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  • Verhandeln nicht betteln: Appell mit fünf Forderungen

    17.12.2011, Markus Dahlem
    Sehr geehrter Herr Prof. Kempen!

    Vielen Dank für Ihre Antwort. Die möglichen Verbesserungen, die der Deutsche Hochschulverband zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz geäußert hat, sind in Teilen sehr allgemein gehalten (nicht in allen). Ich verstehe, wenn dies notwendig war in dieser Form, zu diesem Anlass.

    Ich erlaube mir, mich dem Problem von der anderen Seite zu näheren und folgende Forderungen als fünf neuralgische Punkte für den schon qualifizierten Nachwuchs spezifisch für die Projektleitung zu stellen:

    1. Projektleiter dürfen für die Laufzeit ihrer eigenen Projekte (zumindest erstmalig) befristet werden [Eigenverantwortung].
    2. Potentiellen Projektleitern in Verbundprojekten wird eine dreimonatige Weiterbeschäftigung garantiert im Fall der Nichtbewilligung [Angemessene Ausfallfrist].
    3. Befristete Projektleiter dürfen Fördermittel bedingungslos mitnehmen [categorical money follows researcher].
    4. Einstellungsvorzug auf Haushaltsstellen für Projektleiter bei gleicher Qualifikation ggf. befristet [Vorzug].
    5. Zum Zweck der Projektleitung dürfen Beschäftigungsverhältnisse in den Grauzonen der Landeshochschulgesetze und im Landesbeamtenrecht nicht ausgespielt werden [Zweckkonforme Anstellung].

    Jeder dieser fünf Punkte würde die Position des Nachwuchses stärken. Kombiniert würden sie, denke ich, eine faire "Waffengleichheit" schaffen. Sie tragen auch der Tatsache Rechnung, das Projektmittel heute eine andere Rolle spielen als noch vor 10 Jahren und Nachwuchs nicht auf Projektstellen abgeschoben werden sollte (zZ im WissZeitVG) sondern diese verantwortlich leiten können muss (Änderung des WissZeitVG).

    Ich will am konkreten Beispiel die Zielführung jedes dieser fünf Punkte verständlich aufzeigen. Denn auf den ersten Blick müssen sie fast schon kurios erscheinen. Das Beispiel dient evtl. auch, um eine weitere Argumentation zu unterfüttern. Es zeigt, wo u.a. bisher der verantwortungsvolle Umgang mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz unterbleibt.

    Vorab: Mein Vorschlag bleibt weit hinter den Forderungen der Gewerkschaften zurück. Nicht das ich diese nicht auch begrüße; die von Frau Sibylle Schwantag (GEW) oben angesprochenen ersten vier Punkte kann ich unterschreiben (nur zu Punkt 5 habe ich mir keine Meinung gebildet).

    Die von mir hier genannten fünf Punkte sind geeignet, das Machtverhältnis im Kampf der Hochschule gegen den Nachwuchs – schlimm, dass ich es so nennen muss – am Ende seiner Qualifizierungsphase auszugleichen und einen fairen Wettbewerb erstmals zu ermöglichen. Damit wäre vielleicht alles erreicht, war zu erreichen wünschenswert ist, zumindest für die Gruppe, die Vollmitglied des Lehrkörpers werden und nicht im Mittelbau verbleiben will. Das mag naiv sein, wenn ich die "Gemengelage" bedenke im vorherigen Kommentar (mein Kommentar hier hat sich überschnitten). Jedenfalls ist das nur ein Aspekt eines größeren Problems. Ich kenne viele, die wollen verhandeln aber nicht betteln.

    Mein Beispiel ist in den genannten Aspekten stereotypisch, unberührt davon sind Besonderheiten gegeben. Ich versuche weitestgehend diese außen vor zu lassen.

    Fallbeispiel zur Erläuterung der fünf genannten Forderungen:

    Der für mich wirklich bedenkliche Abschnitt meiner Befristungskette fing erst nach meiner Qualifikationsphase an. Ich hatte weit über ein Dutzend Arbeitsverträge vorher, aber davon rede ich hier nicht. Damit hatte ich persönlich zum Glück nie ein Problem.

    Nach Studium, Promotion und etwas über 2+4 Jahren PostDoc-Zeit in UK und Deutschland wechselte ich zum achten mal den Ort, zum ersten mal als Familienvater. Meine Frau ist ebenfalls Wissenschaftlerin. Da ist Verständnis gegeben.

    Die Dauer meines neuen Arbeitsvertrages: 6 Monate, die Restlaufzeit in einem Sonderforschungsbereich (SFB). Eine weitere Anstellung war anfangs nicht geplant. Man musste die Mittel ausgeben. Insofern war diese Laufzeit völlig in Ordnung für mich. Jeder hatte einen Vorteil. Ich kam auch nicht als "Bittsteller", denn ich brachte zu meinem neuen Arbeitgeber die gleiche Drittmittel-Stelle in Form einer DFG-Sachbeihilfe noch zusätzlich mit. Man nennt das "money follows researcher", da ist es leichter eine Stelle zu bekommen. Man hat eine gewisse Augenhöhe und das ist gut so.

