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Warkus' Welt: Der kleine, aber feine Unterschied

Kann man einen Satz auf verschiedene Arten verneinen? Unser Kolumnist Matthias Warkus ist fasziniert von der Diskussion, die Sprachphilosophen bereits seit geraumer Zeit führen.
Illustration Köpfe und Sprechblasen

Betrachten Sie einmal die folgenden beiden Sätze: »Ich finde, dass dein Hund nicht übel riecht.« »Ich finde nicht, dass dein Hund übel riecht.« Wo ist der Unterschied? Gibt es einen Unterschied?

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber je länger ich darüber nachdenke, desto schwieriger finde ich es, den Finger genau darauf zu legen. Man kann es folgendermaßen sehen: Der erste Satz drückt ein Urteil aus. Eine Person ist der Ansicht, dass eine bestimmte Behauptung über den Hund einer anderen Person wahr ist (beziehungsweise dass ein bestimmter Sachverhalt der Fall ist, der diesen Hund involviert). Der zweite Satz drückt einen Verzicht auf ein Urteil aus. Eine Person hält fest, dass sie nicht der Ansicht ist, dass eine bestimmte Behauptung über den Hund einer anderen Person wahr ist (beziehungsweise dass sie nicht meint, dass der entsprechende Sachverhalt der Fall ist).

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Umgangssprachlich verwenden wir die beiden Sätze gleichbedeutend. Aber gibt es da nicht einen tief greifenden Unterschied? Ist es denn nicht etwas ganz anderes, einen Satz für falsch zu erklären, als ihn nicht für wahr zu erklären?

Ein beliebtes Bild, das in der Logik und Sprachphilosophie verwendet wird, um solche Fragen zu klären, ist das des »Behauptungsblatts« oder »Urteilsblatts«: Man stellt sich vor, dass die Behauptungen, die man für wahr erklärt, auf ein Blatt Papier geschrieben werden – zum Beispiel symbolisch. »R(h)« könnte dabei für »Dein Hund riecht übel« stehen und »¬R(h)« für »Dein Hund riecht nicht übel«.

Wie kann man nun den Satz »Ich finde nicht, dass dein Hund übel riecht« zu Papier bringen? Wäre es einfach ebenfalls »¬R(h)«?

Ein leeres Blatt?

Man könnte es auch so versuchen: Da der zweite Satz kein Urteil ist, könnte es der Fall sein, dass der Hund übel riecht oder auch nicht. Die ihre Meinung äußernde Person kann es eben nicht beurteilen. Man kann den Satz sozusagen nur auf das Behauptungsblatt schreiben, indem man gar nicht erst etwas hinschreibt. Aber ist es wirklich so, dass der zweite Satz nichts behauptet? Ist die Welt, nachdem er geäußert wurde, genauso wie vorher? Die Person, die ihn äußert, hat sich damit doch immerhin sozusagen darauf verpflichtet, nicht zu urteilen, der Hund rieche übel. Und Hunde riechen nun einmal entweder übel oder nicht. Es gibt kein Dazwischen.

Hunde riechen nun einmal entweder übel oder nicht. Es gibt kein Dazwischen

Es gibt also offensichtlich mehrere Arten, einen Satz zu verneinen, die möglicherweise auf unterschiedlichen Ebenen spielen – oder eben auch nicht. Gottlob Frege (1848–1925), einer der Begründer der modernen Logik und Sprachphilosophie, verwendete in seiner logischen Notation eigens ein Zeichen, mit dem er »bloß ausgedrückte« von »als wahr behaupteten« Gedanken unterschied; Ludwig Wittgenstein (1889–1951) hingegen vertrat die oben beschriebene, bis heute dominierende Position, dass alles, was auf dem Behauptungsblatt steht, als wahr behauptet wird. Der Konflikt zwischen den beiden Standpunkten ist aber alles andere als beigelegt – eine entsprechende Suche bei »Google Scholar« wirft allein aus den vergangenen zehn Jahren mehr als 1400 Treffer aus.

Mich persönlich hat der Unterschied zwischen dem Machen einer verneinten Behauptung und dem Verneinen des Machens einer Behauptung immer fasziniert, obwohl oder vielleicht gerade, weil ich kein Logiker bin. Als ich Anfang 20 war, schien das Thema für mich eine unglaubliche Tiefe zu haben. Jetzt bin ich fast 40 und frage mich manchmal, ob der Unterschied vielleicht doch nicht einfach nur trivial ist. Aber ganz sicher bin ich mir auch da nicht.

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