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News: Intelligenzbestien nach Maß?

Als umfangreichste Struktur unseres Gehirns ist die Großhirnrinde Sitz unseres Intellekts und unterscheidet uns dadurch von vermeintlich "niedereren" Tieren. Durch Manipulation des Großhirnrindenwachstums bei Mäusen könnten Forscher den Schlüssel zur maßgeschneiderten Intelligenz in der Hand halten.
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Das Prinzip der Oberflächenvergrößerung ist so einfach wie genial und deshalb in der Natur in fast sämtlichen Strukturen verwirklicht. Sei es in der Lunge, den Mitochondrien oder bei den zahlreichen Darmzotten: Überall macht die Oberflächenvergrößerung die entsprechende Funktion effizienter und erlaubt die bestmöglichste Nutzung des oftmals stark eingeschränkten Platzangebots.

Ein wahrer Meister der Oberflächenvergrößerung ist das menschliche Gehirn, genauer gesagt die Großhirnrinde. In vielfachen Windungen und faltigen Strukturen überzieht sie wie ein Mantel als "graue Substanz" die restlichen Teile unseres Gehirns. Dank dieses Phänomens können wir anspruchsvolle Aufgaben lösen, was die Großhirnrinde zum Sitz unseres Intellekts macht. Sie verarbeitet und speichert aber auch Assoziationen und stellt für alle sensorischen und motorischen Reize die Eintrittsschwelle in tiefere Regionen unserer lebenswichtigen Schaltzentrale dar.

Die Evolution des Gehirns hat jedoch nur bei uns Menschen solche enormen Veränderungen der Rindenstruktur hervorgebracht. Andere Wirbeltiere wie Katzen, Mäuse oder Vögel besitzen eine vergleichsweise glatte Hirnrinde. Umso verwirrender scheint es, dass unsere Denkfabrik bis kurz vor der Geburt schon vollständig entwickelt ist. Bis dahin enstanden aus speziellen, teilungsfähigen Vorläuferzellen Millionen und Milliarden an Neuronen. Nach Abschluss der Gehirnbildung ist jedes abgestorbene Neuron für uns jedoch ersatzlos verloren, da diese Zellen im Vergleich zu anderen Körperzellen nicht regenerierbar sind.

Anjen Chenn von der Northwestern University und Christopher Walsh vom Beth Israel Deaconess Medical Center beschäftigten sich mit der Frage, wie und warum die menschliche Hirnrinde solche Ausmaße annimmt. Ihr Augenmerk richtete sich dabei auf ein spezielles Protein, welches vermutlich an wichtigen Signalwegen innerhalb des Hirnwachstums teilnimmt und dieses dadurch steuert.

Von beta-Catenin, so der Name des Proteins, war außerdem bekannt, dass es auch in Tumoren stark aktiviert wird. Um Licht ins Dunkel zu bringen, schufen die Wissenschaftler gentechnisch veränderte Mäuse, die beta-Catenin im Übermaß produzierten und beobachteten anschließend die Entwicklung der Mäusegehirne.

Das Ergebnis war verblüffend: Die Großhirnrinde der Mäuse hatte sich dramatisch verändert und wies eine starke Oberflächenvergrößerung auf, ähnlich der der menschlichen Hirnrinde.

Die Forscher erklären dieses Phänomen mit einer Art Schalterwirkung des beta-Catenins. Scheinbar erteilt das Protein den Vorläuferzellen im Gehirn den Befehl, sich weiter zu teilen, um somit mehr neuronale Nachkommen zu produzieren. Ist nicht ausreichend beta-Catenin vorhanden, stoppen die Vorläuferzellen ihre Neuronen-Produktion und entwickeln sich selbst zu solch einem Signalvermittler. Ist diese Umwandlung vollzogen, gibt es kein zurück mehr.

Mit ihren Ergebnissen hoffen die Wissenschaftler die Entstehung des Gehirns besser begreifen und ihre Erkenntnis in der Behandlung bestimmter Krankheitsbilder einsetzen zu können. Patienten, die davon profitieren könnten, wären beispielsweise in ihrer geistigen Entwicklung gehemmte Kinder, deren Großhirnrinde im Vergleich zu normal entwickelten Kindern um einiges kleiner ist und deshalb nicht die rindentypische Struktur besitzt.

"Wir wissen zwar noch nicht, ob diese Unterentwicklung bei Kindern mit einem Mangel an beta-Catenin einhergeht", erklärt Walsh, "doch wenn wir die Regulation der Größe der Hirnrinde besser verstehen, könnten ebenfalls Fortschritte in der Untersuchung der Hirnentwicklung, der Evolution des Gehirns und eventuell sogar in Zusammenhang mit der Krebsforschung erzielt werden."

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