Warkus' Welt: Wozu wir das Hässliche brauchen

»Dich will ich loben: Häßliches, / du hast so was Verläßliches«, schrieb der große Humorist und Lyriker Robert Gernhardt am 6. Dezember 1984 in seinem (vielleicht unfreiwillig) bekannten Gedicht »Nachdem er durch Metzingen gegangen war«. Natürlich war sein Lob des Hässlichen tief ironisch gemeint und wurde auch durchweg so verstanden – was unter anderem dazu führte, dass der Autor viel verärgerte Post von Metzinger Honoratioren, aber auch einfachen Bürgern bekam.
Ich war noch nie in Metzingen und will mich daher auch nicht mit dem Urteil des Dichters über das geschäftige Mittelzentrum in der Neckar-Alb-Region befassen, sondern vielmehr mit der Frage, ob man Gernhardts Vers nicht beim Wort nehmen könnte: Gibt es Gründe, das Hässliche wertzuschätzen, es, wie Gernhardt schreibt, zu loben?
Ein Lob auf die Hässlichkeit
Um darüber nachzudenken, wäre erst einmal zu klären, was überhaupt hässlich ist. Das ist – genau wie bei der Schönheit – bekanntlich nicht ganz einfach. An abstrakten Skulpturen, moderner Architektur, Kriegswaffen, aber auch bestimmten Tieren – ich denke da an Kraken, Anglerfische, Nacktmulle, Chihuahuas – scheiden sich oft die Geister. Sogar manch ein Hund kann abstoßend hässlich sein.
Ein Buch, das ich gerade in der Lehre behandle, »Functional Beauty« der Philosophen Glenn Parsons und Allen Carlson, löst das Problem einfach durch Definition: indem es Schönheit und ästhetische Wertschätzung gleichsetzt. Nach dieser Auffassung können wir nichts Hässliches ästhetisch wertschätzen, weil es sonst ja gar nicht hässlich wäre.
Wollen wir das Hässliche wertschätzen, dann können wir das auf eine Weise, die mit Ästhetik nichts zu tun hat. Stellen Sie sich zum Beispiel ein völlig verbautes und zutiefst geschmacklos eingerichtetes Businesshotel vor, das aber perfekt gelegen ist, ein hervorragendes Frühstück und erstklassigen Service anbietet und obendrein erstaunlich gute Preise hat. Das kann es geben, doch irgendwie geht das am Punkt vorbei: Die Hässlichkeit wird hier zur verschmerzbaren Nebensache; dass man einen Gegenstand für eine Eigenschaft loben und dabei von einer anderen absehen kann, ist trivial. Uns beschäftigt aber vielmehr, ob man das Hässliche als Hässliches würdigen kann.
Ein Argument dafür ist, dass das Hässliche schon allein als Kontrast zum Schönen gebraucht wird. Wenn alles schön wäre, wäre nichts schön. (Auch Gernhardts Gedicht enthält einen ähnlichen Gedanken.) Damit ist aber nichts dazu gesagt, wie viel Hässliches es zu geben braucht und wie es verteilt sein sollte. Muss in einer Stadt jedes zweite Haus hässlich sein, damit die schönen Häuser als solche auffallen können? Oder nur jedes zehnte? Reicht es vielleicht, wenn es im ganzen Land eine einzige hässliche Straßenzeile gibt? Dass die abstrakte Eigenschaft des Hässlichen irgendwie nötig sein könnte, lässt kaum verbindliche Schlüsse dazu zu, welche hässlichen Gegenstände man loben sollte und warum.
Die Kunst des Hässlichen
Ein anderes Argument bezieht sich auf das Hässliche spezifisch in der Kunst: Es gibt die Forderung, dass gesellschaftliche und politische Verhältnisse, die Hässliches hervorbringen, auch abgebildet werden müssen. Verwüstungen des Krieges, Hungersnot, Umweltzerstörung, Unterdrückung, Gewalt und so weiter sind – ästhetisch betrachtet – hässlich. Es ist aber geradezu moralisch geboten, dass hässliche Kunst geschaffen wird, die derartige Zustände abbildet. Und dies lässt sich über die reine Abbildung hinaus ins Metaphorische heben: Es gibt widerwärtige Arten des Denkens und Fühlens, die es verdienen, dass sie angeprangert werden, und das ist nur durch Hässlichkeit in der Darstellung möglich. Georg Scholz’ berühmtes Bild »Industriebauern« von 1920 ist hier ein gutes Beispiel.
So können wir die Schlussfolgerung ziehen, dass es hässliche Kunst geben kann, die wir dennoch wertschätzen müssen. Ist diese Art von Hässlichkeit aber die, die Robert Gernhardt in Metzingen erblickte? Ihm ging es in seinem Gedicht vor allem darum, die Stadt als »Konsum-, Schaff- und Raff-Zentrum der schlimmsten, weil vollkommen auf blanke Notwendigkeit beschränkten Sorte« zu kritisieren, wie er später erläuterte. Kann man die typische hässliche westdeutsche Fußgängerzone also als etwas interpretieren, was einen moralischen Missstand abbildet? Muss man sie dafür gar wertschätzen? Diese Frage möchte ich gerne offenlassen.
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