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Urstädte: Aleppo und Damaskus – 5000 Jahre Stadtentwicklung

Die beiden größten Städte Syriens gehören zu den ältesten und bedeutendsten Kulturzentren Vorderasiens. Der Erhalt ihrer historischen Stadtkerne ist durch das starke Bevölkerungswachstum akut bedroht.


Wie der gesamte vorderasiatische Raum gilt Syrien als Wiege der Zivilisation. Bereits vor einer halben Million Jahren lebte ein Vorfahr des modernen Menschen, der Homo erectus, im Gebiet der heutigen Arabischen Republik Syrien. Auch der Neandertaler war in der Region heimisch, wie das in einer Höhle nördlich von Aleppo entdeckte 60000 Jahre alte Skelett eines zweijährigen Neandertalerkindes belegt. Ab 12000 v. Chr. vollzog sich hier mit der Neolithischen Revolution die Sesshaftwerdung des Menschen. Die ersten Dorfsiedlungen wiesen bis zu fünfzig aus Lehm und Stroh gebaute Rundhütten auf. Deren kreisförmiger Grundriss wandelte sich zwischen 9000 und 6000 v. Chr. zur rechteckigen Wohneinheit, die für die weitere Entwicklung altorientalischer Städte prägend wirkte.

Diese Hausform findet sich in den großen Königspalästen blühender Stadtstaaten wie Ebla oder Mari, die um 3000 v. Chr. Syriens Hochkultur begründeten, und lässt sich als primär ökologisch orientiertes historisches Langzeitprodukt bis in die Gegenwart verfolgen.

Ein rechteckiges Haus aus der jüngeren Bronzezeit, das dreißig Kilometer nördlich der Hauptstadt Damaskus in Tell Saka freigelegt wurde, ist in seiner Struktur aus Hof, Vorhof und Einraum sowie den benutzten Materialien das Muster-exemplar eines noch heute im Raum Damaskus verbreiteten Baustiles. Das in den oberen Stockwerken verbaute Pappelholz weist besondere elastische Eigenschaften auf, die sich in der stark von Erdbeben bedrohten Region als vorteilhaft erweisen. So kam es beim katastrophalen Erdbeben des Jahres 1759 in Damaskus zu geringeren Menschenverlusten als in anderen Städten, die innerhalb des so genannten Syrischen Erdbebenrisses liegen.

Zeugnisse der kulturellen Vergangenheit sind in den beiden bevölkerungsreichsten Städten Syriens in großer Zahl anzutreffen. Wahrzeichen von Damaskus ist die 710 unter der Dynastie der Omaijaden errichtete Große Moschee. An ihrer Stelle befand sich einst der mächtige römische Tempel des Jupiter Damaszenus und ab dem 4. Jahrhundert n. Chr. eine christliche Kathedrale. Die hoch über der Altstadt Aleppos gelegene Zitadelle, zur Zeit der Kreuzzüge Schauplatz dramatischer Ereignisse, gilt als bedeutendste Festungsanlage der arabischen Welt (Bild unten). Auf diesem Felsplateau befand sich einst das Kult- und Verwaltungszentrum einer altorientalischen Metropole, wie ein syrisch-deutsches Grabungsteam seit 1996 nachweisen konnte.

Wenngleich sich beide Städte politisch unterschiedlich entwickelten, ist ihr gemeinsames Kennzeichen die einzigartige Kontinuität ihrer Besiedlung über mehr als 5000 Jahre. "Die Stadt ist so alt wie die Ewigkeit, dennoch neu, obwohl sie nie aufhörte zu bestehen", notierte im 12. Jahrhundert der spanisch-arabische Reisende Ibn Djubair über Aleppo in sein "Tagebuch einer Reise nach Mekka". Damaskus pries er enthusiastisch als "Teil des Paradieses auf Erden".

Bedrohtes Weltkulturerbe


Derartige Beschreibungen lassen die einstige weltpolitische Bedeutung von Aleppo und Damaskus sowie die Faszination, die diese Metropolen auf das Abendland ausübten, nur mehr erahnen. Denn das im Verlauf der Jahrtausende entstandene urbane architektonische Gefüge beider Städte erlitt im 20. Jahrhundert erheblichen Schaden und ist in seinem Bestand heute stark gefährdet. Zwar wird versucht, die historischen Stadtzentren, die von der Unesco zum Weltkultur-erbe erklärt wurden, zu erhalten beziehungsweise zu revitalisieren; doch ein Erfolg erscheint angesichts der immensen Kosten fraglich. Allein die Gesamt-sanierung der Altstadt von Aleppo würde etwa 300 bis 500 Millionen US-Dollar erfordern.

Aleppo, dessen Bevölkerung bis 2003 auf rund 2,3 Millionen anwachsen wird, verfügt über einen außergewöhnlich großen Bestand an traditionellen Innenhofhäusern. Der harte Kalkstein, das Baumaterial dieser mehrgeschossigen, teilweise Kuppeln tragenden Wohnbauten, stammt aus den Steinbrüchen der nahen Umgebung. Fast zwei Drittel der Altstadtfläche werden von diesem Wohnhaustyp, dessen Zimmer sich um einen oder mehrere Innenhöfe gruppieren, bestimmt. Die Struktur solcher Quartiere mit engen Gassen und großer Wohnqualität in den Innenhöfen spiegelt ein differenziertes Sozialgefüge wider. Noch Mitte der fünfziger Jahre wohnte die Mehrheit der Aleppiner Bevölkerung in diesem Gebäudetyp. Reihen solcher Innenhof-häuser verschwanden jedoch durch den Bau von 22 Meter breiten Achsen, mit denen die Altstadt von Aleppo für den Verkehr erschlossen werden sollte.

