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Holographische Messung von Schwingungen und Verformungen


Das Hologramm als Medium räumlich wirkender Bilder beschäftigt zwar auch Künstler und Science-fiction-Autoren, ist aber längst Gegenstand anwendungsbezogener Forschung. Das Prinzip hatte der ungarisch-britische Elektroingenieur Dennis Gabor (1900 bis 1979; Physik-Nobelpreis 1971) bereits 1947 skizziert: Benötigt wird zunächst eine Quelle von Licht, dessen Wellen kohärent sind, also alle gleiche Länge haben und mit gleicher Phase schwingen (die Phase kennzeichnet den momentanen Schwingungszustand der Wellenfront). Dann teilt man einen solchen Lichtstrahl. Beleuchtet man nun mit dem einen Teilstrahl ein Objekt, nutzt den zweiten als Referenz und führt beide wieder zusammen, entsteht ein Interferenzmuster. Das beleuchtete Objekt hat nämlich – beispielsweise aufgrund seiner Oberflächenstruktur – den optischen Weg des betreffenden Strahls und mithin seine Phasenlage geändert. Fixieren dieses Musters etwa als Photographie liefert das Hologramm. Wird das wiederum mit dem Originalstrahl beleuchtet, wird dieser so gebeugt und reflektiert, daß ein räumliches Abbild des Gegenstandes entsteht.

Anfang der sechziger Jahre wurden die ersten Laser gebaut. Damit standen geeignete Quellen kohärenten Lichts zur Verfügung, und die Holographie wurde intensiv erforscht. Allerdings fehlte lange ein für den industriellen Einsatz geeignetes optisches Speichermedium. Außer hochauflösenden photographischen Schichten wurden lichtempfindliche Kunststoffe und photorefraktive Kristalle untersucht. Neuerdings nutzt man auch leistungsfähige Computer, um Interferogramme digital zu verarbeiten (Bild 1).

Eine der möglichen Anwendungen ist die dreidimensionale optische Datenspeicherung (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1996, Seite 50). Indes eignen sich Hologramme auch hervorragend, um Veränderungen von Oberflächen zu messen. Dazu werden deren Wellenfelder vor und nach einer potentiellen Deformation aufgenommen und jeweils mit der Referenzwelle überlagert; es entsteht so ein Hologramm, das Informationen von zwei Zeitpunkten enthält. Rekonstruiert man die gespeicherten Felder gleichzeitig, interferieren auch sie, weil sie aufgrund der Laserbelichtung ebenfalls kohärent sind. Haben sich Form oder Brechungsindex des Objekts zwischen den Aufnahmen verändert, resultieren daraus unterschiedliche optische Wege der jeweiligen Wellenfelder. Interferenzstreifen, die der rekonstruierten dreidimensionalen Oberfläche überlagert sind, kennzeichnen deshalb beispielsweise Orte gleicher Verformung.

Im folgenden sollen verschiedene Entwicklungen dieser Meßtechnik an Praxisbeispielen erläutert werden.


Schwingungsanalyse von Autoreifen

Jedes Kraftfahrzeug erzeugt außer durch Antrieb und Luftverdrängung Geräusche, weil die Reifen beim Kontakt mit dem Straßenbelag in Schwingung geraten. Wir untersuchten dieses Phänomen mit dem Ziel, diesen Anteil des Verkehrslärms zu mindern, ohne die Reifeneigenschaften zu beeinträchtigen.

Als Beleuchtungsquelle diente ein Doppelpuls-Rubinlaser; er sendet in einstellbaren Zeitabständen zwei Pulse von jeweils 20 Nanosekunden (milliardstel Sekunden) Dauer (Bild 2 links). Um quasi statische Bilder zu gewinnen und überlagern zu können, wurde die Rotation des Reifens mit einem rotierenden System von Spiegeln und Prismen kompensiert; eine mit Strichcode versehene Scheibe auf der Radachse diente zur Synchronisation dieser Vorrichtung.

