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Nachweis von Helium im intergalaktischen Raum

Mit Hilfe des fernen Quasars HE 2347–4342 vermochten Astronomen erstmals einen Blick in eine bislang kaum erforschte Epoche des frühen Kosmos zu werfen und zugleich zu dokumentieren, daß es in den Weiten des Weltalls abseits der Galaxien und außerhalb der notorischen Wasserstoffwolken diffus verteilte Materie gibt.


Quasare, jene immer noch geheimnisvollen leuchtkräftigen Kerne von fernen Milchstraßen-Systemen, sind für die Astronomen ein hervorragendes Instrument zur Erforschung der intergalaktischen Räume: Auf dem langen Weg zur Erde durcheilt ihre Strahlung Milliarden von Lichtjahren und sammelt dabei Informationen über Art und Zustand der unterwegs angetroffenen Materie. Aus den Absorptionslinien in den Quasarspektren lassen sich so Dichte, Temperatur und chemische Zusammensetzung von anders nicht beobachtbaren Gaswolken zwischen den Galaxien ermitteln. Je weiter entfernt und heller ein Quasar ist, desto besser eignet er sich für diese Art von Untersuchungen.

Seit 1989 betreiben Dieter Reimers und seine Mitarbeiter von der Hamburger Sternwarte am Deutsch-Spanischen Astronomischen Zentrum auf dem Calar Alto in Spanien und an der Europäischen Südsternwarte ESO auf dem La Silla in Chile ein ehrgeiziges Projekt, um derartige Gaswolken aufzuspüren: Mit sogenannten Schmidt-Teleskopen, die wegen ihrer kurzen Brennweiten große Bildfelder ermöglichen, suchen sie den gesamten Himmel nach hellen Quasaren ab.



Quasare im Visier



Mit Hilfe eines Objektivprismas nehmen die Forscher dabei die Spektren von rund 50000 Objekten in einem großen quadratischen Feld von fünf Grad Seitenlänge gemeinsam auf einer Photoplatte auf. Statt als Punkte erscheinen die Lichtquellen darauf als kleine, in die Spektralfarben zerlegte Striche. In Hamburg werden die Platten dann mit einem Hochleistungsphotometer digitalisiert und automatisch nach auffälligen Spektren abgesucht. Quasar-Kandidaten nehmen die Astronomen anschließend mit größeren Hohlspiegeln wie dem 3,6-Meter-Teleskop der ESO und dem Hubble-Weltraumobservatorium unter die Lupe.

Mehr als 1000 Quasare, die hell genug für eine detaillierte, hochaufgelöste Analyse ihres Spektrums sind, haben Reimers und seine Mitarbeiter so inzwischen aufgespürt. Zwei davon, HS 1700+6416 und HE2347-4342, erreg-ten die besondere Aufmerksamkeit der Astronomen. Die Sichtlinie zu diesen Objekten ist ungewöhnlich klar, zwischen den Quasaren und der Erde befinden sich also nur wenige jener störenden Wasserstoffwolken, welche die scheinbar leeren Weiten der intergalaktischen Räume sonst in großer Zahl bevölkern. Außerdem sind diese beiden Quasare so weit von uns entfernt, daß die Absorptionslinien des einfach ionisierten Heliums, die eigentlich im extrem ultravioletten Bereich des Spektrums liegen, durch die Rotverschiebung in den nahen Ultraviolett-Bereich gerückt und folglich mit dem Hubble-Weltraum-Teleskop beobachtbar sind. Diesen Heliumlinien aber galt das besondere Interesse der Forscher; sie erhofften sich davon Aufschlüsse über eine bislang unerforschte frühe Phase des Kosmos.

Rund 300000 Jahre nach dem Urknall hatte sich das expandierende junge Universum soweit abgekühlt, daß sich Elektronen und Atomkerne zu vollständigen Atomen vereinigten (rekombinierten). Anschließend war die Materie im All zunächst einmal elektrisch neutral. Doch mit der Bildung der ersten Galaxien, so vermuten die Astrophysiker, änderte sich die Situation: Die Strahlung der aufleuchtenden Sterne begann das Gas zwischen den Milchstraßen-Systemen erneut elektrisch aufzuladen – ein als Reionisation bezeichneter Vorgang. Kugelförmig breiteten sich um die jungen Galaxien Gebiete aus, in denen der Wasserstoff sein einziges und das Helium eines seiner beiden Elektronen verlor, bis schließlich das gesamte extragalaktische Medium ionisiert war.

