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Freistetters Formelwelt: Mit Mathematik zu neuen Weltrekorden

Ein Stück Papier zu falten, ist einfach. Wenn man es häufig genug macht, kann man damit die Grenzen des Universums sprengen.
eine Rolle Toilettenpapier
Mit einer griffigen Formel und 16 Kilometer Klopapier konnte eine Schulklasse einen Weltrekord aufstellen.

Man kann ein Stück Papier nicht mehr als siebenmal zusammenfalten. So lautet zumindest ein urbaner Mythos. Wenn man es ausprobiert, wird man tatsächlich feststellen, dass er zu stimmen scheint. Schon die sechste Faltung ist nicht einfach und man muss sich sehr anstrengen, wenn es ein siebtes Mal gelingen soll. Aber warum ist das so?

Die Frage kann die Mathematik beantworten, und zwar mit dieser Formel:

Bevor wir die Gleichung genauer betrachten, werfen wir aber noch einen kurzen Blick auf die Exponentialfunktion. Wenn wir ein Blatt einmal in der Mitte zusammenfalten, haben wir danach zwei Lagen Papier. Wenn wir es dann noch einmal falten, kriegen wir vier. Danach kommen acht, dann 16, und so weiter. Jede Faltung verdoppelt die Anzahl der Lagen; wir haben es also mit einem exponentiellen Wachstum zu tun. Das ist aber noch nicht alles. Einfach nur Papier übereinanderzustapeln, wäre höchstens ein organisatorisches Problem, mathematisch jedoch eher uninteressant.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Beim Falten des Papiers spielen noch andere Effekte eine Rolle. Das Papier muss sich dabei ja biegen. Nach dem ersten solchen Vorgang macht das Blatt – in mathematischer Idealisierung – an einer Kante also einen Halbkreis mit dem Radius T2 (für ein Blatt Papier mit der Dicke T). Bei der nächsten Faltung entsteht ein weiterer Halbkreis auf der anderen Seite – und zusätzlich muss sich das ganze Blatt in einem größeren Halbkreis um den ursprünglichen herum falten. Anders ausgedrückt: Bei jeder Faltung »verliert« man an den Rändern ein Stück Papier, weswegen man irgendwann nicht mehr weitermachen kann. Das lässt sich mathematisch exakt ausdrücken, was die US-amerikanische Highschool-Schülerin Britney Gallivan im Jahr 2001 getan hat. Das Resultat ist die obige Formel: Will man ein Stück Papier n-mal (in dieselbe Richtung) falten, lässt sich mit der Gleichung das benötigte Verhältnis von Länge L und Dicke T des Materials berechnen.

16 Kilometer Klopapier

Nimmt man zum Beispiel dünnes Toilettenpapier, lassen sich durchaus mehr als die angeblichen sieben möglichen Faltungen schaffen. Britney Gallivan hat das nach ihrer mathematischen Vorarbeit im Januar 2002 an der Pomona High School in Kalifornien ausprobiert. Ein 1,2 Kilometer langes Stück Klopapier mit einer Dicke von 0,084 Millimetern wurde erfolgreich 12-mal gefaltet. Das war sogar noch ein wenig überdimensioniert, denn wie sich mit der Formel berechnen lässt, hätten 738 Meter Toilettenpapier gereicht. Im April 2011 konnte die St. Marks School in Massachusetts den Rekord übertreffen: Dort wurde eine 16 Kilometer lange Klopapierbahn 13-mal gefaltet. Auch hier wäre man laut Formel mit einer geringeren Länge ausgekommen. Aber dann wird der resultierende Stapel sehr schmal und bleibt nicht stehen, was eine der Bedingungen für den Weltrekord ist.

Gallivans Stapel war nach den 12 Faltungen gut 40 Zentimeter hoch, was noch nicht sonderlich beeindruckend klingt. Aber hier kommt wieder das exponentielle Wachstum ins Spiel. Könnte man ausreichend viel Klopapier ausrollen, um es 30-mal zu falten, bekäme man einen Stapel von gut 100 Kilometer Höhe und hätte damit den Weltraum erreicht. 42 Faltungen reichen für einen Klopapierturm, der bis über die Mondumlaufbahn hinausragt. Würde man das Papier 87-mal falten, verließe der Stapel die Milchstraße und würde bis zur Andromedagalaxie reichen. Kritisch wird es beim 102-ten Mal. Die nächste Faltung würde die Höhe des Stapels erneut verdoppeln, womit er ein Ausmaß hätte, das größer ist als der Durchmesser des bekannten Universums. Will man die Grenzen des Universums also nicht sprengen, liegt die ultimative physikalische Grenze für das Falten von Papier also nicht bei sieben Faltungen, sondern bei 102.

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