Als Speichermedium fungierte eine Photoplatte. Bei der Reifenbild-Rekonstruktion erhielten wir Interferenzstreifen als Linien gleicher Schwingungsamplitude in Beobachtungsrichtung. Weil der Pulsabstand eine Zeitmarke vorgab, ließ sich aus der Auslenkung auch ihre Geschwindigkeit berechnen. Allerdings sind diese Werte immer nur auf einen vorigen Zustand bezogen. Um sie auch absolut angeben zu können, maßen wir zusätzlich an einem Punkt die Verformungsänderung mit einem Laser-Radarverfahren, vergleichbar Systemen zur Geschwindigkeitsüberwachung im Straßenverkehr.

Verschiedene Reifen für Personen- und Lastkraftwagen mit unterschiedlichen Profilen wurden auf einem speziell entwickelten Prüfstand auf straßenähnlichen Belägen untersucht. Durch gleichzeitiges Messen der Geräuschentwicklung vermochten wir Schalldruck und Schwingungsdaten einander zuzuordnen. Offenbar ist die mechanische Auslenkung an der Lauffläche deutlich größer als etwa an den Seitenwänden (Bild 2 rechts). Lkw-Reifen sind nicht nur lauter als Pkw-Reifen, sondern ihre Schwingungsfrequenzen umfassen auch ein größeres Intervall. Insbesondere eine äquidistante Profilierung, wie sie bei diesem Fahrzeugtyp und vor allem bei runderneuerten Reifen immer noch häufig ist, erhöht das Abrollgeräusch. Insgesamt ergaben sich aus dem Projekt Anhaltspunkte für die Entwicklung deutlich leiser rollender Reifen.


Formänderung aushärtender Klebstoffe

Sehr kleine und langsame Formänderungen – man denke etwa an das Durchbiegen eines metallischen Bauteils infolge mechanischer Belastungen oder an chemische Vorgänge – sind nur schlecht zu modellieren und zu messen. Wir untersuchten holographisch die Fuge zwischen Platten, die mit einem Zwei-Komponenten-Kleber verbunden wurden. Zur lückenlosen Erfassung des Aushärtevorgangs benötigten wir schnell zu beschreibende und zu löschende Speicher. Dafür eignen sich photorefraktive Kristalle, in denen sich die Elektronenverteilung bei Beleuchtung – und zwar je nach Intensität – ändert, was wiederum die Verteilung des Brechungsindex modifiziert. Das von uns verwendete Wismutsiliciumoxid (BSO; Bi12SiO20) absorbiert vor allem Licht im blaugrünen Spektralbereich. Ein solcher Kristall läßt sich durch einen Lichtblitz kurzzeitig löschen und ist dann gleich wieder aufnahmebereit. Damit untersuchten wir modellhaft das Aushärten der Kleberoberfläche. Aus dem Interferenzmuster zweier Aufnahmen lassen sich Zustandsänderungen innerhalb von Sekundenbruchteilen registrieren.

Flammen und Gasströme

Interferometrie kann man immer dann betreiben, wenn der Untersuchungsgegenstand den optischen Weg eines Lichtstrahls verändert, sei es als festes Objekt rein geometrisch oder als Medium anderer optischer Dichte als jenes, das der Referenzstrahl durchläuft. Die Brechzahl von Gasen ändert sich mit ihrer Temperatur, so daß man deren Verteilung in einer Flamme holographisch registrieren kann, etwa zur Prüfung von Brennern. Wichtige Elemente der Strahlführung in Interferometern sind Spiegel. Normalerweise kehrt sich bei Lichtreflexion die Phase der Wellenfront um, beispielsweise wird aus einem Wellenberg ein Wellental. Bei Phasenkonjugation wird die Wellenfront hingegen in der ursprünglichen Form reflektiert; das geschieht bei photorefraktiven Materialien wie BSO oder Bariumtitanat (BaTiO3). Der die Flamme durchdringende Strahl wird in unserem Interferometer geteilt und ein Teil auf einen phasenkonjugierenden Spiegel fokussiert (Bild 3); bei der Reflexion bleibt das Meßsignal – die Phasenverschiebung – erhalten. Den zweiten Teilstrahl, der ebenfalls das Meßsignal transportiert, reflektiert ein herkömmlicher Spiegel. Die Phase dieses Teilstrahls wird umgekehrt. Bringt man nun beide Wellenfronten zusammen, unterscheiden sie sich durch eine verdoppelte Phasenverschiebung. Es entsteht ein ausgeprägteres Interferenzmuster, und das Meßignal ist verstärkt. Wird wieder ein Doppelpuls-Laser als Lichtquelle verwendet, sind auch sehr kurzzeitige strömungsbedingte Veränderungen in der Flamme sichtbar zu machen. Das Verfahren läßt sich allgemein zur Analyse von Gasströmen einsetzen.

