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Warkus' Welt: Wann ist ein Krieg »gerecht«?

Kriege bringen seit Jahrtausenden unvorstellbares Leid über die Menschheit. Manchmal kann das Einschreiten auf fremdem Staatsgebiet aber moralisch sogar geboten sein – unter sehr engen Voraussetzungen. Eine Kolumne.
Nahaufnahme eines Panzers, der auf einem Feld steht
Selbstverteidigung oder humanitäre Intervention: Wer in fremde Staaten einfällt, muss dafür aus philosophischer Sicht einen verdammt guten Grund haben.

Vor rund 20 Jahren, am 20. März 2003, begann der Angriff der von den USA geführten Koalitionsstreitkräfte auf den Irak. Damals wie heute besteht der Konsens, dass der Krieg völkerrechtswidrig war. Auch die Folgen des Krieges, von den Zivilopfern über die dadurch verursachte Destabilisierung und Bürgerkriegszustände bis hin zu den verheerenden Auswirkungen auf das amerikanische Ansehen in der Welt, lassen ihn als einen historischen Fehler erscheinen. All diese Themen werden anlässlich des Jahrestages derzeit wieder intensiv medial diskutiert.

Nun gibt es einen Unterschied zwischen illegal und unmoralisch. Vor dem 16. Januar 1983 war es, um ein besonders eindeutiges Beispiel zu nennen, in der Bundesrepublik Deutschland für jeden außer der staatlichen Monopolgesellschaft verboten, Streichhölzer zu verkaufen. Es lässt sich aber nur schwer argumentieren, dies sei damals unmoralisch gewesen, nach dem 16. Januar 1983 hingegen aber völlig in Ordnung. Der Angriff auf den Irak war nach internationalem Recht illegal, aber war er vielleicht dennoch gerechtfertigt?

Mit der Frage, wann sich Krieg moralisch rechtfertigen lässt, beschäftigt sich auch die Philosophie. Es gibt in der Diskussion zwar durchaus die Extremposition, Krieg sei immer falsch. Dem steht jedoch der Konsens entgegen, dass es solide historische Beispiele für Kriegshandlungen gibt, die so großes Unheil verhindert haben, dass es unmoralisch gewesen wäre, sie zu unterlassen. Ein klassisches Beispiel ist das amerikanische Eingreifen auf dem europäischen Kriegsschauplatz im Zweiten Weltkrieg, aber etwa auch der vietnamesische Einmarsch in Kambodscha im Jahr 1978.

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Traditionell spricht man bei moralisch legitimierbaren Kriegen vom »gerechten Krieg« (bellum iustum). Für unsere Ohren hat der Ausdruck heutzutage einen fragwürdigen Unterton: In den liberalen Gesellschaften hat sich, anders als noch vor 50 bis 60 Jahren, weitgehend die Vorstellung durchgesetzt hat, dass Krieg ein Übel ist, das am Ende alle Beteiligten schädigt und von dem selbst im besten Fall nicht positiv gesprochen werden sollte. »Gerecht« meint allerdings in der hier relevanten Tradition nicht »gut« und auch nicht »geboten«, sondern eben nur: rechtfertigbar.

Krieg als Selbstverteidigung oder humanitäre Intervention

Nach dem aktuellen Stand der Diskussion zum Begriff des »gerechten Krieges« gibt es für einen solchen genau zwei Gründe: Selbstverteidigung und humanitäre Intervention. Ein Beispiel für einen Selbstverteidigungskrieg ist natürlich das Vorgehen des ukrainischen Militärs gegen die russischen Invasoren. Hier ist die Sache derart eindeutig, dass mir vergangenes Jahr ein Philosoph sagte, eigentlich sei der Krieg in der Ukraine als solcher ethisch uninteressant, weil man daran kaum etwas diskutieren könne außer Detailfragen, wie etwa das Ausreiseverbot für ukrainische Wehrpflichtige. Ein ebenfalls sehr eindeutiges Beispiel ist die Verteidigung beziehungsweise Rückeroberung Kuwaits nach dem irakischen Einfall 1990/91.

Das amerikanische Eingreifen in Europa im Zweiten Weltkrieg und das Vietnams in Kambodscha 1978 sind hingegen moralisch anders zu legitimieren, nämlich als humanitäre Interventionen. Der herrschende Meinung zufolge ist ein militärisches Eingreifen in die Souveränität eines fremden Staates nur durch himmelschreiendes Unrecht zu rechtfertigen. Es reicht nicht, dass in einem Land irgendetwas schiefläuft, um dort bewaffnet einfallen zu dürfen: Es muss etwas wirklich Fürchterliches passieren. In den Worten des bei diesem Thema sehr einflussreichen amerikanischen Philosophen Michael Walzer: Als legitimer Grund für eine Intervention gelten nur »Verbrechen, die das moralische Gewissen der Menschheit schockieren«.

Der Irakkrieg 2003 wurde durch die USA offiziell vor allem damit begründet, dass der Irak Massenvernichtungswaffen erwerben wolle und damit eine Bedrohung der kollektiven Sicherheit darstelle – wohlwollend könnte man das als eine Art präventive Kombination von Selbstverteidigung und Intervention verstehen. Die Indizien für die Begründung waren aber, wie man weiß, weitgehend erfunden, auch weil die Entscheidung zum Krieg schon gefallen war, bevor man ihn zu begründen suchte.

Schaut man sich die damalige mediale Diskussion an, stößt man auf eine Vielzahl von Argumenten, die mit den traditionellen Rechtfertigungsgründen für Kriege wenig zu tun haben, sondern die vor allem darauf hinauslaufen, man habe jemandem aus grundsätzlichen Erwägungen heraus »es zeigen« müssen. Die Implikation ist, dass der Irakkrieg nicht nur politisch und militärisch, sondern auch völkerrechtlich und moralisch ein epochemachendes Ereignis sein müsse, das zeige, dass man in Zukunft in grundsätzlichen neuen Kategorien zu denken habe. Die Vertreter dieses Standpunkts hofften auf einen bahnbrechenden Erfolg des Krieges, um damit nachträglich zu legitimieren, dass er nach traditionellen Kriterien völlig an den Haaren herbeigezogen war.

Wir leben seit zwei Jahrzehnten mit dem Erbe eines moralischen Versagens

Wie wir wissen, ist es dazu nicht gekommen. Der Irakkrieg war nicht nur juristisch illegitim und hatte katastrophale Folgen; er bekräftigte eher noch die etablierten ethischen Vorstellungen davon, wann ein Staat bis zum Äußersten gehen darf und wann nicht. Dass der Krieg trotzdem geführt wurde und nicht nur rechte, sondern auch liberale Intellektuelle ihn engagiert verteidigt haben, hat den öffentlichen Diskurs in den westlichen Ländern nachhaltig beschädigt. Wir leben seit zwei Jahrzehnten mit dem Erbe eines moralischen Versagens.

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