Röntgenteleskop: eROSITA löst kosmologische Differenzen
Gerade erst hat das deutsche eROSITA-Konsortium seine Daten der ersten vollständigen Himmelsdurchmusterung im Röntgenspektrum veröffentlicht. Nun folgen Analysen und Auswertungen. Die Ergebnisse des Teams unter Leitung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching entschärfen unter anderem eine Spannung zwischen vorherigen, voneinander abweichenden Messungen der Materieverteilung im All und ihrer Verklumpung. Und sie geben Aufschluss über die Masse der Neutrinos sowie die Zustandsgleichung der Dunklen Energie. Die Studien sind zur Publikation im Fachmagazin »Astronomy & Astrophysics« eingereicht und wurden vorab als Preprints auf dem ArXiv-Server veröffentlicht.
Nach dem kosmologischen Standardmodell, dem so genannten Lambda Cold Dark Matter (ΛCDM)-Modell, glich das junge Universum einem extrem heißen, dichten Meer aus Photonen und anderen Elementarteilchen. Im Lauf der kosmischen Zeit wuchsen winzige Dichteunterschiede zu den großen Galaxien und Galaxienhaufen heran, die man heute sehen kann. Das Hauptziel der Mission ist es, besser zu verstehen, wie sich Galaxienhaufen – einige der größten Strukturen in unserem Universum – nach und nach zusammenballen. Diese Verklumpung wird mit Hilfe eines Parameters namens S8 beschrieben. In den letzten Jahren hat sich in der kosmologischen Forschung die so genannte »S8-Spannung« herausgebildet. Diese besteht darin, dass bei Studien basierend auf dem kosmischen Mikrowellenhintergrund (CMB) ein höherer S8-Wert gemessen wird als etwa bei kosmologischen Durchmusterungen auf der Grundlage des schwachen Gravitationslinseneffekts. Letzterer tritt auf, wenn das Licht von Hintergrundgalaxien durch gravitative Wechselwirkungen mit dem Haufen im Vordergrund verzerrt wird.
Mit dem Teleskop, das erst 2019 ins All geschossen wurde, wird die Röntgenstrahlung beobachtet, die heißes Gas in Galaxienhaufen emittiert. Damit kann sowohl die Gesamtmenge der Materie im Universum als auch deren Dichteverteilung präzise gemessen werden. Die Beobachtungen von Galaxienhaufen mit eROSITA zeigen, dass sichtbare und Dunkle Materie zusammen 29 Prozent der derzeitigen Gesamtenergiedichte des Universums ausmachen – in guter Übereinstimmung mit anderen Methoden. Galaxienhaufen enthalten zudem Informationen über die kleinsten bekannten Teilchen, die Neutrinos. Da diese sich mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durchs All bewegen, neigen sie dazu, die Verteilung der Materie zu glätten – was untersucht werden kann, indem man die Entwicklung der Galaxienhaufen über die Zeit analysiert.
Neuen Wert für Neutrinomasse bestimmt
»eROSITA sagt uns, dass sich das Universum während der gesamten kosmischen Geschichte verhalten hat wie theoretisch erwartet«, sagt Vittorio Ghirardini, Postdoc am MPE und verantwortlich für die kosmologische Studie, laut einer Pressemitteilung. »Es gibt keine Unstimmigkeiten mit dem Mikrowellenhintergrund – vielleicht können sich die Kosmologen jetzt ein wenig entspannen.« Man stehe zudem kurz vor einem Durchbruch bei der Messung der Gesamtmasse der Neutrinos, fügt Ghirardini hinzu. »Wir müssen diese nur noch mit Neutrinoexperimenten auf der Erde zusammenbringen.« Die Entwicklung der Galaxienhaufen in den eROSITA-Daten ergibt eine Obergrenze für die Gesamtmasse von 0,22 Elektronvolt; in Kombination mit den CMB-Daten verringert sich diese sogar auf 0,11 Elektronvolt. Mit Hilfe des erdgebundenen Teilchenphysik-Experiments KATRIN ermittelten Fachleute zuletzt eine Neutrinomasse von maximal 0,8 Elektronvolt.
Die Daten von eROSITA können aber noch mehr über die Beschaffenheit des Universums verraten. Bereits Albert Einstein sagte auf der Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie voraus, dass große kosmische Strukturen während der Entwicklung des Universums mit einer bestimmten Geschwindigkeit wachsen sollten. Mit eROSITA kann diese Wachstumsrate ermittelt werden.
Der Datenkatalog umfasst bislang 930 000 Einträge und deckt die westliche Hemisphäre gesehen vom Zentrum unserer Galaxis ab. Er trägt die Bezeichnung eRASS1, was für den ersten eROSITA-All-Sky-Survey-Katalog steht. Dass dieser »nur« die Hälfte des Röntgenhimmels abdeckt, liegt daran, dass sich eROSITA an Bord des russischen Forschungssatelliten Spektr-RG befindet. Im Vorfeld der Mission war abgesprochen worden, dass als Ausgleich für den Start und Betrieb des Röntgenteleskops die östliche Hemisphäre den russischen Kollegen zur Auswertung überlassen wird. Wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine ist die Zusammenarbeit aber aufgekündigt worden, so dass nun ein neuer Eiserner Vorhang den Röntgenhimmel teilt. Seit dem Jahr 2022 zeichnet das Teleskop vorerst keine neuen Daten mehr auf.
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