Materialuntersuchung durch Schwingungsmessung

Um Defekte wie Risse oder ungleichmäßige Wandstärken von Bauteilen zu finden, eignet sich wieder die Schwingungsanalyse. Allerdings sind die Amplituden unter Umständen kaum größer als wenige tausendstel Millimeter, und die Schwingungsdauer liegt im Bereich von millionstel Sekunden.

Bei der Reflexion von Laserlicht an rauhen Oberflächen entstehen statistisch verteilte Fluktuationen der Intensität, und das Bild der ausgeleuchteten Fläche besteht bei genauerer Betrachtung aus winzigen hellen Scheibchen, sogenannten Speckles (englisch für Fleckchen), die gewöhnlich stören, aber meßtechnisch genutzt werden können. Damit die Interferometrie den Anforderungen an die Genauigkeit genügt, bedarf es jedoch spezieller Korrektur- und Berechnungsverfahren.

Dazu kann man zur digitalen Holographie übergehen. Der Grundaufbau zur Registrierung der Hologramme vor und nach der Verformung ist vergleichbar dem bei holographischen analogen Verfahren, nur werden die Interferenzmuster mit einem CCD-Chip aufgenommen (CCD steht für charged coupled device; siehe Spektrum der Wissenschaft, September 1987, Seite 20). Dieser besteht aus Photodetektoren, deren Anzahl und Größe von derzeit bestenfalls 6,8 mal 6,8 Mikrometern die räumliche Auflösung begrenzen – eine photographische Emulsion besteht aus lichtempfindlichen Körnern von wesentlich weniger als einem Mikrometer Durchmesser.

Der entscheidende Unterschied zwischen digitaler und klassischer Holographie liegt in der Rekonstruktion und Auswertung der Ergebnisse: Die Ausbreitung des ursprünglichen Wellenfeldes wird im Computer berechnet. So untersuchten wir das Schwingverhalten eines Blechzylinders (Bild 1). Er wurde mit einem Lautsprecher zu Eigenschwingungen bei verschiedenen Frequenzen, beispielsweise bei 778 Hertz, angeregt. Zur Belichtung diente ein Doppelpuls-Rubinlaser. Die Pulsdauer liegt bei 20 Nanosekunden, die Pulsabstände betragen einige Mikrosekunden; durch die kurzzeitige Belichtung kann eine Bewegung gleichsam eingefroren werden. Als Speicher diente ein CCD-Chip-System mit jeweils 688 mal 509 Pixeln mit Kantenlängen von neun Mikrometern. Die Kameraelektronik lieferte ein Ausgangssignal mit 256 Graustufen pro Bildpunkt; jedem konnte synchron eindeutig ein Wert im digitalen Speicher zugeordnet werden. Zur Beurteilung der Meßergebnisse lassen sich schließlich farbcodierte Bilder ausgeben.

Aus zwei Hologrammen berechnete der Computer die Phasen der Wellenfronten und daraus die schwingungsbedingte Verformung. Ein Defekt, zum Beispiel ein Bereich zu geringer Wandstärke, ergab Unregelmäßigkeiten im Schwingungsbild.

Derartige optische Schwingungs- und Deformationsmessungen sind in Medizin, Forschung und Industrie mittlerweile unentbehrlich geworden. Nach wie vor erfordert aber die Interpretation der Interferenzmuster wie der rekonstruierten Bilder große Sachkenntnis.

Als Speichermaterialien werden statt der bisher verwendeten hochauflösenden photographischen Schichten zunehmend schnell reagierende und lichtempfindliche Kunststoffe und photorefraktive Speicherkristalle, aber auch digitale Speicher eingesetzt. Mit CCDs kann man die interessierenden Phänome bereits in ausreichend kurzen Intervallen aufnehmen, nur muß die räumliche Auflösung noch verbessert werden: Das Ziel sind digitale Hologramme mit der Informationsdichte von Photoplatten.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1996, Seite 108
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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