    Nach 2 der 6 Monaten war erfreulicherweise klar: ich sollte unbedingt in der nächsten und letzten Förderperiode des SFBs weiter mitarbeiten. Ab diesen Zeitpunkt war in meinen Augen eine verantwortungsvolle Personalplanung nun nicht mehr gegeben: Als Projektleiter konnte ich nicht fungieren, denn dann hätte ich a) nicht von den Projektmitteln bezahlt werden dürfen (DFG-Regularien) und b) wäre Projektleitung keine Qualifikationsstelle zu diesem Zeitpunkt mehr. Paradoxerweise, durfte ich mich umgekehrt als PostDoc auf dieser vollen Projektstelle auch nicht in der Lehre weiterqualifizieren (DFG-Regularien) (Ich hatte zuvor nur Vorlesungen in Biologie gehalten, leider nicht in Physik, dieses wäre schon hilfreich gewesen, jenes wurde mir zum Nachteil ausgelegt).

    1. Forderung [Eigenverantwotung]: Projektleiter dürfen für die Laufzeit auch befristet werden, selbst wenn sie aus dem Etat der Hochschule finanziert werden, also die selbstständige Projektleitung wird Befristungsgrund im WissZeitVG, Lehre ist optional.

    Diesen Punkt muss man unbedingt mit Punkt 3 in Verbindung sehen. Und man kann ihn auf eine einmalige Option beschränken inklusive Tenure-track. Dann aber wäre es fair, denke ich.

    Immerhin, ich war namentlich genannt im Projektantrag. Die Verlängerung meines Vertrages erfolgte aber erst nach Bewilligung, d.h. nur wenige Tage vor Ablauf des aktuellen Arbeitsvertrages. Risikoverteilung in Falle eines Scheiterns des Verbundes: absolut einseitig.

    2. Forderung [Mindestlaufzeit Plus Ausfallfrist]: Projektleiter (und namentlich im Antrag genannte Projektmitarbeiter) müssen für den Fall der Nichtförderung mindestens 3 Monate weiter beschäftigt werden, wenn sie zuvor schon angestellt waren, im übertragenen Sinn also eine minimale "Kündigungsfrist" (Befristungsgrund: laufender Antrag auf Projektleitung bzw. -mitarbeit, vgl. 1.).

    Zwei Jahre später, also ein Jahr vor meines nun aktuellen Vertragsendes (ich bekam den Vertrag über die volle Laufzeit von drei Jahren; bei einem Antrag, den man in wesentlichen Zügen mitgeschrieben hat, ist das zum Glück üblich) wurde ich gefragt, ob ich bei einem Graduiertenkolleg und zwei neuen Verbundprojekten weiter mitarbeiten und mein eigenes, sehr spezifisches Forschungsthema dort einbringen will. Hier ist Vorsicht für Projektleiter geboten, den "money follows researcher" gilt im Kolleg und Verbund nicht immer. Man legt sich also wirklich langfristig fest.

    3. Forderung: "Money follows researcher" gilt grundsätzlich bei allen befristeten Projektleitern. Auch aus einem Verbund dürfen Teilprojekte "herausgerissen" werden, was faktisch mit dem Weggang sowieso passiert, bilanztechnisch aber bisher die Hochschule nicht stört. Ein Punkt der eigentlich an die Adresse der DFG gerichtet ist.

    Mir wurde gesagt, ich könne aufgrund der 12-Jahres-Regelung des WissZeitVG noch ein halbes Jahr aus dem Etat der Hochschule finanziert werden, um diesen neuen SFB-Teilantrag zu schreiben und eine eigene Gruppe aufzubauen. So sollte bis zum neuen Förderbeginn die Zeit überbrückt werden. Das stellte sich am Tag der Vertragsunterzeichnung als falsch heraus. Zum ersten mal in meinem über 15 Jahre andauernden Arbeitsleben war ich arbeitslos, von – wortwörtlich – heute auf morgen, für immerhin 20 Tage. Ich wurde dann als Gastdozent eingestellt, um nun zusätzlich 8 SWS Lehre zu leisten und den Antrag zu schreiben, dafür mit 600Euro weniger Gehalt als zuvor schon fest zugesagt wurde. Ein halbes Jahr lang, länger nicht, hieß es.

