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News: Genetische Gewaltspirale?

Ist kriminelles Verhalten einfach nur das Ergebnis von Gewalterfahrung und Missbrauch oder eventuell genetisch fixiert? Offenbar spielen beide Komponenten eine wichtige Rolle.
Wer in einem intakten Elternhaus aufgewachsen ist, der kann sich glücklich schätzen. Doch für viele Kinder trifft das nicht zu. Hängt der Haussegen schief oder ist Alkohol im Spiel, lassen Eltern oft ihre angestaute Wut an den schwächsten Familienmitgliedern aus – ihren Kindern. Häufig werden sie dann emotional vernachlässigt, geschlagen oder im schlimmsten Fall sexuell missbraucht. Welchen Schaden solche traumatischen Erfahrungen anrichten können, zeigt sich jedoch oft erst Jahre danach: Viele der misshandelten Opfer werden aufgrund ihrer seelischen Narben selbst überaus aggressiv, gewalttätig und beginnen eine kriminelle Laufbahn.

Zahlreiche Forscher beschäftigen sich daher damit, wieso manche Gewaltopfer ihre Erlebnisse auf diese Weise verarbeiten. Dabei taucht eine Streitfrage auf, die unter Verhaltensforschern immer wieder heftig diskutiert wird: Wird unser Verhalten ausschließlich von unserer Umwelt bestimmt, oder existieren auch genetische Ursachen für beispielsweise Aggression und Gewaltbereitschaft?

Um diesen Verdacht zu klären, führten Wissenschaftler um Terrie Moffitt von der University of Wisconsin-Madison eine Langzeitstudie an Männern in Neuseeland durch. Über einen Zeitraum von 26 Jahren – beginnend mit der Geburt – sammelten die Forscher Daten über das familiäre und soziale Umfeld von 442 Teilnehmern. Sie untersuchten dabei, ob und in welchem Grad die Männer in ihrer Kindheit körperlich und seelisch misshandelt wurden und wie häufig diese Erlebnisse letztendlich im Erwachsenenalter zu einem asozialen Verhaltensmuster führten.

Zu den Kriterien für solch ein Verhalten zählte unter anderem, ob die Teilnehmer sich als Kind prügelten, stahlen oder Regeln missachteten und später als Erwachsene mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt gerieten oder allgemein aggressiv auftraten. Um die Frage nach einer möglichen erblichen Veranlagung für diese Wesensentwicklung zu klären, nahmen die Forscher ein spezielles Gen unter die Lupe. Der betreffende DNA-Abschnitt codiert für ein Enzym namens Monoaminoxidase A (MAOA), welches bei der Signalübermittlung im Gehirn überschüssige Mengen an Neurotransmitter abbaut.

Als die Forscher die Daten auswerteten, stellten sie tatsächlich fest, dass bei einem Großteil der verhaltensauffälligen Teilnehmer die Sequenz des MAOA-Gens verändert war. Resultat dieser Abweichung ist ein Enzym, welches die unbenötigte Menge neuronaler Botenstoffe nur unzureichend abbaut – ein Überfluss, der jedoch nach Angaben von Moffitt die Aggressivität und den Hang zur Gewalt fördert. Personen, die das abgewandelte Gen in sich tragen und als Kind körperlich und seelisch misshandelt wurden, sind laut Studie neunmal stärker gefährdet, eine gewalttätige und kriminelle Laufbahn einzuschlagen als misshandelte Kinder mit intaktem MAOA-Gen.

"Eine normale Aktivität des Enzyms scheint für eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegenüber traumatischen Erlebnissen wichtig zu sein", erklärt Terrie Moffitt. Die Feststellung, dass Frauen weit weniger häufig aggressiv sind, begründet sie mit der Lokalisation des MAOA-Gens auf dem X-Chromosom. Da Frauen zwei Ausgaben dieses Geschlechtschromosoms besitzen, kann eine zweite, intakte Kopie die fehlerhafte Version kompensieren.

Obwohl es den Forschern geglückt ist, eine von vielen Spuren der Verbindung zwischen Gen und Verhaltensstörung aufzudecken, bleibt fraglich, ob in Zukunft geschlagene und missbrauchte Kinder besser mit ihrem Schicksal umgehen können, wenn sie wissen, dass die Gewalttätigkeit ihres Peinigers auf einem genetischen Defekt beruht.

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