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Neue Ausgrabungen in Meroe

Das einst wichtigste Zentrum des nubischen Reiches von Kusch verdankte seinen Reichtum einer florierenden Eisenindustrie, von der riesige Halden mit mehreren tausend Tonnen Schlacke zeugen. Ihre Erforschung ist eines der Ziele neuerlicher Ausgrabungen.


Nachdem im 3. und 2. Jahrtausend vor Christus die Gebiete des mittleren Niltales jahrhundertelang unter ägyptischem Einfluß gestanden hatten, entwickelte sich im frühen 8. Jahrhundert vor Christus im heutigen Nordsudan das nubische Reich von Kusch, das die Griechen Äthiopien nannten. Dessen Herrschern gelang es um 750 vor Christus, bei ihrem Vordringen nach Norden das mächtige Pharaonenland zu besetzen. Dabei übernahmen die Kuschiten viele Elemente der ägyptischen Kultur, die zunehmend mit eigenen Zügen gemischt wurden und in dieser Symbiose das Reich von Kusch bis zu dessen Untergang Mitte des 4. Jahrhunderts nach Christus prägten.

Zu seinen größten kulturellen Leistungen gehört die Entwicklung einer Schrift für das von den Kuschiten gesprochene Meroitisch, die in hieroglyphischer und kursiver Form aus 23 Buchstaben und einem Worttrenner besteht. Die vorliegenden Texte können zwar gelesen werden, doch sind weniger als 30 Wörter in ihrer Bedeutung bekannt, so daß das Meroitische noch immer zu den weitgehend unbekannten Sprachen gehört.

Etwa 210 Kilometer nördlich des Zusammenflusses von Weißem und Blauem Nil liegen die Ruinen der schon im 8. Jahrhundert vor Christus existierenden Stadt Meroe, dem wichtigsten Zentrum von Kusch. Viele unserer Kenntnisse über sie basieren auf außer-kuschitischen Quellen – beispielsweise auf Berichten antiker Schriftsteller wie Plinius und Diodor. Von Meroe, das bis ins 4. nachchristliche Jahrhundert existierte, brachen Gesandte nach Ägypten, Rom und Griechenland auf; von hier wurden Heere nach Norden geschickt, um gegen die Römer zu kämpfen, die nach dem Tode Kleopatras VII. die Macht in Ägypten übernommen hatten. Und bis an diese entlegene Stelle der Alten Welt kamen Händler, griechische Reisende und gar Spione des Kaisers Nero.

Noch heute künden die Ruinen von Tempeln und Palästen am Ufer des Flusses vom einstigen Wohlstand der Stadt. Einige Kilometer landeinwärts wurden von 270 vor Christus bis etwa 350 unserer Zeitrechnung die Regierenden und ihre Angehörigen unter Pyramiden bestattet. Außerdem aber weisen riesige Schlackenhaufen auf eine ausgedehnte Eisenindustrie in der Antike hin.

Mehr über die Verhüttung und Verarbeitung von Eisen zu erfahren, die in Meroe eine frühe Blüte erlebt hatten, ist denn auch eines der Hauptziele von neuerlichen Ausgrabungen, die das Institut für Sudanarchäologie und Ägyptologie der Humboldt-Universität zu Berlin, das Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim und der Fachbereich Archäologie der Universität Khartoum mit finanzieller Unterstützung der Volkswagen-Stiftung im Frühjahr 1992 begonnen haben. Bei Kampagnen von 1910 bis 1914 und von 1965 bis 1984 hatte man nicht einmal 10 Prozent des ausgedehnten Stadtgebiets freilegen können.

Die Eisenindustrie von Meroe dürfte sicherlich das wirtschaftliche Fundament des Landes dargestellt haben. Die Schlackenhalden in der Stadt hat ein bei der Grabung mitwirkender Archäometallurg des Deutschen Bergbau-Museums Bochum auf mindestens 5000 bis 10|||000 Tonnen geschätzt. Zudem ergab die Begehung von Altertümerstätten nahe Meroe, daß auch an anderen Stellen Eisen verhüttet oder verarbeitet wurde, so daß die lokale Eisengewinnung noch bedeutender war als bisher angenommen.

Um Einblick in die Verhüttungstechniken und die verwendeten Erze zu gewinnen, wurde mit der Abgrabung eines Schlackenhügels begonnen (Bild 2). Er besteht aus Verhüttungs- und Schmiedeschlacken, aber auch aus bisher nicht bekannten Schlackentypen sowie zu großen Teilen aus Ofenbruch, untermischt von Holzkohle, die mit der Radiokohlenstoff-Methode datiert werden soll. Als ein erstes wesentliches Resultat ergaben die Untersuchungen, daß der bisher als Ausgangsmaterial angesehene eisenhaltige Sandstein (ferricrete sandstone) keinesfalls zur Verhüttung geeignet ist; statt dessen konnten Erztypen nachgewiesen werden, von denen sich Lagerstätten nahe Meroe befinden.

Zu den weiteren Zielen der "Meroe Joint Excavations" gehört es, mehr über die Nahrungsgüterproduktion in antiker Zeit, die Strukturen der Stadt und die Lebensbedingungen und -gewohnheiten ihrer Bewohner zu erfahren. Obwohl die nur sechs Wochen dauernde Vorkampagne vomehmlich der logistischen und planerischen Vorbereitung der drei anschließenden Hauptkampagnen dienen sollte, erbrachte sie auch zu diesem Themenkomplex bereits erste aufschlußreiche Ergebnisse. So wurden die Fundamente eines Tempels von bisher in Kusch noch nicht belegtem Typus gefunden. Er gehört zu einem Ensemble von Sakralbauten, das aus mehreren kleinen Gebäuden und einem großen, dem Gott Amun von Meroe geweihten Tempel besteht (Bild 1).

Außerhalb der großen, bis zu vier Meter dicken Umfassungsmauern der sogenannten Royal City in Richtung zum Nil hatten die verheerenden Überschwemmungen von 1988 unbekannte Mauerzüge freigespült. Auch hier wurde der Spaten angesetzt, um Klarheit über den Verlauf dieser Steinstrukturen zu erhalten, die vielleicht den Zugang zu einer antiken Hafenanlage darstellten. Konkrete Ergebnisse sind aber erst von den nächsten Kampagnen zu erwarten.

Schließlich wurde einer oberflächlich sich abzeichnenden Mauer nachgegangen, die sich inmitten einer antiken Abfallhalde befindet. Unter den ersten, noch zu untersuchenden Funden von Holzkohle, Asche und Knochen kamen unter anderem zerbrochenes Gebrauchsgeschirr und Fragmente eines römischen Glasgefäßes zum Vorschein. An dieser Stelle erwarten die Archäologen viele weitere Überreste alltäglicher Gegenstände, die über die Lebensgewohnheiten der Menschen von Meroe sowie über Flora und Fauna Aufschluß geben und damit Licht in das geheimnisvolle, schon in der Bibel erwähnte Reich von Kusch bringen können.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1993, Seite 24
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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