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Unterwegs zur Postkutschenzeit: Wer reisen will, muss leiden

Wenn früher die Post abging, war schnelles Ankommen nicht garantiert. Mobilität musste mit Mühsal bezahlt werden, bis die Eisenbahn das Reisen bequem machte.
Umgeworfen
Immer wieder kam es zu Unfällen beim Reisen mit der Postkutsche: Die Wege waren einfach zu schlecht. Farbholzstich um 1895, nach einem Gemälde von Albert Müller-Lingke.

Kurz vor Wasserburg am Inn kam, was kommen musste: Das Rad der Kutsche war gebrochen. Um den Wagen standen ratlos der sechsjährige Wolfgang Amadé Mozart, seine Schwester Nannerl und die Eltern der beiden. Nach München sollte der Weg sie führen, zum Wittelsbacher Kurfürsten, wo Vater und Mutter die außergewöhnlichen Talente ihrer Kinder zu Gehör bringen wollten.

Doch daraus wurde nun erst einmal nichts. Diagnose: Rad ab – sei es, weil die ausgefahrenen Spuren im getrockneten Matsch der Straße zu holperig waren, sei es, weil der Kutscher einen Riss im eisernen Radbeschlag zu lange ignoriert hatte. Jedenfalls war die Reise bis auf Weiteres zu Ende. Klee und glotzende Kühe statt Residenzstadt und Kurfürst. Den Reisenden blieb nichts anderes übrig, als sich die blauen Flecke zu reiben und zu warten, bis herbeigeholte Knechte aus der nahen Mühle das hochbeinige Gefährt ausgeräumt, aufgerichtet und aufgebockt hatten. Der Wagenführer verhandelte derweil mit dem Müller über einen Ersatz des havarierten Teils.

Wer wie die Mozarts 1762 mit der Postkutsche auf Reisen ging, musste sich auf lange Verzögerungen gefasst machen. Hauptursache waren die unbefestigten, stets kaputten Straßen. Sofern man nicht das Glück hatte, auf der stabilen Trasse einer antiken Römerstraße unterwegs zu sein, holperte man über Wege, die den Elementen schutzlos ausgesetzt waren – und im Winter nicht selten an einer fortgeschwemmten Brücke endeten. Gute Straßen? Die würden seine »Subjecte« ohnehin nur zur Landflucht anstacheln, urteilte Preußens Alter Fritz, der König Friedrich II. (1712–1786). Erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts, und das auch nur langsam, setzten sich ingenieurmäßig aufgebaute Straßen mit stabiler Decke durch: die Kunststraßen oder Chausseen, wie sie damals hießen.

Ein anderer Risikofaktor waren die Kutscher. Die Männer auf dem Bock – respektvoll mit »Schwager« angerufen – hatten Zügel wie Reisende fest im Griff. Ihre Rücksichtslosigkeit und ihre Flüche waren sprichwörtlich. Genau wie die »Schmiergelder«, die sie beanspruchten, damit es gut flutschte in der Radnabe und auf der Reise überhaupt. Stillstand war teuer. Schlimmstenfalls bezahlten die Reisenden ihn mit dem Leben, denn noch bis ins 19. Jahrhundert war manche Gegend voll von Wegelagererbanden. Im günstigsten Fall wurde man nur ausgenommen von zwielichtigen Gestalten, die die Hilflosigkeit der Gestrandeten findig auszunutzen wussten. Leopold Mozart (1719–1787) fand es wiederholt zum »Pomeranzenscheißen«, an einer Landesgrenze festzusitzen, während die Angebote der Geldwechsler immer dreister wurden.

»Die Paketpost von Ludlow« | Die »menschliche Fracht« musste es sich mitunter zwischen Gepäckstücken und Postsäcken bequem machen. Die Reisegeschwindigkeit überstieg kaum die eines Fußgängers. Das Gemälde des Schweizer Malers Jacques-Laurent Agasse stammt aus dem Jahr 1801.

Langsam, teuer, gefährlich: Unterwegs zur Mozartzeit

Dabei kostete eine Reise auch ohne Zwischenfall schon genug. So viel, dass Vater Mozart, der als fürsterzbischöflich salzburgischer Vizekapellmeister mit 500 Gulden im Jahr plus Naturalien wahrlich nicht schlecht verdiente, sich mehrfach bis fast in den Ruin verschuldete für sein Reise- und Familienleben. 13 Gulden berappte ein Reisender für die Fahrt von Wien nach Prag. Die Rückkehr von seiner italienischen Reise im Jahr 1788 kostete Goethe 120 Gulden – rund sechsmal so viel, wie ein Bauer seinem Knecht an Mariä Lichtmess für ein Dienstjahr in die schrundigen Hände zählte.

