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Warkus‘ Welt: Maschinen mit Bewusstsein

Viele berühmte Denker sahen den Menschen als Maschine. An einem Punkt hören die Mensch-Maschine-Vergleiche allerdings meist auf, bemerkt unser Kolumnist: wenn es ums Bewusstsein geht.
Kopf eines Menschen mit Zahnrädern in seinem Inneren.
Der Mensch als Maschine – dieser Vergleich hält nur bis zu einem gewissen Punkt.

Der Mensch ist eine Maschine, oder besser gesagt eine Fabrik: eine Ansammlung von Leitungen, die Stoffe zwischen verschiedenen Apparaten hin- und herbefördern, um aus den Rohstoffen Atemluft, Wasser und Nahrung verschiedenste chemische Produkte sowie Antriebsenergie für die Muskeln herzustellen. Diese Analogie hat vor allem der seinerzeit enorm erfolgreiche Arzt und populärwissenschaftliche Autor Fritz Kahn (1888–1968) in den 1920er Jahren bekannt gemacht. Die wahrscheinlich berühmteste für ihn gezeichnete Illustration heißt »Der Mensch als Industriepalast«. Aber auch viele andere Visualisierungen verwenden Analogien, um die biologischen und biochemischen Vorgänge im Körper zu beschreiben, wie etwa die bekannte Zeichentrickserie »Es war einmal das Leben« aus dem Jahr 1986. Darunter finden sich auch immer wieder Vergleiche mit Technik oder Maschinen.

Die Idee, dass man den Menschen als Maschine beschreiben könnte, ist allerdings noch wesentlich älter die Technikeuphorie der Weimarer Republik. Der französische Philosoph Julien Offray de La Mettrie (1709–1751), wie Kahn ausgebildeter Arzt, veröffentlichte bereits 1748 eine kurze Abhandlung mit dem Titel »L’Homme Machine« (»Der Mensch, eine Maschine«). Dort argumentiert er mit sehr konkreten, wenn auch für heutige Leser unfreiwillig komischen Beispielen: dass etwa der Konsum von Zucker und Alkohol einen Menschen energisch und mutig mache, rohes Fleisch stolz und gehässig, schwer verdauliche Speisen hingegen faul und träge. Alle geistigen Vorgänge sind La Mettrie zufolge am Ende bloß körperlich: Wenn wir ein bestimmtes Wort hören und verstehen, ist dies lediglich ein mechanischer Vorgang – das Wort lässt unsere »Hirnsaiten« resonieren wie ein lauter Ton eine entsprechend abgestimmte Saite.

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

In den typischen Darstellungen des »Menschen als Maschine« aus dem 20. Jahrhundert, ob bei Fritz Kahn oder später, finden sich bemerkenswerterweise innerhalb dieser Maschine meist wiederum viele kleine Menschen, die Fertigungsschritte ausführen und vor allem die Steuerung des Ganzen übernehmen. Insbesondere das Gehirn als »Kontrollzentrale« ist klassischerweise von kleinen Menschen bevölkert. Popkulturell ist das Konzept, den Menschen auf diese Weise wie eine Art Kraftwerk oder Schiff mit dem Bewusstsein als Crew im Leitstand darzustellen, seit Langem etabliert. Man denke nur an die Schlussepisode in Woody Allens »Was Sie schon immer über Sex wissen wollten« aus dem Jahr 1972 oder den Pixar-Film »Alles steht Kopf« von 2015. Dabei ist es offensichtlich paradox, das Funktionieren des Menschen dadurch zu erläutern, dass man sich kleine Menschen in ihn hineindenkt. Es lässt aber erkennen, dass für viele von uns die Maschinenanalogie beim Bewusstsein aufhört, weil wir uns dieses – anders als La Mettrie – nicht mehr als bloßen Mechanismus vorstellen können.

Zwischen Körper und Geist

Dafür gibt es eine Reihe von Indizien. So gehen wir in der Regel davon aus, einen freien Willen zu haben, während wir bei Maschinen erwarten, dass diese entweder in vollständig vorhersehbarer Weise funktionieren wie ein Automatikgetriebe oder aber rein zufällig wie eine Lottomaschine. Menschen unterstellen wir zudem, nicht bloß auf Reize zu reagieren, sondern auch Vorstellungen von externen Gegenständen und der Welt sowie abstrakte Begriffe zu haben; bei Maschinen ist das nicht so sicher. Möglicherweise empfinden wir ebenso unser Erleben von bestimmten Sinneswahrnehmungen in einer Weise als mit einem »gewissen Etwas« aufgeladen, wie wir es uns bei einer Maschine nicht vorstellen können, und sei sie der komplizierteste Computer.

All dies umreißt eine der am intensivsten diskutierten Thematiken in der Philosophie des 20. und 21. Jahrhunderts: das Verhältnis zwischen Körper und Geist, heutzutage in der Regel konzipiert als das Verhältnis zwischen Bewusstsein und neuronalen Prozessen. Dabei hat die la-mettriesche Tradition, die keinen grundlegenden Unterschied zwischen Mensch, Tier, Pflanze und Maschine sieht (traditionell »Materialismus« genannt, heute eher »Physikalismus«) viele Anhänger. Aber es gibt auch durchaus beliebte Gegenpositionen, die beim Menschen etwas am Werk sehen, was sich in der einen oder anderen Hinsicht nicht verlustfrei auf Materie und physikalische Gesetzmäßigkeiten herunterbrechen lässt. Hierbei gibt es zahlreiche Abstufungen: Der bloße Einwand, dass sich Bewusstseinsvorgänge eventuell nicht sinnvoll als rein physikalische Vorgänge beschreiben lassen, ist zum Beispiel etwas anderes als die Annahme einer immateriellen und unsterblichen Seele, die im menschlichen Leib verkörpert ist. Wie so oft sind beim »Menschen als Maschine« gängige Analogien für nicht unmittelbar Einsichtiges ein Punkt, an dem klar wird, wo philosophische Reflexion ansetzen kann.

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