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Das mysteriöse Olbers-Paradoxon: Warum ist es nachts dunkel?

Silhouette eines Menschen, der nachts die Milchstraße betrachtet.

Nachts ist's dunkel, weil die Sonne fehlt? Geschenkt: Schon im 16. Jahrhundert kamen Astronomen nach ernsthaftem Nachdenken zu dem Schluss, unser Himmel müsse eigentlich auch nach Sonnenuntergang von den Abermillionen Sternen des Alls taghell erleuchtet sein. Dass der Nachthimmel sich nicht an die Theorie hält, kennen Kosmologen seit den 1950er Jahren als "olberssches Paradoxon".

Der Namenspatron war Wilhelm Olbers aus Bremen, ein Arzt und Astronom, der sich dem Rätsel 1826 im Fachblatt "Astronomisches Jahrbuch" streng wissenschaftlich genähert hatte. Dabei war Olbers weder der Erste noch der Letzte mit einem Interesse an "seinem" Paradoxon, und außerdem lag er mit seiner Darstellung ziemlich daneben. Schon damals war somit aber dokumentiert, wie schwer die kontrafaktische Idee vom taghellen Nachthimmel tatsächlich zu widerlegen ist. Versucht haben das Astronomen über die Jahrhunderte mit einigen Erklärungsansätzen, von denen aus heutiger Sicht einige halbwegs richtig und ein paar mehr jedenfalls amüsant sind.

Unendlich viele Sterne?

Im Wesentlichen steht und fällt die Idee mit der Frage, wie viel Sternlein eigentlich stehen, und ist somit eine Rechenaufgabe. Das meinte auch Olbers: Wie groß, überlegte er, muss die Zahl von Sternen um die Erde sein, damit sie zusammen den gesamten Himmel abdecken? Auf der Basis des astronomischen Wissens seiner Zeit vor knapp 200 Jahren schätze er die Dichte von Sternen in unserer Milchstraße und extrapolierte: Wenn im All die Sterne gleich dicht wie in der beobachtbaren Nachbarschaft und homogen verteilt stehen, dann trifft unser Blick an jeder Stelle nach spätestens 1016 Lichtjahren auf Sternenlicht. Anders ausgedrückt: Hat das Universum um unsere Erde als Mittelpunkt herum einen Radius größer als 1016 Lichtjahren (und enthält die vorher angenommene Sternendichte), dann ist der gesamte Himmel von all den kleinen oder großen Sternscheibchen völlig bedeckt – und taghell. Das Ergebnis der Rechenaufgabe mündete dann auch im Paradox: Die Astronomiegemeinde zu Olbers' Zeiten konnte sich ein nicht unendliches All – also eines, das den Radius 1016 Lichtjahre nicht unendlich übersteigt – gar nicht vorstellen. Warum ist es also trotzdem nachts dunkel?

Schatten vom Sternenlichtfilter?

Olbers' Erklärungsansatz war nun ganz pragmatisch: Blockiert vielleicht irgendetwas da draußen im All das Sternenlicht? Vielleicht Staubwolken? Das hatte bereits 80 Jahre vor dem Bremer Sterngucker der Kometenforscher Philipp Loys de Cheseaux als Idee formuliert. Allerdings: Strahlungsenergie verschwindet im Vakuum des Alls nicht einfach allmählich. Blockiert Staub oder andere Materie ihren Weg, so müsste sie diese so lange aufheizen, bis die Staubwolken selbst energiereich hell wie ein Stern strahlen – eine Hypothese, die Astronomen heute zwar bestätigen, aber immer noch nicht exakt durchrechnen können. Den letzten Versuch machte gerade erst Christopher Conselice von der University of Nottingham mit Kollegen, die Daten des Hubble-Teleskops zusammengeworfen haben. Nun meinen sie, dass Staub und Gas wirklich im Licht weit entfernter Sterne und Galaxien aufleuchten. Doch diese geben dann viel der Energie in Form infraroter und ultravioletter Wellenlängen wieder ab – was für menschliche Augen unsichtbar ist und den Nachthimmel hierzuplanete nicht aufhellen würde. So gesehen kann sichtbares Sternenlicht also tatsächlich aus dem Auge des irdischen Betrachters "verschwinden".