Lust auf Lustreisen hatten bei solchen Preisen allenfalls spleenige Engländer. Und auch die jungen Adligen auf ihren Kavalierstouren dachten nicht nur an die Verlockungen der venezianischen Prostituierten, sondern vor allem an karrierefördernde Begegnungen. Einfache Menschen zogen es vor, gar nicht zu reisen und, wenn es sein musste, »Schusters Rappen« zu besteigen, also ein Paar derber schwarzer Schaftstiefel, mit denen sie erheblich preisgünstiger ans Ziel gelangten – und übrigens nicht viel langsamer. Bevor es Chausseen gab, brachten es die Karossen über den Tag gerechnet maximal auf doppelte Fußgängergeschwindigkeit.

Mit schmerzendem Hintern ins Ziel

Wer reisen musste, brauchte vor allem Leidensfähigkeit. Bei vielen Kutschentypen saßen außen mehr Fahrgäste als innen. Sie waren dem Wetter schutzlos ausgesetzt. Doch selbst, wer sich den teureren Platz im Innenraum leistete, musste oft mit hölzernen Sitzbänken vorliebnehmen, auf denen höchstens Teppiche oder Felle lagen. Solcherlei Sitzgelegenheiten zwangen den jungen Mozart einmal zu einer Art »Sitzstütz«: »Zwei ganze Posten fuhr ich die Hände auf den Polster gestützt und den Hintern in Lüften haltend.« Zwei Posten – das konnten zwei, aber auch acht Stunden sein. Beißende Winterkälte wurde durch Felle um die Beine oder Strohschütten im Fußraum nur unmaßgeblich gemildert. Hinzu kamen die Gerüche der bis zu fünf Mitreisenden und ihres Proviants oder ihr Geschwätz. Gut war es da, wenn das Gegenüber ein paar unterhaltsame Geschichten oder Rätsel auf Lager hatte. Diese ließen sich auch in Büchern nachlesen, die den Namen »Wegkürzer« trugen – eine beliebte Lektüre in der frühen Neuzeit, die manchmal wohl bitter nötig war.

Von York nach London | Innovationen im Postkutschenbetrieb kamen immer wieder aus England, so auch die Einrichtung von Schnellreisewagen: Die Diligencen donnerten bald nach eng getaktetem Fahrplan auf den neuen Chausseen dahin. Das Gemälde von Gilbert S. Wright (1880–1958) zeigt eine Postkutsche zwischen York und London.

Mit dem Selbstlesen war es keine einfache Sache: Das stete Schüttern des Wagens hielt die Reisenden nicht auf ihren Sitzplätzen. Mal kippten sie ihrem Nachbarn auf den Schoß, mal schleuderte es sie gegen das Fenster, mal ihrem Gegenüber auf die Knie. Wenn Goethe im Gedicht das Leben mit einer rasenden Kutschfahrt verglich, dann schrieb er ganz gewiss nicht im Wagen auf seinen Knien, sondern abends in der Herberge.

Ein Monopolist lässt sich Zeit

Dabei hätte alles so schön werden können. Im Jahre des Herrn 1597 erteilte Kaiser Rudolf II. dem Geschlecht der Fürsten von Thurn und Taxis das »hochbefreite kaiserliche Regal« (sprich: Monopol), Briefe, Wertsachen und Geld durchs Reich zu schaffen. Die Botschaft war: Macht mal, ich halte euch derweil die Konkurrenz vom Leibe.

Und die Fürsten machten. Zunächst in Sachen Briefpost, ab dem Dreißigjährigen Krieg verstärkt dann auch in der Personenbeförderung. Sie etablierten Relationen, wie die Kutschenstrecken hießen. Richteten in unregelmäßigen Abständen von etwa fünf Meilen, also 37 Kilometern, Stationen ein. »Post-Charten«, die Vorläufer heutiger Straßenkarten, zeigten den Weg und die Entfernungen. So konnte jeder ungefähr vorausberechnen, wie lange er oder sein Brief bis ans Ziel brauchen würde.

Konkurrenz | Als Eisenbahnen aufkamen, endete die Ära der Postkutschen. Daran änderten auch Erfindungen wie diese nichts: Der Kran sollte nach Plänen der französischen Eilpost einen nahtlosen Übergang zwischen den beiden Systemen ermöglichen.

Und die Fürsten machten das alles ohne Hast. Denn sie erhielten vom Kaiser eine pauschale Gebühr. Bei solcher Mühsal und Gemächlichkeit wundert es nicht, dass Briefe – und nicht persönliche Begegnungen – zur bestimmenden Form des Gedankenaustausches unter Gebildeten wurden. So sehr, dass das späte 18. Jahrhundert als ein Zeitalter der Briefschreiber gilt. Es brachte sogar den Briefroman als Erzählform hervor. Zahllose wegweisende Werke dieser Epoche, von Samuel Richardsons »Pamela« über Goethes »Werther« bis zu Mary Shelleys »Frankenstein«, sind fiktive Briefwechsel. Märchensammler Jacob Grimm (1785–1863) korrespondierte mit mehr als 1600 Personen.

