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Warkus' Welt: Mitsprache über den Tod hinaus

Urne, Friedwald oder zur See – wie soll meine Bestattung aussehen? Der eigene Wille wirkt über den Tod hinaus. Wie man das verstehen kann, erklärt unser Kolumnist.
Eine Reihe von Urnen in verschiedenen Farben auf einem Regal in einem Geschäft. Die Urnen sind in einer Linie angeordnet, wobei der Fokus auf der grünen Urne liegt. Die Umgebung ist dezent beleuchtet, was eine ruhige und respektvolle Atmosphäre schafft.
Endet die Selbstbestimmung mit dem Tod?
Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Was soll mit meinem Körper nach meinem Tod passieren? Die gängigen Herangehensweisen dazu sind kulturell unterschiedlich. Von der Spätantike bis in die 1870er Jahre gab es in dem Gebiet, das heute Deutschland ist, gut tausend Jahre lang praktisch keine Feuerbestattungen (Katholiken war sie sogar bis 1964 kirchlich verboten). Noch in meiner Kindheit auf dem Land war es außergewöhnlich, wenn ein Toter eingeäschert wurde. Inzwischen dominiert diese Bestattungsform mit Abstand: 2023 waren rund 80 Prozent aller Bestattungen in Deutschland Urnenbestattungen.

Nach wie vor gilt es als ungehörig, einen Verstorbenen zu verbrennen, der dies nicht gewünscht hat. Offenbar ist uns wichtig, bestimmte Wünsche eines Menschen zu seiner letzten Ruhe zu erfüllen, zum Beispiel die Beisetzung in einem Friedwald: als gäbe es einen gewissen berechtigten Anspruch darauf, über die Verwendung der eigenen Leiche bestimmen zu können.

Nutzen für die Gesellschaft

Auch wenn es gelegentlich vorkommt, wünschen sich vermutlich nur wenige, nach dem Tod wie in einem Museum ausgestellt zu werden, in welcher Form auch immer. Die Philosophie hat jedoch einen berühmten Vertreter dieser Idee hervorgebracht, nämlich den britischen Philosophen Jeremy Bentham (1748–1832). Der Begründer des modernen Utilitarismus – eines ethischen Ansatzes, der Handlungen strikt nach der Summe ihrer praktischen Auswirkungen bewertet – hatte noch kurz vor seinem Tod ausführliche Gedanken darüber zu Papier gebracht, wie der tote menschliche Körper einen maximalen Nutzen für die lebende Menschheit haben könnte.

Die weichen Organe sollten der medizinischen Wissenschaft dienen. Aus dem Skelett sollte eine »Auto-Ikone« entstehen, ein dauerhaft präpariertes Ausstellungsobjekt, vergleichbar mit einem ausgestopften Tier in einem Naturkundemuseum. Durch Harzlack könnte es wetterfest gemacht werden, um auch zum Ausstellen im Freien geeignet zu sein. Die Leiche eines Verstorbenen sollte als Denkmal seiner selbst dienen und damit Statuen aus anderen Materialien einsparen, zudem als vielfältiges Anschauungsmaterial und Inspirationsquelle, gegebenenfalls sogar als »Akteur« in einer Art Puppentheater Verwendung finden. Bentham selbst ließ sich nach seinem Tode entsprechend behandeln, seine Auto-Ikone ist bis heute in einem Gebäude des University College London ausgestellt.

Jeremy Bentham | Die präparierte Leiche des 1832 verstorbenen Philosophen befindet sich bis heute am University College London in England.

Der Nutzenethiker Bentham sah in einer menschlichen Leiche nichts als tote Materie, ohne eine Bedeutung für ein etwaiges Leben nach dem Tod. Für ihn hatte es aber einen größeren Nutzen, den Menschen in seiner äußeren Gestalt zu erhalten, als ihn rein stofflich zu verwerten; vermutlich schreckte er vor Letzterem zurück. Dass Tote schlicht zu einem Grundstoff der Industrie werden, taucht zum Beispiel als Motiv in Aldous Huxleys (1894–1963) Dystopie »Schöne neue Welt« auf und wird wenige Jahre später im Zusammenhang der nationalsozialistischen Verbrechen zum Inbegriff maximaler Grausamkeit.

Die Menschenwürde gilt auch für Leichen

Irgendwo in diesem Spektrum, das von der selbstbestimmten Bestattung über die Missachtung der Wünsche eines Verstorbenen bis hin zu seiner Degradierung zum Rohstoff reicht, ist auch die Entnahme von Spenderorganen gegen den Willen des Toten einzuordnen. Insbesondere dem chinesischen Staat wird seit Jahren vorgeworfen, dies massenhaft zu praktizieren. Juristisch ist die Lage zumindest in Europa klar: Die Menschenwürde reicht über den Tod hinaus, eine heimliche Entnahme etwa von Gewebeproben aus einer Leiche stellt einen Menschenrechtsverstoß dar.

Wir haben also starke kulturell verankerte und auch juristisch abgesicherte Praktiken, die Leichen vor einer entwürdigenden Behandlung schützen. Eines der jüngsten Zeugnisse dafür ist die Entscheidung des Nationalmuseums für Anthropologie in Madrid, menschliche Überreste nur noch im Kontext und in respektvoller Weise auszustellen; oder es gar nicht mehr zu tun, wenn das Volk oder die Gemeinschaft, aus der die oder der Tote stammt, dies ablehnt.

Ihren philosophischen Niederschlag finden solche Überlegungen im Konzept des »postumen Schadens«. Von der Antike bis in die Gegenwart sind Gelehrte davon überzeugt, dass es möglich sei, einem Menschen auch nach dem Tod Schlechtes widerfahren zu lassen. Zum Beispiel, indem man ein Versprechen bricht, das man auf dem Sterbebett gegeben hat. Allerdings ist dies unter bestimmten Voraussetzungen eine paradoxe Vorstellung, da der Mensch – klammert man die Religion aus – seine Existenz als lebendes, leidendes, Genuss empfindendes, denkendes und handelndes Wesen mit dem Tod beendet. Jeder postume Schaden muss sozusagen rückwärts durch die Zeit wirken, was kausale Wirkungen normalerweise eben nicht tun.

Daher ist es konsequent, dass das spanische Museum in seiner Entscheidung vor allem auf gemeinschaftliche kulturelle Praktiken abhebt. Die gute Behandlung von Toten, die im Einklang steht mit ihrem letzten Willen und den Überzeugungen ihrer Gemeinschaften, ist etwas, was wir, selbst wenn wir nicht an eine unsterbliche Seele und höhere Wesen glauben, den Lebenden zuliebe tun können – als symbolische Handlungen des Respekts und der Anerkennung. Damit wird der tote Körper letztlich auch als Zeichen behandelt, wenn auch ganz anders, als es Bentham vorschwebte.

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