Die Sache mit der Rotverschiebung

Tatsächlich braucht es, um Wellenlängen für uns unsichtbar zu machen, nicht unbedingt Staub – genug Zeit und enorme Entfernung reicht auch. So hatte schon 1955 hatte der Kosmologe Hermann Bondi darauf hingewiesen, dass die so genannte Rotverschiebung in unserem expandierenden Universum den Nachthimmel insgesamt dunkler macht, als er in einem nicht expandierenden, also statischen All wäre: Weil die weit entfernte Sterne sich von uns wegbewegen, verschiebt sich auch die Frequenz ihres im sichtbaren Bereich abgegebenen Lichts von uns aus gesehen nach und nach ins Langwellige und schließlich ins nicht sichtbare Infrarot. Der gleiche Effekt sorgt dafür, dass die aus weiter Ferne einstrahlenden elektromagnetischen Wellen des Urknalls bei uns heute als weit ins Langwellige verschobene Mikrowellen der "Kosmische Hintergrundstrahlung" ankommen.

Sei dies, wie es sei: Weder die Rotverschiebung des expandierenden Universums noch aufgeheizte, dunkel glühende Staubwolkenfilter sind der eigentliche Grund für das Dunkel unserer Nächte. Denn am Ende gibt es einfach viel zu wenig Energie im Universum, um unsere Nacht zum Tag zu machen – oder anders gesagt: zu wenige Sterne und damit zu wenig Leuchtkraft in ausreichender Nähe.

Zahl und Haltbarkeit der Sterne

Das wird klar, wenn man Olbers' Rechenaufgabe mit modernem Wissen angeht. Zunächst hatte sich der Bremer Astronom verrechnet, weil ihm die tatsächliche Sternendichte im Universum nicht bekannt war. Heute weiß man, dass sich Galaxien, Galaxienhaufen und Galaxiensuperhaufen weniger dicht ballen, als er einst angenommen hat, und so würde unser Blick zum Nachthimmel tatsächlich nicht nach 1016, sondern grob überschlagen erst nach 1023 Lichtjahren spätestens auf einen Stern fallen. Dies gilt aber nur unter Bedingungen, die im realen Universum nicht eintreten: Zum Beispiel lebt kein Stern lang genug, um 1023 Jahre lang strahlen zu können; schließlich ist das Universum selbst ja erst 13,8 Milliarden Jahren alt. Und auch, wenn es sich im Zuge der Expansion immer weiter ausgedehnt hat: Die weitestmöglich entfernte Lichtquelle wäre heute rechnerisch rund 46,6 Milliarden Lichtjahre, nicht aber 1023, also 100 Trillionen Lichtjahre entfernt. Nachts ist es demnach schon deshalb dunkel, weil es im zu kleinen Universum zu wenige Sterne gibt, um unseren Nachthimmel abzudecken.

Die letzte Antwort

Aber warum gibt es zu wenige Sterne? Die Antwort – und so die moderne Variante einer Auflösung des olbersschen Paradoxons – stammt aus dem Jahr 1964 und vom Kosmologen Edward Harrison, der ein lesenswertes Buch zum Thema geschrieben hat. Er berechnete, dass es ungefähr zehnbilliardenfach zu wenig Energie im Universum gibt, um die Nacht auszuleuchten. Und selbst wenn nach Einsteins berühmter Formel alle Materie des Kosmos in Energie verwandelt wäre, wäre der irdische Nachthimmel, den es dann wegen des fehlenden Bezugspunkts nicht mehr gäbe (die Erde ist ja in Energie verfeuert), kaum heller als heute.

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