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News: Dem 'Neglect' auf der Spur

Um zu erforschen, wie das menschliche Gehirn Information über Bewegung im Raum und über räumliche Zusammenhänge verarbeitet, haben Wissenschaftler das menschliche Gehirn mit dem von Rhesusaffen verglichen - und fanden dabei deutliche Parallelen in der Informationsverarbeitung. Die Ergebnisse können helfen, Schlaganfalltherapien zu verbessern.
Warum ist es eigentlich Patienten mit einem Schlaganfall in einem bestimmten Bereich des Gehirns unmöglich, beim morgendlichen Kaffeetrinken gezielt zur Kaffeetasse zu greifen? Um zu erforschen, wie das menschliche Gehirn Information über Bewegung im Raum und über räumliche Zusammenhänge verarbeitet, haben Wissenschaftler um Frank Bremmer vom Lehrstuhl für Allgemeine Zoologie und Neurobiologie der Ruhr-Universität Bochum und des Forschungszentrums Jülich das menschliche Gehirn mit dem von Rhesusaffen (Makaken) verglichen. Sie fanden dabei deutliche Parallelen in der Informationsverarbeitung zwischen Menschen und nicht-menschlichen Primaten.

Frühere Studien wiesen bereits darauf hin, welche zentrale Bedeutung ein bestimmter Bereich des Großhirns (Cortex) hat – ein als hinterer, oberer Scheitellappen oder Parietalcortex bezeichnetes Gebiet. So führen Schädigungen dieses posterioren Parietalcortex (PPC) bei Menschen zu massiven, meist permanenten Störungen der Wahrnehmung: Nach einem rechtsseitigen Schlaganfall können die Patienten links von der Körpermitte, im so genannten contralateralen extrapersonalen Halbraum, wenig oder sogar nichts wahrnehmen. Diese Schädigung wird als Neglect bezeichnet. Menschen können Hindernissen in diesem Raumbereich nicht ausweichen, können nicht gezielt zu Objekten (wie der Kaffeetasse) in diesem Bereich greifen oder essen zum Beispiel nur von der rechten Hälfte des Tellers. Genauere Untersuchungen an Patienten zeigten, dass die Verarbeitung sensorischer Information verschiedener Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Fühlen) in Bezug auf ein so genanntes kopf- oder körperzentriertes, internes Koordinatensystem gestört ist.

Ziel des Projektes war, das Verständnis dafür zu verbessern, wie der PPC von Primaten funktioniert. Auch wollten die Forscher wissen, inwiefern die neurowissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse von Makaken auf den Menschen übertragbar sind. Frühere Studien hatten gezeigt, dass es im Gehirn von Rhesusaffen ein Gebiet gibt, dessen funktionelle Eigenschaften denen entsprechen, die im Verhaltensbild des Neglects gestört sind – nämlich das ventrale intraparietale Areal (VIP).

Die Bochumer und Jülicher Wissenschaftler stellten sich die Frage, ob dieses Areal auch im menschlichen Parietalcortex existiert und womöglich bei Neglect-Patienten geschädigt sein könnte. Mithilfe einer funktionellen Kernspinuntersuchung konnten sie nachweisen, dass es eine deutliche Parallele der beiden Hirnregionen (PPC im Menschen und Makaken) gibt. In ihrer Studie verwendeten die Neurowissenschaftler so genannte polymodale (visuelle, taktile, auditorische) Bewegungsreize und testeten, welche Hirnareale bei den Versuchspersonen jeweils aktivierbar waren. Dabei entdeckten sie drei Hirngebiete, die durch jeden Stimulus aktiviert wurden. Eines dieser Hirngebiete liegt anatomisch an genau der Position, an der es auch im Makakencortex zu finden ist. Die Informationsverarbeitung von Bewegungsreizen bei Menschen und nicht-menschlichen Primaten stimmt also zu einem gewissen Grad überein. Damit ist den Forschern ein weiterer Schritt gelungen, die Funktionsweise des Gehirns zu erfassen und zu verstehen. Langfristig können die Ergebnisse der Studie dazu beitragen, Diagnosen des Neglect weiterzuentwickeln und Therapien von Parietalcortex-Patienten zu verbessern.

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