Allerdings reichte die Energie der Strahlung zunächst nicht aus, um dem Helium auch sein zweites Elektron zu entreißen – das schafften erst in einer zweiten Phase die später entstandenen, noch leuchtkräftigeren Quasare. Mit ihrem Auftauchen bildeten sich langsam anwachsende Gebiete vollständig ionisierten Heliums. Was Reimers und seine Mitarbeiter in den Spektren von HE2347-4342 erstmals sichtbar machen konnten, ist gleichsam ein Schnappschuß aus dieser Epoche, als das Edelgas in unmittelbarer Umgebung der Quasare bereits zweifach, im weiter entfernten intergalaktischen Raum aber noch einfach ionisiert war.

HE2347-4342 hat eine Rotverschiebung von 2,885 – die Wellenlänge seiner Strahlung ist (ebenso wie der Kosmos insgesamt) seit ihrer Aussendung also um den Faktor 3,885 größer geworden; nach gängigen kosmologischen Modellen stammt sein Licht mithin aus einer Zeit, als das Universum erst rund ein Fünftel seines heutigen Alters hatte.

Charakteristisch für die Spektren von Quasaren sind die sogenannten Lyman-Wälder: Ansammlungen dicht benachbarter Wasserstoff-Absorptionslinien, welche nach dem amerikanischen Physiker Theodore Lyman (1874 bis 1954) benannt wurden, der die entsprechende Serie von Elektronenübergängen beim Wasserstoff entdeckt hat. Sie werden von Wasserstoffwolken in unterschiedlicher Entfernung zwischen Erde und Quasar verursacht und haben dadurch jeweils eine etwas andere Rotverschiebung (siehe Spektrum der Wissenschaft, Juni 1993, Seite 18).

Ionisierter intergalaktischer Wasserstoff ist nicht sichtbar, weil er kein anregbares Elektron hat und somit auch kein Licht absorbieren kann. Nun haben Wasserstoffwolken aber eine größere Materiedichte als das umgebende intergalaktische Medium. Dadurch stellt sich in ihnen ein neues Gleichgewicht ein, bei dem rund jedes zehntausendste Wasserstoffatom das verlorene Elektron zurückerhält. Ebenso bekommt ein kleiner Teil des Heliums, das ebenfalls in Wasserstoffwolken vorkommt, eines der beiden Elektronen zurück. Darum korrespondiert zu jeder Wasserstoff-Absorptionslinie im Lyman-Wald eine Helium-Linie, die zur selben Wolke gehört.



Reionisation in zwei Phasen



Im Spektrum von HE2347-4342 fanden Reimers und seine Mitarbeiter jedoch Helium-Absorptionen, denen kei-ne Lyman-Linie entsprach. Sie mußten demnach von einfach ionisiertem Helium stammen, das sich außerhalb der Wasserstoffwolken befindet. Im Licht von HE2347-4342 ist man, so die Schlußfolgerung der Forscher, somit erstmals auf einen kosmischen Bezirk gestoßen, in dem das Helium im intergalaktischen Medium erst eines seiner beiden Elektronen verloren hat.

Das bestätigt die Vorstellung der Astronomen, wonach die Reionisation in zwei Phasen ablief – zunächst durch die Galaxien, dann durch die Quasare. Nebenbei haben die Hamburger Forscher damit aber auch den Nachweis geführt, daß es außerhalb von Galaxien und Lyman-Wolken überhaupt nennenswerte Mengen diffus verteilter Materie gibt; bislang war dies nur eine in der Fachliteratur durchaus umstrittene Hypothese.

Weiteren Aufschluß über den genauen Verlauf der Helium-Reionisation erhoffen sich die Astronomen nun von dem Forschungssatelliten Far Ultraviolet Spectral Explorer (FUSE), dessen Start für den 15. Oktober geplant ist. Der Quasar HE2347-4342 steht ganz oben auf der Beobachtungsliste. Mit dem NASA-Satelliten werden sich auch Absorptionslinien im fernen ultravioletten Spektralbereich registrieren lassen, weil er ein anderes Beschichtungsmaterial für die Spiegel hat als das Hubble-Teleskop: Siliciumcarbid statt Magnesiumfluorid. Den kürzeren Wellenlängen entspricht aber ein späterer Zeitpunkt in der Entwicklung des Kosmos. Mit FUSE sollte sich folglich feststellen lassen, ab wann kein einfach ionisiertes Helium mehr im interstellaren Medium vorliegt und somit die zweite, durch Quasare verursachte Phase der Reionisation in der Entwicklung des Kosmos abgeschlossen war.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1998, Seite 22
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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