Warkus' Welt: Gründe für und gegen die Philosophenherrschaft
Was Philosophinnen und Philosophen so denken, reden und schreiben, hat in unserer Gesellschaft wenig direkten Einfluss auf politische Entscheidungen. Der indirekte Einfluss, insbesondere auf höchstrichterliche Rechtsprechung und auf Debatten in den Medien, ist kaum zu unterschätzen. Aber es gibt nur ganz wenige Situationen in unserem Gemeinwesen, in denen jemand, der sich von Berufs wegen mit Philosophie beschäftigt, anhand von philosophischen Inhalten Entscheidungen trifft, die für andere verbindlich sind.
Am ehesten begegnet einem dies noch bei Ethikkommissionen, die darüber zu befinden haben, was in der Medizin erlaubt ist und was nicht. In ihnen findet man viele hauptberufliche Medizinethiker und -ethikerinnen. Oft haben die allerdings nicht (oder nicht nur) Philosophie studiert, sondern sind vor allem Mediziner.
Man kann sich nun fragen: Wäre unsere Gesellschaft, wäre unsere Welt besser, wenn Philosophen mehr Macht hätten? Was spricht dafür, was dagegen?
»Große Namen der europäischen Philosophie haben sich bei öffentlichen Äußerungen nicht mit Ruhm bekleckert«
Dafür spricht die bis auf die Antike zurückgehende Vorstellung, dass Philosophen diejenigen sind, die oben auf der Wissenspyramide sitzen und den besten Überblick darüber haben, was wahr, gut und schön ist. Mit dieser Perspektive sind sie bestens geeignet dazu beizutragen, dass das Staatswesen von Vernunft geleitet wird. Im Gegensatz zu Chemikern, Historikern oder Spezialisten für die Biologie von Schlauchpilzen kann man von ihnen – deren Job es ist, darüber nachzudenken, was Denken eigentlich heißt – vielleicht ganz allgemein durchdachte Entscheidungen erwarten, die nicht von fachbedingten Fehlwahrnehmungen geprägt sind. Wenn das so ist, dann sollten sie vielleicht auch mehr Macht haben als Angehörige anderer Fachdisziplinen. Wir haben es ja gerade in der Pandemie erlebt: Man kann keineswegs erwarten, dass öffentliche Meinungsbildungsprozesse und demokratische Verfahren zwangsläufig zu guten Entscheidungen führen.
Philosophen ohne Spleen?
Gegen die ganze Geschichte spricht rein praktisch, dass Berufsphilosophen, möglicherweise entgegen der Erwartung, sich in wenig einig sind. Sie neigen mindestens genauso wie andere Menschen zu spleenigen Ansichten in der Bewertung dessen, was politisch getan werden sollte. Insbesondere zu Anfang der Covid-Pandemie, aber auch später, haben sich viele große Namen der europäischen Philosophie bei öffentlichen Äußerungen nicht mit Ruhm bekleckert. Das gilt für Akademiker gleichermaßen wie für »öffentliche Philosophen«, die eher weniger Forschung und Lehre betreiben, aber auf reichweitenstarken Kanälen über Philosophie reden.
Man findet eigentlich für so ziemlich jeden politischen Unsinn einen lebenden Berufsphilosophen, der ihn vertritt, und einen philosophischen Klassiker, auf den man sich dazu berufen kann (woran der Klassiker oft unschuldig ist). Distanzierte Skepsis, begriffliche Präzision und differenziertes Urteilsvermögen werden heute als Konsens der Tugenden gehandelt, die man von einem Philosophen erwarten kann, nur finden sie sich eben nicht bei allen in der Zunft. Zudem kann als methodisches Argument angeführt werden, dass man politische Macht nicht in die Hände von Menschen legen sollte, die glauben, aus Gründen ihrer Ausbildung über Zugänge zu Wahrheiten zu verfügen, die anders Gebildeten nicht offen stehen. Das würde zwar kaum ein Philosoph heute noch so behaupten, aber leider scheinen es einige von ihnen doch implizit anzunehmen.
»Viele Argumente gegen Philosophenmacht sprechen auch gegen Macht von Wissenschaft ganz allgemein«
Zur Ehrenrettung der Philosophie muss man ergänzen: Viele der Argumente gegen Philosophenmacht sprechen auch gegen Macht von Wissenschaft allgemein. Das Wissenschaftssystem steht nicht an der Spitze des Staates, sondern übernimmt eine dienende Funktion – und dies hat durchaus seine historischen Gründe. Deswegen sollten wir aber nicht aufhören darauf hinzuarbeiten, dass sich die Philosophie wie auch die anderen Disziplinen öffentlich in einer Form äußert, die man ernst nehmen kann. Alle Beteiligten müssen lernen, exakter zu identifizieren, wann man auf welche Wissenschaftler besser hört. Und dann sollten sie das auch tun.
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