    Ab Projektlaufzeit sollte es in Form einer eigenen Nachwuchsforschergruppe weiter gehen. Hausberufungsverbot (sic), Altersbeschränkung und angebliche Intransparenz in einer Ausschreibung (alle drei Punkte hanebüchener Unsinn, dafür umso wirkungsvoller in Form eines Vetos durchgesetzt) verhinderten diesmal diesen Vertragsabschluss, der, wie der vorherige, in der Personalabteilung zur Unterschrift nach einstimmigen Institutsratsbeschluss über Monaten bereit lag. Dabei sollte ein Einstellungsverbot (es war keine Berufung) bei zwingend befristen Stellen umgekehrt gehandhabt werden: Bewerber aus dem eigenen Stall, die sogar schon weitere Projektleitungen durchführen (und nicht mal an dieser Hochschule promoviert wurden) sollte eine eigene Projektleitung zum Vorteil gereichen (bei ansonsten gleicher Qualifikation) und nicht dreiste Unterstellungen gemacht werden. Das pervertiert den ursprünglichen Sinn des Hausberufungsverbot. (Man sehe mir meine Ausführlichkeit in diesem Punkt nach, aber er ist sehr gut geeignet die fehlende Logik des Systems offen zu legen. Viele erleben ähnlich verquere und beliebige "Argumente", siehe Zitat von Frau Schwantag: "unbefristete Verträge fürchten wie der Teufel das Weihwasser". Darum geht es hier.)

    4. Forderung [Vorzug]: Projektleitung ist bei befristeten Stellenauschreibungen, die selbstbestimmtes Forschen und Lehren ermöglichen, als Vorteil zu werten (Einstellungspflicht bei gleicher Qualifikation).

    (Dies ist in UK sogar bei unbefristeten Stellenauschreibungen Pflicht an Hochschulen!)

    Heute bin ich immer noch als Gastdozent tätig. Und dafür gibt es nur einen Grund: weil diese Alternative im BerlHG verfügbar war. Mit einer Gesamtlaufzeit von viereinhalb Jahren und einem monatlichen (außertariflichen) Bruttoverlust von über 800Euro verglichen zu dem Tariflohn, den ich mittlerweile bekäme, wenn ich mich selber auf einer meiner eingeworbenen Stellen anstellen dürfte (neben den Verbundprojekten leite ich weitere Drittmittelprojekte), ist das nur eine der Schildbürgergeschichten, die das WissZeitVG schreibt.

    5. Forderung [Zweckkonform]: Jedwede Umgehungen des WissZeitVG durch Grauzonen in den Landeshochschulgesetzen und Landesbeamtenrecht zum hauptsächlichen Zweck der Projektleitung strikt untersagen.


    Jeder dieser 5 Verbesserungsvorschläge würde die Position des wissenschaftlichen Nachwuchses enorm stärken, denn Hochschulen werden selten, wahrscheinlich nie, auf Projekte verzichten und folglich auf Wissenschaftler, die solche erfolgreich einwerben können.

    Lieber Herr Kempen, ich erwarte nicht, dass sie mein Fallbeispiel kommentieren, das wäre nicht angemessen. Aber diese fünf Punkte, kurz zusammengefasst:

    1. Eigenverantwortung.
    2. Ausfallfrist.
    3. "categorical money follows researcher".
    4. Vorzug.
    5. Zweckkonformität.

    könnte sich in meinen Augen der Deutsche Hochschulverband zu eigen machen und einfordern. Bei der zunehmenden Bedeutung der Projektförderung sind dies zentrale Punkte für uns. Ich denke, der DHV würde seinen jungen Mitglieder damit ein sehr wirkungsvolles Instrumentarium in die Hand geben.

    Was passieren würde? Ich wage folgendes vorauszusagen: In der Endphase und auch nach abgeschlossener Qualifikationsphase des Nachwuchses – der heute noch immer „der Sache nach ... Assistent“ bleibt ohne eine Berufung, „oft bis ins vierte und fünfte Lebensjahrzehnt hinein“, wie Prof. Kreckel anmerkt [1] – der Nachwuchs also, wird nun die Möglichkeit haben und sie zu nutzen wissen, sich aus diesem Abhängigkeitsverhältnis herauszulösen und statt „als Teil der 'Ausstattung' der Professur verstanden“ [1] zu werden, nun um die Umwandlung einer „Assistenzstelle“ in eine Dauerstelle effektiv verhandeln können, die ihm bei Erfolg selbstbestimmtes Forschen und Lehren ermöglicht.

    Mein Appell an die Gesetzgebung und Fördergeber: geben sie uns die Möglichkeit, um unsere Zukunft verhandeln und nicht betteln zu müssen! Wissenschaftler die kämpfen können, brauchen wir. Wissenschaftler die betteln können nicht.


    [1] Kreckel, Reinhard, „Universitäre Karrierestruktur als deutscher Sonderweg“. In: Himpele, K./Keller, A./Ortmann, A. (Hg. ), Traumjob Wissenschaft? Karrierewege in Hochschule und Forschung. Bielefeld: C. Bertelsmann 2011, S. 47 – 60.
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