.
Die Auswertung von Peilsendern ergab, dass Mauersegler in ihrem bis zu 20-jährigen Leben unglaubliche vier Millionen Kilometer zurücklegen können. Dies entspricht in etwa 97 Erdumrundungen oder der zehnfachen Entfernung von der Erde bis zum Mond. Schon unmittelbar nach dem Flüggewerden ziehen die Jungvögel nonstop bis in den Süden Afrikas. Voraussetzung dafür ist, dass sie auf das optimale Fluggewicht abmagern und genug Flugmuskulatur aufbauen. Dies wird durch regelrechte Liegestütze in der Brutnische erreicht. Um die unglaubliche Flugleistung zu vollbringen, schlägt das Herz des Mauerseglers dabei rund 700-mal pro Minute. Sein Blut ist wie ein Superkraftstoff: Der Blutzuckerspiegel ist etwa dreimal so hoch wie beim Menschen und gehört zu den höchsten in der Klasse der Vögel.
Mauersegler halten sich oft unfreiwillig ein Haustier: die Mauerseglerlausfliege (Crataerina pallida), ein ausschließlich auf diese Art spezialisierter Parasit. Der Lebenszyklus der Lausfliegen ist mit dem Segler perfekt synchronisiert. Ihr gesamter Lebensraum beschränkt sich auf den Körper des Vogels und dessen Brutstätte. Die in der Bruthöhle abgesetzten Larven schlüpfen gleichzeitig mit den Nestlingen, heften sich bevorzugt an Hals und Bauch und saugen dort Blut. Sie können selbst nicht aktiv fliegen und verbringen ihr ganzes Leben als blinde Passagiere auf dem Körper der Mauersegler.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben