Direkt zum Inhalt

Lexikon der Ernährung: Nahrungstabus

Nahrungstabus, Ernährungstabus, Speiseverbote, Efood taboos, food fads, Verhaltensprinzipien in einer sozio-kulturell oder religiös definierten Gemeinschaft, wonach bestimmte Produkte, die aus ernährungsphysiologischer Sicht als Lebensmittel für den Menschen infrage kommen, grundsätzlich oder zeitweise oder von bestimmten Mitgliedern der Gemeinschaft nicht verzehrt werden (Tab.; religiöse Ernährungsvorschriften).
Für die Entstehung von N. sind die folgenden Erklärungsansätze entwickelt worden: 1) Rationalistische Erklärungen gehen von einer materiellen Ursache aus (optimale Nutzung des begrenzten Nahrungsspielraumes). Beispielsweise wird die jüdische Einteilung von Fleisch in rein und unrein darauf zurückgeführt, dass wiederkäuende Tiere von cellulosereicher Nahrung ernährt werden, die für den Menschen nicht verwertbar ist, das Schwein dagegen Nahrung frisst, die auch der Mensch verzehren könnte. Schweine haben zudem keinen weiteren Nutzen (wie Leder, Wolle, Milch, Einsatz als Zugtier) und sind deshalb insgesamt als ungünstiger anzusehen. 2) FunktionalistischeErklärungen gehen dagegen davon aus, dass N. die soziale Ordnung aufrechterhalten. Danach entstand das Schweinefleischverbot im Judentum, weil sich das Volk von den mächtigeren Nachbarn, die eine Bedrohung darstellten, abgrenzen und eine kollektive Identität fördern wollte. 3) Im Gegensatz dazu spiegeln N. nach strukturalistischerAuffassung grundlegende Ordnungschemata und Denkmodelle einer Gesellschaft wider. Bei den jüdischen Speisegesetzen steht die Einteilung in heilig und unheilig bzw. rein und unrein im Mittelpunkt und zeichnet sich durch ein eindeutiges Klassifizierungssystem aus. Für alle Tiergruppen wurden spezifische Regeln aufgestellt, die sie zu erfüllen hatten. So mussten Landtiere paarzehige, wiederkäuende Huftiere sein, um als rein zu gelten. 4) Die kommunikationstheoretische Erklärung erkennt in N. dagegen generelle soziale Normen und Moral einer Gesellschaft. Sie sieht im Schweinfleischverbot die grundlegenden gesellschaftlichen Regelungen zum Töten. Nur unter kontrollierten und gerechtfertigten Bedingungen darf getötet werden. Die Regelung, dass nur pflanzenfressende Tiere vom Menschen verzehrt werden dürfen, schließt das Schwein aus, da es als Allesfresser indirekt am Töten beteiligt sein kann.
N. sind Teil der Esskultur, sie können die Versorgung mit Lebensmitteln – z. B. in Entwicklungsländern – erschweren. Wichtig ist die Berücksichtigung von N. in der Gemeinschaftsverpflegung für Personengruppen unterschiedlicher kultureller und religiöser Herkunft, z. B. in Krankenhäusern, und bei der Planung von Ernährungsprogrammen für Krisengebiete.

Nahrungstabus: Tab. Beispiele für Nahrungstabus.

tabuisierte LebensmittelPersonengruppe / Region
Fleisch von Pferd, Hund, Katze, Affe, Nagetieren, InsektenEuropäer, Nordamerikaner (Pferdefleisch in Teilen Europas akzeptiert)
SchweinefleischMuslime, Juden (religiöse Ernährungsvorschriften)
grüne Blattgemüse
(Vitamin A-Quelle)
Teile Südostasiens (Bangladesh, Malaysia)
alkoholische / berauschende GetränkeIslam u. a. Religionen; teilweise zeremoniell eingesetzt (christliches Abendmahl)
Eier / HühnerfleischFrauen in Teilen Afrikas; soll zu Unfruchtbarkeit führen
  • Die Autoren

