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Persönlichkeit: Sind Psychopathen besonders intelligent?

In der Vergangenheit galt dies als ein wichtiger Bestandteil der Psychopathie. Doch heute sieht die Wissenschaft das etwas anders.
Böser Blick

Der Mythos vom psychopathischen Genie befeuert regelmäßig die Fantasie von Filmemachern. Bekanntestes Beispiel: die Figur des Hannibal Lecter in dem Gruselthriller »Das Schweigen der Lämmer«. Doch sind Psychopathen wirklich nicht nur böse, sondern auch besonders intelligent?

Hervey Cleckley (1903–1984), der Urvater der US-amerikani­schen Psychopathieforschung, hielt Intelligenz tatsächlich für ein Kernelement der Psychopathie. Heute sehen Forscher dies differenzierter: Psychopathie betrachten sie nicht mehr als einheitliches Krank­heitsbild, sondern als ein Syndrom mit verschiedenen »dunklen«, aber auch »hellen«, das heißt sozial erwünschten Persönlichkeitseigenschaften, die nicht immer gemeinsam vorliegen müssen. Außerdem stellen diese ein Kontinuum dar: Wir alle haben mehr oder ­weniger stark ausgeprägte psychopathische Persönlichkeitsanteile. Innerhalb des Syndroms der Psychopathie werden zumeist interpersonelle, affektive, impulsive und antisoziale Merkmale unterschieden.

Das interpersonelle Element wird oft als Kühnheit oder furchtlose Dominanz bezeichnet. Personen mit hoher Ausprägung auf dieser Dimension sind im sozialen Umgang selbstsicher, durchsetzungsstark und überzeugend, dazu meist sehr stressresistent und furchtlos. Diese Eigenarten sind für die Betreffenden häufig von Vorteil und schaden dem Umfeld selten. Der affektive Anteil der Psychopathie, auch bekannt als Kaltherzigkeit, beschreibt hingegen eine dunkle Seite des Phänomens: Den betreffenden Personen mangelt es an Mit­gefühl mit den Leiden und Sorgen anderer. Oft erleben sie ­Gefühle insgesamt weniger intensiv. Das nächste Element, die Impulsivität, macht Menschen unkalkulierbar, denn sie richten mit ihrem hemmungslosen Verhalten leicht Schaden an. Die Verantwortung für ihre Taten schieben sie allerdings ab. Die rücksichtslose Verletzung sozialer Regeln zum eigenen Nutzen kennzeichnet schließlich die antisoziale Komponente der Psychopathie. Diese hat sie mit der antisozialen Persönlichkeitsstörung gemein.

Doch sind Psychopathen nun überdurchschnittlich scharfsinnig? Können sie schneller und präziser logi­sche Zusammenhänge erkennen oder sich besser an Details erinnern als andere Menschen? In einer Meta­analyse von 2013, die viele Einzelstudien zur Psychopathie bei Berufstätigen zusammenfasste, zeigte sich kein stabiler Zusammenhang zwischen Psychopathie und Intelligenz. Eine neuere Arbeit aus dem Jahr 2019, die auch Betroffene in Haftanstalten und in psychiatrischen Einrichtungen untersuchte, kam zu einem anderen Ergebnis: Psychopathische Eigenschaften, insbesondere die impulsive, kaltherzige und antisoziale Komponente, gingen hier eher mit niedrigeren kognitiven Fähigkeiten einher. Ähnliche Befunde existieren in Bezug auf die antisoziale Persönlichkeitsstörung.

Betrachtet man allerdings die interpersonellen Aspekte – vereinfacht gesagt die »gute Seite« der Psychopathie –, so ergibt sich ein abweichendes Bild. Studienübergreifend finden sich zwar relative kleine, aber positive Zusammenhänge mit Intelligenz. Eigenschaften wie selbstsicheres, dominantes Auftreten sowie Kühnheit und Furchtlosigkeit treten zudem unabhängig von antisozialen Tendenzen auf. Die Betreffenden sind zwar nicht unbedingt hochbegabte Genies wie ein Hannibal Lecter, jedoch im Schnitt leicht überdurchschnittlich ­intelligent. Im Einzelfall kann es vorkommen, dass ­jemand zugleich starke psychopathische Tendenzen und eine hohe Auffassungsgabe hat. Solche »Intelligenzbestien« bleiben uns freilich wohl einfach stärker im Gedächtnis haften als ebenso problematische Leute, die nur eben keine so hellen Köpfe sind.

Fazit: Ausgeprägt psychopathische Menschen sind in der Tendenz sogar eher weniger intelligent – mit Ausnahme von Personen, bei denen sozial erwünschte, interpersonelle Merkmale deutlich hervortreten. Wenn Sie also das nächste Mal einem psychopathischen Genie in einem Spielfilm begegnen, denken Sie daran: Außergewöhnliche Geschichten mögen die Fantasie von Thriller-Autoren und Filmemachern beflügeln, im wahren Leben aber sind psychopathische Genies nicht die Regel, sondern seltene Ausnahmen.

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  • Quellen

O’Boyle, E. H. et al.: A meta-analytic review of the dark triad-intelligence connection. Journal of Research in Personality 47, 2013

Sánchez de Ribera, O. et al.: Untangling intelligence, psychopathy, antisocial personality disorder, and conduct problems: A meta-analytic review. European Journal of Personality 33, 2019

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