Lexikon der Neurowissenschaft: Sensillen
Sensillen [Einzahl Sensille oder Sensillum; von latein. sensilis = empfindsam], Sensilla, E sensilla, kleine Sinnesorgane in oder auf der Cuticula der Gliederfüßer und anderer Wirbelloser, i.e.S. nur der Gliederfüßer. Hier unterscheidet man Haarsensillen und versenkte Sensillen (Lochsensillen). Haarsensillen kommen überall am Integument, oft zu Gruppen zusammengestellt, vor ( siehe Zusatzinfo ). Grundsätzlich besteht ein Insekten-Haarsensillum ( siehe Abb. ) aus einer oder mehreren Sinneszellen mit dendritischen Fortsätzen am apikalen Ende, welche modifizierte Cilien darstellen. Die proximalen Teile der Sinneszellen werden von drei Typen von Hüllzellen umgeben, den scheidenbildenden oder thekogenen Zellen, den Haarschaftbildungs- oder trichogenen Zellen (Schaftzellen) und den Membran- oder tormogenen Zellen (Balgzellen). In der Regel liegen die Dendriten innerhalb eines sogenannten Rezeptorlymphraums, der wiederum von einer cuticulären Scheide umgeben ist. Je nachdem, ob es sich um mechano-, thermo- oder hygrosensitive Sensillen handelt, finden sich jeweils modalitätsspezifische Strukturen ( siehe Tab. ). Haarsensillen als Mechanorezeptoren haben eine Gelenkmembran in der Sockelregion. Im Innern der Dendriten befindet sich der Tubularkörper, der aus parallel verlaufenden, eng gepackten und durch eine elektronendichte Matrix verbundenen Mikrotubuli besteht. Die Reizperzeption erfolgt durch eine kompressionsbedingte Verformung des Tubularkörpers; zur Reizwahrnehmung genügt bereits eine Deformation von 3-100 nm, d.h. ab 0,5% des Ruhedurchmessers. Der Tubularkörper befindet sich auch in den mechanosensitiven campaniformen Sensillen der Insekten und in den funktionsanalogen Spaltsinnesorganen der Spinnentiere. Spezielle Mechanorezeptoren sind die Fadenhaare (Trichobothrien, Becherhaar), die Tympanalorgane, Chordotonalorgane und Johnston-Organ (Gehörorgane). Chemorezeptoren zeichnen sich in der Regel durch Poren im cuticularen Apparat aus (Porenplatte). Diese können terminal oder seitlich (Wandporen) liegen. Ein einzelner terminaler oder subterminaler Porus kennzeichnet Kontakt-Chemorezeptoren (meist Schmeckhaare); Sensillen mit Wandporen sind meist Riechhaare (Geruchssensillum). Bei letzteren kann man Riechhaare mit einfachen von solchen mit Doppelwandungen und in cuticularen Speichen verlaufenden Kanälen unterscheiden; letzteres bedingt 2 getrennte Hohlraumsysteme. Die Kanäle gehen von dem zentralen um die Dendriten gelegenen Lymphraum aus und münden in den Furchen der meist gerieften Oberfläche nach außen. Vermutlich reicht das vom Rezeptorlymphraum erzeugte Sekret (das reizleitende Material) bis hierhin. Chemorezeptoren sind auf den Mundteilen und den Antennen weit verbreitet. Ein spezielles Organ stellt das Haller-Organ am Tarsus von einigen Milben dar. Thermo- und hygrosensitive Rezeptorzellen (Feuchterezeptoren) sind nicht an einen bestimmten morphologischen Sensillentyp gebunden. Sensilla coeloconica ohne Poren sind wohl meist solche Funktionstypen, doch gibt es auch Sensillen mit Wandporen vom Typ der Sensilla basiconica oder Sensilla coeloconica, die thermo- und/oder hygrosensibel sind. Als charakteristisch kann für sie gelten: 1) Sockelregion unbeweglich, 2) Außensegmente dick und eng gepackte Mikrotubuli enthaltend, 3) lamellierte Außenglieder von einer der 3-4 Sinneszellen. Strukturell sind Thermo- und Hygrorezeptoren meist nur schwer zu unterscheiden. olfaktorische Sensillen.
Sensillen
Primär unabhängig von ihren Funktionen hat man schon früh eine Terminologie entwickelt, die sich vorwiegend an der Form der cuticulären Apparate orientiert. Danach unterscheidet man Sensillum trichodeum (lange Haarsensille, Fadenhaar-Sensillum), Sensillum basiconicum (kurze Haarsensille, Riechkegel), Sensillum coeloconicum (Grubenkegel), Sensillum styloconicum, Sensillum chaeticum (kurze, dickwandige Haarsensille, Borstensensillum), Sensillum placodeum (Porenplatte), Sensillum ampullaceum (Sinnesflasche) und Sensillum campaniformium (campaniformes Sensillum). Eine Sonderform der Sensillen stellen die bei Schmetterlingen auf den Flügeln vorkommenden Sensilla squamiformia (Sinnesschuppen) dar, bei denen es sich lediglich um spitz zulaufende Schuppen handelt. Heute wählt man jedoch sinnvollerweise eine Einteilung nach der Modalität der perzipierten Reize und den damit korrelierten Feinstrukturen. Dies gilt auch für den cuticulären Apparat im Bereich des Außensegments der Dendriten und das Außensegment selbst, die modalitätsspezifische Differenzierungen aufweisen.
Sensillen
1 Schemata von Sensillentypen: aSensillumtrichodeum (Haar-Sensillen), bSensillumbasiconicum (Sinneskegel), cSensillumcampaniformium,dSensillumplacodeum (Sinnesplatte), eSensillumcoeloconicum (Grubenkegel), fSensillumampullaceum (Sinnesflasche).
2 Schema eines Insektensensillums. cS cuticuläre Scheide, De Dendritenaußensegmente im Haar, dF dendritischer Fortsatz der Sinneszelle, Mk Membrankontakte, Mp Membranpartikel im Bereich der tormogenen Zelle, Rl Rezeptorlymphraum, sb scheidenbildende Zelle, to tormogene Zelle, tP terminaler Porus, tr trichogene Zelle, Tu Tubularkörper, Wp Wandporen
Sensillen
Strukturmerkmale typischer Insekten-Sensillen (Sensitivität der in ihnen enthaltenen Zellen)
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Kuppel | mechanosensitiv | Sensillum campaniformium | |||
Sockel starr, 3-4 Zellen: 1 Dendrit gefaltet | Haar | thermosensitiv hygrosensitiv | Sensillum coeloconicum | ||
terminaler Porus | Sockel beweglich, bis 10 Zellen: 1 Dendrit mit Tubularkörper | Haar | gustatorisch mechanosensitiv | S. chaeticum, trichodeum, basiconicum, styloconicum | |
Sockel starr, bis 9 Zellen: kein Dendrit mit Tubularkörper | Haar | gustatorisch | |||
Kuppel | gustatorisch | ||||
Wandporen | Wand einfach, Porentubuli, 1 bis ca. 40 Zellen: Dendrit verzweigt oder unverzweigt | Haar | olfaktorisch | S. basiconicum, coeloconicum, trichodeum | |
Platte | olfaktorisch | Sensillum placodeum | |||
doppelwandig (Speichen), meist 2-4 Zellen: Dendrit unverzweigt | Haar | olfaktorisch thermosensitiv hygrosensitiv | Sensillum basiconicum, coeloconicum |
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