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Parasiten: Würmer in Dosenfisch zeigen Erfolg von Umweltschutz

Ein einzigartiges Archiv enthüllt: Lachse enthalten heute mehr Parasiten als noch vor 40 Jahren. Das allerdings ist keineswegs nur schlecht (außer für die Lachse), denn die schmarotzenden Würmer zeigen, dass sich ihr Ökosystem erholt.
Lachsfilets auf einem Teller mit Zitrone, Knoblauch, Rosmarin und Pfeffer. Ich empfehle aber Zurückhaltung beim Würzen. Gut zubereiteter Lachs braucht nicht viel, Zitrone und Salz reichen völlig aus. Auf der Hautseite bei mittlerer Hitze braten und dazu Petersilienkartoffeln. Der Trick ist, den Fisch so hinzukriegen, dass er zart und saftig bleibt.
Wild gefangene Fische enthalten Parasiten. Um deren Larven im Muskelfleisch abzutöten, wird Lachs in Europa 24 Stunden tiefgefroren.

Zugegeben, die Methode ist ungewöhnlich. Was soll längst abgelaufener Dosenlachs aus den letzten 40 Jahren über den Zustand des Nordatlantiks verraten? Doch tatsächlich zeigen die in den Büchsen mitkonservierten parasitischen Würmer, dass sich Schutzmaßnahmen für Meeressäugetiere wie Seehunde und Wale ausgezahlt haben. Wie ein Team um Natalie Mastick von der University of Washington in Seattle berichtet, nahm die Zahl der etwa ein Zentimeter langen Nematoden der Gattung Anisakis im Fleisch zweier in Konserven eingelegter Lachsarten zu. Das hänge möglicherweise mit der Zunahme der Meeressäugetiere im Ostpazifik zusammen, schreibt das Team in der Fachzeitschrift »Ecology and Evolution«. Die Meeressäuger sind die Hauptwirte der Anisakis-Parasiten; in ihnen vermehren sie sich. Außerdem demonstriert die Studie einen Weg, bisher schwer zu gewinnende Informationen über die Populationsgrößen von Parasiten zu erhalten.

Parasiten sind meist unsichtbare, aber dennoch entscheidende Bestandteile von Ökosystemen. Ähnlich wie große Raubtiere sind sie so genannte Ökosystem-Ingenieure, die maßgeblich Populationsgrößen, Nährstoffströme und die Beziehungen zwischen den von ihnen bewohnten Arten steuern. Doch gemessen an ihrer enormen Bedeutung ist über sie nur wenig bekannt. Sie sind sehr klein, leben oft in anderen Organismen und sind entsprechend mühsam zu erforschen. Das gilt auch für die Anisakis-Würmer – diese Parasiten sind besonders interessant, weil ihr Lebenszyklus das gesamte Ökosystem überspannt. Vor allem befallen sie die stark gefährdeten Meeressäuger und die wirtschaftlich wichtigen Lachse, so dass Kenntnisse über ihre Population sowohl für den Artenschutz als auch für die Fischereiwirtschaft interessant sind.

Die Larven der Anisakis-Nematoden leben im Wasser und werden von kleinen Krebsen oder anderen Wirbellosen gefressen. Frisst ein Fisch die Krebse, infizieren die Würmer auch ihn und bilden kleine Zysten im Muskelfleisch. So wandern sie durch die Nahrungskette, bis sie in Meeressäugern wie Seehunden oder Walen landen. In deren Darm vermehren sich die Würmer und geben die nächste Generation ins Wasser ab. Speisefische aus dem Meer, die wild gefangen werden – wie zum Beispiel Lachse –, beherbergen deswegen gelegentlich die Nematoden in ihrem Muskelfleisch.

Bei Menschen verursachen die Parasiten eine zwar vorübergehende, aber doch sehr unangenehme Magenverstimmung, in selteneren Fällen eine entzündliche Darmerkrankung. Abtöten kann man sie, indem man Lebensmittel auf mehr als 60 Grad erhitzt oder bei Temperaturen von weniger als –20 Grad einfriert. Aus diesem Grund muss in Europa roh verzehrter Fisch, zum Beispiel für Sushi, zuvor 24 Stunden tiefgefroren werden. Darum ist es zwar eher unwahrscheinlich, von den Würmern krank zu werden; manchmal jedoch reagieren Menschen, die wiederholt den toten Larven ausgesetzt waren, allergisch. Solche Allergien sind etwa bei Menschen, die rohen Fisch verarbeiten, eine gelegentlich auftretende Berufskrankheit.

Die Nematoden können also als ein Indikator für den Zustand des Ökosystems herangezogen werden – wenn man Daten darüber hat, wie sich ihre Zahl im Lauf der Zeit entwickelt. Das Team um Mastick stieß durch Zufall auf genau so ein Archiv: Dosenlachs aus den Jahren 1979 bis 2019, den die Seafood Products Association, eine Industrievereinigung in Seattle, zur Qualitätssicherung eingelagert hatte. Insgesamt vier Lachsarten, gefangen im Nordostpazifik vor Alaska, fanden sich in den Konserven: Hundslachs (Oncorhynchus keta), Silberlachs (Oncorhynchus kisutch), Buckellachs (Oncorhynchus gorbuscha) und Rotlachs (Oncorhynchus nerka). In der Hälfte der 178 untersuchten Dosen fand die Arbeitsgruppe die Anisakis-Nematoden. Dabei stieg die Zahl der Würmer in Buckellachs und Hundslachs im Lauf der Zeit an, während sie bei den anderen Arten gleich blieb.

Der Anstieg der Parasitenlast gehe vermutlich auf die Zunahme der Populationen der Meeressäuger zurück, nachdem deren Schutz 1972 in den USA gesetzlich verankert wurde, schreiben die Fachleute. Vergleichbare Entwicklungen habe es auch bei anderen Speisefischen gegeben, etwa beim Dorsch in Ostsee und Atlantik. Dass die Parasiten bei zwei der Lachsarten nicht zugenommen hatten, könne an mehreren Faktoren liegen, zum Beispiel an anderen Nahrungsquellen. Eine weitere mögliche Erklärung für die Befunde der Studie sei der Klimawandel, der in bestimmten Szenarien die Parasitenlast ebenfalls erhöhen könnte.

Aus Sicht der Arbeitsgruppe hat die höhere Anzahl der Parasiten eine gute und eine schlechte Seite. Zum einen seien die Parasiten ein Anzeichen dafür, dass sich das in der Vergangenheit stark ausgebeutete Ökosystem nach und nach erhole, schreibt die Arbeitsgruppe in der Veröffentlichung. Zum anderen könnten mehr Parasiten aber auch zu mehr Infektionen und allergischen Reaktionen bei Menschen führen. Außerdem seien Lachse heute weitaus gefährdeter, dadurch könnte die höhere Parasitenlast zu einer Gefahr für die Populationen werden, die sie einst nicht war. Vor allem aber zeige die Studie: Daten über Parasiten – zur Not aus ungewöhnlichen Quellen – können wichtige Zusatzinformationen über die Gesundheit von Ökosystemen geben.

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