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Mykenische Rüstung im Test: Gemacht für die Schlacht

Der Dendra-Panzer ist eine der ältesten bekannten Rüstungen der Welt, wirkt aber so klobig, dass man ihn lange für ein reines Schaustück hielt. Wie kampftauglich war er wirklich?
Eine Versuchsperson in der Dendra-Rüstung
Der simulierte Kampftag in der nachgebauten, 3500 Jahre alten Rüstung begann Punkt 7 Uhr morgens und umfasste alle Aktivitäten, die laut Homer ein Elitekrieger im Kampf um Troja absolvierte.

Die 13 Elitesoldaten der griechischen Armee sind wahrscheinlich Kummer und Anstrengung gewohnt, immerhin gehört es zu ihrer Berufsbeschreibung, selbst in körperlich anspruchsvollsten Situationen zu bestehen. Ob ihr Training sie aber auch für die elf Stunden simulierter Bronzezeitschlacht vorbereitet hat, die sie im Auftrag einer griechischen Forschergruppe absolvierten, ist offen. Immerhin eines war jedoch klar, am Ende dieser langen Tage, die jeder von ihnen im Nachbau des historischen Plattenpanzers verbrachte: Die berühmte mykenische Dendra-Rüstung hätte durchaus für den Kampfeinsatz zu Fuß getaugt, selbst wenn sich Schlachten wirklich so lange hinzogen, wie es Homer in seinem Epos vom Trojanischen Krieg beschrieb.

Das erläutern Andreas Flouris von der Universität Thessaliens und Kollegen im Fachmagazin »PLOS ONE«. Darin schildern sie, wie sie die Elitekämpfer einem Schlachtensimulationsprotokoll unterzogen, das sie zuvor minutengenau auf Basis der Angaben in Homers »Ilias« ausgetüftelten hatten.

Während der elf Stunden, die einen typischen Tag vor den Toren Trojas nachstellen sollten, trugen ihre Probanden einen 23 Kilogramm schweren Nachbau der bronzenen Ganzkörperrüstung aus der Zeit um 1500 v. Chr. Die Aktivitäten reichten von Im-Streitwagen-gefahren-Werden (nicht anstrengend) über einfaches Marschieren (mittelanstrengend) bis hin zum simulierten Kampf Mann gegen Mann mit dem Bronzeschwert (ungeheuer anstrengend). Der Laborstreitwagen bestand aus einem Holzgestell, das maschinell durchgerüttelt wurde, den Aufmarsch in die Schlachtordnung absolvierten die Probanden auf einem Laufband. Kämpfe vom Streitwagen aus oder zu Fuß wurden gegen Attrappen ausgeführt, mit denen die Forscher auch die Schlagkraft messen konnten. Zuvor waren die Berufssoldaten zwei Tage im Gebrauch bronzezeitlicher Waffen unterrichtet worden, sogar ihre Ernährung am Tag des Tests entsprach historischen Vorbildern.

Lange hatten Fachleute gemutmaßt, die 1960 in der mykenischen Nekropole Dendra gefundene Rüstung sei ein reines Zeremonialobjekt gewesen oder bestenfalls für den Waffengang vom Streitwagen aus geeignet gewesen. Auffällig ist der hohe Kragen, hinter dem der mit einem Eberzahn-Helm geschützte Kopf beinahe vollständig verschwindet, sowie der »Rock« aus sechs halbrunden Platten. Doch nachdem Menschen in einen originalgetreuen Nachbau geschlüpft waren, stellte sich schon vor Jahren heraus, dass der Augenschein trügt: Die 3500 Jahre alte bronzene Rüstung sieht nur klobig aus, lässt ihrem Träger jedoch genügend Bewegungsfreiheit für den Kampf.

Ganzkörperpanzer | Der Nachbau wog 23 Kilogramm, konnte aber die kompletten elf Stunden getragen werden. Die Rüstung schützt fast jeden Körperteil und erinnert an die spätmittelalterlichen Plattenharnische der europäischen Ritter.

Um dieses Argument hieb- und stichfest zu machen, mussten die 13 griechischen Marineinfanteristen antreten. Zweck der Studie war zu überprüfen, ob die Rüstung auch über die lange Distanz taugt oder ob die Ermüdung zu groß, die Überhitzung zu stark ist. Zusätzlich führte das Team Computersimulationen der Körpertemperatur unter bestimmten Belastungsszenarien und Umgebungstemperaturen durch, die sich an den spätbronzezeitlichen Klimabedingungen Kleinasiens orientierten. Dort, in der heutigen Türkei, lag einst Troja. Am Ende wollen Flouris und Kollegen nun wirklich alle Gegenargumente entkräftet haben. Keiner ihrer Freiwilligen musste abbrechen, auch wenn sie alle die Zeichen starker körperlicher Anstrengung zeigten.

Sagenhafte Rüstung

In der »Ilias« ist der mykenische König Agamemnon der Anführer der Griechen. Ob seine Schlachten – oder jedenfalls die seiner historischen Vorbilder – tatsächlich so abliefen wie im Epos geschildert, wissen die Forscher nicht. Zu wenig ist bekannt über diese Jahrhunderte. Die Forscher um Flouris orientierten sich an Homers Schlachtbeschreibungen nicht, weil sie sie zwangsläufig für zutreffend halten, sondern weil sie schlicht die einzigen verfügbaren Informationen liefern würden. Zugleich bilden sie die Obergrenze dessen, was einem Menschen von den antiken Zeitgenossen zugemutet wurde: Der Dichter lässt seine Helden schier Übermenschliches absolvieren. Die Realität dürfte weniger belastend ausgefallen sein.

Als in den 1960er Jahren die Dendra-Rüstung gefunden wurde, habe dies alte Annahmen zur Kriegsführung der Bronzezeit in Frage gestellt, schreiben die Wissenschaftler in »PLOS ONE«. Zuvor habe man geglaubt, die Schilderungen von in Bronze gerüsteten Kämpfern in der »Ilias« seien nachträgliche Ergänzungen aus einer Zeit, als die Griechen ihre schwer gepanzerten Hopliten in die Schlacht schickten. Flouris und Kollegen sehen sich nun noch mehr in ihrer Annahme bestätigt, dass die Schilderungen einen historischen Kern haben: Zumindest die Elitekämpfer zogen in der Spätbronzezeit in bronzenen Rüstungen in die Schlacht.

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