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Winters' Abschied: Ganz meinerseits!

Liebe Leserinnen und Leser von Gehirn&Geist,

Sie sind jetzt alt genug. Seit fast neun Jahren bewahre ich Sie schon davor, leichtfertig zu glauben, was Ihnen zwielichtige "Wissenschaftler" weismachen wollen. Unermüdlich im Dienst der Wahrheit habe ich jedes U so lange mit dem Lackmus des Zweifels geprüft und mit dem Königswasser des gesunden Menschenverstands beträufelt, bis es sich schließlich als X im Schafspelz zu erkennen geben musste. Oft genug bin ich – der Günter Wallraff des Wissenschaftsbetriebs – an die Grenze meiner eigenen und der Belastbarkeit meiner Probanden gegangen (die ich jedoch stets, den strengen Regeln der Wissenschaftsethik folgend, nach Abschluss des Experiments über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt habe).

Ich ließ mich von hartherzigen Redakteuren mit willkürlichen Abgabefristen quälen, die oft erst fünf Wochen im Voraus feststanden, wurde von Schulfreunden verklagt und von Verschwörungstheoretikern mit Fanpost überhäuft (nur weil ich behauptet hatte, den Mörder Kennedys zu kennen). Und wofür das alles? Für Sie, liebe Leser!

Gut, natürlich habe auch ich meine Prominenz genossen. Unvergessen der Moment, als mich um das Jahr 2007 herum eine wildfremde Schönheit im Intercity erkannte und auf meine G&G-Kolumnen ansprach! Ein zweiter Vorfall ähnlicher Art entpuppte sich allerdings als Verwechslung: Ein offenbar angetrunkener Jugendlicher hatte mich für den Imbisswirt aus der Comedyserie "Dittsche" gehalten. Aber ich bin immer mit beiden Füßen auf dem Boden geblieben, auch wenn mindestens einer davon stets in einem Fettnäpfchen stand.

Und nun? Ein Jegliches hat seine Zeit, und so möchte ich Sie, liebe Leser, heute in die Freiheit entlassen und Ihnen dabei zusehen, wie Sie Ihre zerbrechlichen Flügelchen entfalten und im ersten Licht des Morgens, ein wenig taumelnd noch, in das flüssige Blau des Himmels der Erkenntnis eintauchen. Und da sich nun, wie Sie vielleicht bemerkt haben, erste Risse in jenen Dämmen zeigen, hinter denen ich meine Gefühle während all der Jahre im Dienst der wissenschaftlichen Neutralität zurückgehalten habe, möchte ich mich herzlich bedanken. Bei Ihnen, meinen Lesern und Leserinnen, und bei Ihnen, liebe Redaktion (die Sie diesen Text hoffentlich durchwinken, sonst streiche ich den Dank!). Meine erste G&G-Kolumne war zugleich meine erste Veröffentlichung überhaupt. Nicht zuletzt dank Ihnen verdiene ich mein Brot inzwischen als Autor – ein Glück, das sich wohl am treffendsten mit dem eines Schweins in der Hüpfburg vergleichen lässt.

Ich werde jetzt nicht die schöne Melancholie des Augenblicks mit dem blöden, zu jedem noch so vergurkten Abschied aus der Sprücheschublade gezerrten Satz versauen, man solle aufhören, wenn es ... Wenn ich Ihnen unbedingt erklären muss, warum dies meine letzte Kolumne ist, kann ich nur sagen, dass ich noch nie in meinem ganzen Leben etwas so lange und kontinuierlich gemacht habe. Ehrlich. Und wenn die innere Leere, die mich bald ergreifen wird, unerträglich werden sollte, kann ich immer noch mit einem weißen Gaul vom Pferdeverleih nach Heidelberg reiten und noch einmal die Hellebarde in die Schlacht tragen. Jetzt ist aber auch mal gut, sonst tropft's aufs Papier und dann kann wieder keiner was lesen. Ich werde Sie vermissen, machen Sie es gut!

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