Albus, Christian, Dr., Köln
Alexy, Ute, Dr., Witten
Anastassiades, Alkistis, Ravensburg
Biesalski, Hans Konrad, Prof. Dr., Stuttgart-Hohenheim
Brombach, Christine, Dr., Gießen
Bub, Achim, Dr., Karlsruhe
Daniel, Hannelore, Prof. Dr., Weihenstephan
Dorn, Prof. Dr., Jena
Empen, Klaus, Dr., München
Falkenburg, Patricia, Dr., Pulheim
Finkewirth-Zoller, Uta, Kerpen-Buir
Fresemann, Anne Georga, Dr., Biebertal-Frankenbach
Frenz, Renate, Ratingen
Gehrmann-Gödde, Susanne, Bonn
Geiss, Christian, Dr., München
Glei, Michael, Dr., Jena (auch BA)
Greiner, Ralf, Dr., Karlsruhe
Heine, Willi, Prof. Dr., Rostock
Hiller, Karl, Prof. Dr., Berlin (BA)
Jäger, Lothar, Prof. Dr., Jena
Just, Margit, Wolfenbüttel
Kersting, Mathilde, Dr., Dortmund
Kirchner, Vanessa, Reiskirchen
Kluthe, Bertil, Dr., Bad Rippoldsau
Kohlenberg-Müller, Kathrin, Prof. Dr., Fulda
Kohnhorst, Marie-Luise, Bonn
Köpp, Werner, Dr., Berlin
Krück, Elke, Gießen
Kulzer, Bernd, Bad Mergentheim
Küpper, Claudia, Dr., Köln
Laubach, Ester, Dr., München
Lehmkühler, Stephanie, Gießen
Leitzmann, Claus, Prof. Dr., Gießen
Leonhäuser, Ingrid-Ute, Prof. Dr., Gießen
Lück, Erich, Dr., Bad Soden am Taunus
Lutz, Thomas A., Dr., Zürich
Maid-Kohnert, Udo, Dr., Pohlheim
Maier, Hans Gerhard, Prof. Dr., Braunschweig
Matheis, Günter, Dr., Holzminden (auch BA)
Moch, Klaus-Jürgen, Dr., Gießen
Neuß, Britta, Erftstadt
Niedenthal, Renate, Hannover
Noack, Rudolf, Prof. Dr., Potsdam-Rehbrücke
Oberritter, Helmut, Dr., Bonn
Öhrig, Edith, Dr., München
Otto, Carsten, Dr., München
Parhofer, K., Dr., München
Petutschnig, Karl, Oberhaching
Pfau, Cornelie, Dr., Karlsruhe
Pfitzner, Inka, Stuttgart-Hohenheim
Pool-Zobel, Beatrice, Prof. Dr., Jena
Raatz, Ulrich, Prof. Dr., Düsseldorf
Rauh, Michael, Bad Rippoldsau
Rebscher, Kerstin, Karlsruhe
Roser, Silvia, Karlsruhe
Schek, Alexandra, Dr., Gießen
Schemann, Michael, Prof. Dr., Hannover (auch BA)
Schiele, Karin, Dr., Heilbronn
Schmid, Almut, Dr., Paderborn
Schmidt, Sabine, Dr., Gießen
Scholz, Vera, Dr., Langenfeld
Schorr-Neufing, Ulrike, Dr., Berlin
Schwandt, Peter, Prof. Dr., München
Sendtko, Andreas, Dr., Gundelfingen
Stangl, Gabriele, Dr. Dr., Weihenstephan
Stehle, Peter, Prof. Dr., Bonn
Stein, Jürgen, Prof. Dr. Dr., Frankfurt
Steinmüller, Rolf, Dr., Biebertal
Stremmel, Helga, Bad Rippoldsau
Ulbricht, Gottfried, Dr., Potsdam-Rehbrücke
Vieths, Stephan, Dr., Langen
Wächtershäuser, Astrid, Frankfurt
Wahrburg, Ursel, Prof. Dr., Münster
Weiß, Claudia, Karlsruhe
Wienken, Elisabeth, Neuss
Wisker, Elisabeth, Dr., Kiel
Wolter, Freya, Frankfurt
Zunft, Hans-Joachim F., Prof. Dr., Potsdam-Rehbrücke

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.