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Neue Fraktale: Fraktale Perlen

Es behaupte niemand, die Ergebnisse der Mathematik seien dem Publikum grundsätzlich unzugänglich. Immerhin hat Ende der achtziger Jahre die Welle der Fraktale die damals noch schmächtigen PCs überrollt. Ihre Benutzer, in der Regel des Programmierens mächtig, zauberten Apfelmännchen, unendlich versponnene Netze, Spiralen aus Spiralen und noch viel mehr in den wildesten Farben auf die Bildschirme. Wenig später kursierten vorgefertigte Programme, mit denen auch der blutigste Amateur in die unerschöpflichen Tiefen der Mandelbrot-Menge eintauchen und einen Rausch von Farben und Formen erleben konnte.
Von der Mathematik musste der Anwender zunächst keine Ahnung haben. Die drang allerdings mit der Zeit schleichend, fast schmerzfrei in seinen Kopf. Wer sich lange genug Fraktale anschaut, bei dem bleibt unweigerlich eine gewisse Vorstellung von Selbstähnlichkeit oder der Iteration von Abbildungen hängen. Mit dieser Vorprägung ist der Schritt zur richtig harten Mathematik nicht mehr so schwer, und Ideen wie die nicht-ganzzahlige Dimension werden auf die Dauer sogar fast anschaulich.

Die klassischen Fraktale sind etwas aus der Mode gekommen; aber das Rezept "schau dir schöne Bilder an, dann kommt die Einsicht in die Mathematik fast von allein" ist in jüngerer Zeit mit spektakulärem Erfolg angewandt worden. Diesmal nicht in erster Linie von den Amateuren, sondern von den echten Mathematikern. Die waren dann auch bass erstaunt über den unkonventionellen Zugang zu ihrem Fach, in dem das Experiment traditionell keinen besonders prominenten Platz hat. Die Rede ist von David Mumford, Caroline Series und David Wright und ihrem Buch "Indra's Pearls", das bei seinem Erscheinen in der Fachwelt für Aufsehen sorgte. Das Werk handelt immer noch von Fraktalen, aber diesmal von einer ganz besonderen Art.

"Nach einer alten Legende gibt es in dem Himmel des altindischen Gottes Indra ein unendlich ausgedehntes Netz, feiner als ein Spinnennetz und an jedem Kreuzungspunkt seiner durchsichtigen Fäden mit einer spiegelnden Perle versehen. In jeder Perle erscheinen so die Spiegelbilder aller anderen Perlen, die Spiegelbilder dieser Spiegelbilder, und so fort bis ins Unendliche." Von dieser Legende hat das Buch seinen Titel – und das Bild beschreibt treffend, wie diese Fraktale aussehen und wie sie zu Stande kommen, nämlich durch eine im Prinzip unendliche Folge gewisser Spiegelungen.

Vor mehr als 100 Jahren war der große Mathematiker Felix Klein auf sie gestoßen – und scheiterte, weil sie sein Vorstellungsvermögen überstiegen. Mumford, Series und Wright haben nun die Krücken der Computergrafik, die Klein noch fehlten, zur Perfektion weiterentwickelt und wesentliche Teile ihrer Theorie, die Kleins Werk vollendete, durch Hinschauen und Ausprobieren am Computer gefunden. (Sie hinterher nach den Regeln der Kunst zu beweisen war dann eine Sache für sich.) Inzwischen sind die Krücken so gut, dass selbst Schüler damit zum Ziel humpeln können.

Christoph Pöppe, Redakteur bei der Zeitschrift "Spektrum der Wissenschaft", hat genau das erprobt. Im Rahmen der BMBF-geförderten Deutschen SchülerAkademie haben unter seiner Leitung im vergangenen Sommer 16 hochbegabte Schülerinnen und Schüler sich in einem reichlich zweiwöchigen Kurs so intensiv in die Materie eingearbeitet, dass man am Ende die schönsten Computergrafiken erstellen konnte –und zwar nicht nur die, die schon im Buch standen.

Komplexe Zahlen, stereografische Projektion, Möbius-Transformationen, Schottky-Kreise, freie nicht-abelsche Gruppen, Baumstrukturen, apollonische Kreispackungen – da war eine Menge Stoff zu bewältigen. Gewisse Dinge erschlossen sich den Teilnehmern erst, nachdem sie schnöde Übungsaufgaben durchgerechnet hatten. Da dauerte es dann etwas länger, bis echte Begeisterung aufkam.

So viel Geduld will man natürlich dem Leser von "Spektrum der Wissenschaft" nicht abverlangen. Der Artikel zum Thema in der aktuellen Ausgabe (Januar 2008) ist zwar aus der Kursarbeit hervorgegangen, beschränkt sich jedoch darauf, dem Leser die großen gedanklichen Linien zu skizzieren – und erfreut ihn ansonsten mit selbst gefertigten Prachtbildern. Für den, der die Mathematik genauer nachvollziehen will, steht online die Dokumentation des Kurses zur Verfügung.

Weiterführender link: http://klein.math.okstate.edu/IndrasPearls

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, 1/2008
Ein Beleg wird erbeten.

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