Ihre Empfänger erreichten die Briefe allerdings nur, wenn sie korrekt von Postsack zu Postsack gingen in den Stationen, wo sie umgeladen werden mussten. Dort konnten auch Wagen repariert und müde Pferde gegen frische getauscht, gefüttert, getränkt oder »geschwemmt«, also gebadet werden.

Für die Menschen gab es Mahlzeiten – wenn man Glück hatte, nicht nur fade Grütze – und ein Nachtquartier – wenn man Glück hatte, nicht verwanzt. Kleinhändler, Dienstleister aller Art und Bettler schwärmten in den Posthaltereien umher. Vielleicht fiel ja eine kleine Münze ab für sie in dieser Epoche allgemeinen, durchgreifenden Mangels.

Hauptsache: Ankommen

An guten Tagen brachte es eine Postkutsche des 18. Jahrhunderts auf Etappen von sieben bis zwölf Meilen, also maximal etwa 80 Kilometer. An schlechten Tagen blieb den Reisenden fast nichts – bis auf den Wunsch nach Siebenmeilenstiefeln und die Hoffnung, es noch vor Einbruch der Dunkelheit in die Sicherheit einer ummauerten Stadt zu schaffen. Denn je später es wurde, desto misstrauischer durchsuchten die Torwachen das Gepäck der Reisenden und desto argwöhnischer befragten sie sie nach ihrem Woher und Wohin, ihren Reisegründen, ihren Vermögensverhältnissen und ihren Krankheiten. Dies schreibt etwa Stadtarchivar Christoph Volaucnik im Jahr 2002 in dem Beitrag »Die Feldkircher Stadttore« im Ortsblatt seiner Vorarlberger Heimatstadt. Ließen die Wächter den Schlagbaum unten oder knallten die schweren Tore zu, galt es, sich mit üblen Vorstadtkaschemmen und dem fahrenden Volk herumzuärgern, das ebenfalls draußen warten musste: Hausierern und Schaustellern, Kesselflickern und Landfahrersippen.

Denn in der Stadt herrschte Enge, und nicht jedem bot sie ihren Schutz. So eng war es, dass oft kleine Öffnungen in der Stadtmauer ausgespart waren. Die Kutscher mussten die Deichseln ihrer Wagen nach draußen schieben, damit niemand in der Dunkelheit darüber stolperte, während die Postillione im Stroh neben ihren Tieren von den Strapazen des harten Schwagerdaseins ausruhten.

Ab geht die Post

Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts professionalisierte sich der Postkutschenverkehr. Aus Frankreich und England schwappte beispielsweise die Einrichtung von Schnellpostkutschen ins heutige Deutschland. Tag und Nacht rasten fürs damalige Empfinden die »Diligencen« genannten Gefährte förmlich auf den Kunststraßen dahin und marterten – besserer Federung sei Dank – ihre Insassen weniger als zuvor. Damit an den Pferdewechselstationen alles schnell über die Bühne gehen konnte, kündigte der Postillion nun sein Kommen von Weitem per Hornsignal an. Die Melodie verriet die genaue Anzahl der Wagen oder Pferde und ob es sich um eine normale, Eil- oder Güterpost handelte.

Postkutschenromantik | »Was kommt dort von der Höh'?« Das ländliche Studentenidyll, gemalt von Paul Hey, entstand zu einer Zeit, als Postkutschenreisen längst zur Ausnahme geworden waren. Das Pferdegespann wurde zum Gegenentwurf einer schnelllebigen Moderne.

Mit einem Mal ging es eben nicht mehr nur ums Ankommen und Dreikreuzeschlagen, sondern um Pünktlichkeit. Damit konkurrierte die Postkutsche mit einem anderen Verkehrsmittel, das zu jener Zeit aufkam und die Pferdekarossen im Eiltempo überholte: der Eisenbahn. Diese war nicht nur schneller und bequemer, sondern auch günstiger. Bald wurden die rumpelnden Vierspänner zum Symbol einer untergehenden Epoche, das Posthorn zum Sound der guten alten Zeit. Als der Dichter Rudolf Baumbach im Jahr 1870 den Text schrieb, der später als Volkslied »Hoch auf dem gelben Wagen« berühmt wurde, dürfte für die meisten Reisenden die Fahrt mit der Postkutsche schon zur großen Ausnahme geworden sein.

Übrigens: »Beim Schwager vorn« zu sitzen wie im Volkslied war weiß Gott kein Privileg, wie uns romantische Verklärung weismachen will. Zwar sah man vom Bock aus »Felder, Wiesen und Auen« besser als durch die vom Staub blinden Fenster. Aber gleichzeitig war man den Elementen und dem, was die Pferdehufe nach hinten schleuderten, nahezu schutzlos ausgesetzt – von den Ausfällen des Kutschers ganz abgesehen. »Beim Schwager vorn«, das war der billigste Platz. Der Platz für die Habenichtse, die die Dichter, ihrer Besitztümer und steifen Zeremonien müde, so romantisch verklärten.

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