Wenngleich es Ende der siebziger Jahre gelang, die vollständige Umsetzung dieses Planes zu verhindern, und letztlich nur knapp zwanzig Prozent der Altstadt zerstört wurden, waren die Auswirkungen dieser "Stadtentwicklung" gravierend. Denn auf eine Phase der Stagnation folgte ein Abwanderungsprozess der Altstadtbevölkerung. Diese zog – sofern sie es sich leisten konnte – in die an der Peripherie emporschießenden Neubauten. So sank die Zahl der Altstadtbewohner von 180000 (um 1950) auf unter 125000 im Jahre 1990. Etwa 9300 Unternehmen geben hier heute 27000 Menschen Arbeit.

Seit 1994 sucht das "Projekt zur Wiederbelebung der Altstadt von Aleppo" dieser Entwicklung nachhaltig entgegenzuwirken, indem das Bewusstsein für die Bedeutung einer lebendigen Altstadt bei deren Bewohnern gefördert wird. Die deutsche Regierung unterstützt das Projekt in den ersten beiden Phasen mit rund 9,6 Millionen Mark. Weil eine Sanierung des 355 Hektar großen urbanen Areals nur exemplarisch zu leisten ist, wurden bisher drei so genannte "Action Areas" errichtet. In diesen "Gebieten mit hohem Handlungsbedarf", die zusammen etwa fünf Prozent der Altstadtfläche einnehmen, versucht man unter aktiver Einbeziehung der Bewohner historische Bausubstanz zu sanieren und für moderne Nutzungsmöglichkeiten zu öffnen. Etwa 300 Gebäude konnten bisher auf diese Weise saniert werden.

Damaskus, Syriens Hauptstadt, ist eine der größten Oasenstädte der Welt. Noch 1922 zählte sie lediglich 170000 Bewohner. Durch ra-santes Wachstum stieg die Einwohnerzahl etwa alle 20 bis 25 Jahre auf das Doppelte. 1994 lag die Zahl der Einwohner bei 3,4 Millionen; bis 2020 werden es wohl rund sieben Millionen sein.

Als Folge dieser Entwicklung wurden weite Teile der äußerst fruchtbaren Oase – die ehemalige Lebensgrundlage der Stadt – überbaut und damit endgültig zerstört. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts verfolgte Damaskus das Leitbild einer autogerechten Stadt. Auch die historische Altstadt – heute nur noch an den Dächern und Minaretten der Großen Moschee erkennbar – wurde 1968 in einen französisch-japanischen Generalentwicklungsplan mit einbezogen. (Die 280 Meter lange und 15 bis 30 Meter breite Dakkartin-Straße, der viel historische Bausubstanz zum Opfer fiel, wurde schon 1936 gebaut.) Nachdem zu Beginn der siebziger Jahre einschneidende Abrissmaßnahmen begannen, verhinderten Proteste der Fachöffentlichkeit die weitere Umsetzung des Planes. Allerdings wurden bisher noch keine konkreten Projekte zum Schutz der historischen Altstadt in Angriff genommen. Es bleibt abzuwarten, ob es wie in Aleppo gelingen wird, die Architekturdenkmäler nicht nur zu konservieren, sondern langfristig wieder mit städtischem Leben zu füllen.

Die Ausstellung "Damaskus – Aleppo. 5000 Jahre Stadtentwicklung in Syrien" zeigt unter kulturhistorischer Perspektive die chronologische Entwicklung der beiden vorderasiatischen Städte. Zugleich vermittelt sie Einblicke in die heutige Situation dieser Metropolen und reflektiert mögliche künftige Lösungen, mit denen die Prozesse der Stadtentwicklung mit den Erfordernissen der Stadt-sanierung in Einklang gebracht werden können. Zu sehen sind Stadt- und Hausmodelle, Architekturteile, Fotografien und Luftbildaufnahmen sowie Grafiken und Pläne. Auch Beispiele der Innenarchitektur und ausgewählte Produkte und Luxusgüter, welche die alte Handels- und Wirtschaftstradition der beiden Städte am Schnittpunkt der Seiden- und Weihrauchstraße bezeugen, gehören zu den Exponaten.



Die Ausstellung "Damaskus – Aleppo. 5000 Jahre Stadtentwicklung in Syrien" ist bis zum 22. Oktober im Staatlichen Museum für Naturkunde und Vorgeschichte, Damm 40-44, 26135 Oldenburg, zu sehen. Vom 10. November 2000 bis 13. Mai 2001 wird sie im Linden-Museum Stuttgart gezeigt. Weitere Stationen sind Hamburg (8. Juni bis 2. September 2001) und Berlin.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2000, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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  • Infos
Damaskus / Aleppo - 5000 Jahre Stadtgeschichte in Syrien -> http://www.logiplan.de/museum/index.html
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