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Frühes Universum: Über den Ursprung der Galaxienarten

Neue Beobachtungstechniken und Computersimulationen erlauben den Astronomen, die Geburt von Sternsystemen in der Frühzeit des Universums zu rekonstruieren. Damit sind sie der Ursache für die verwirrende Vielfalt der Galaxienformen auf der Spur.


In Science-Fiction-Romanen scheitert ein riesiges Imperium häufig an seinem Größenwahn: Es will eine ganze Galaxie erobern und beherrschen – in der Tat ein hochtrabendes Unterfangen. Um unser Milchstraßensystem, die Galaxis, zu unterjochen, müsste ein Imperium hundert Milliarden Sterne bezwingen. Aber Kosmologen – Astronomen, die das Universum als Ganzes untersuchen – beeindruckt das wenig. Das Milchstraßensystem ist nur eine von mindestens fünfzig Milliarden Galaxien innerhalb des beobachtbaren Kosmos: Es zu erobern hieße nur, eine unbedeutende Sterneninsel zu unterwerfen.

Vor einem Jahrhundert wusste noch niemand, dass es all diese Galaxien überhaupt gibt. Für die meisten Astronomen erfüllte das Milchstraßensystem das gesamte Universum. Das All sollte in diesem Weltbild vielleicht eine Milliarde Sterne enthalten. Die wenigen diffusen "Nebel", die mancherorts am Firmament zu sehen sind, hielten die Beobachter für Sterne, die entstehen oder vergehen. Dann aber begann in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts das golde-ne Zeitalter der Astronomie: Der Amerikaner Edwin Hubble und andere Astronomen fanden heraus, dass viele dieser Nebel eigenständige Welteninseln oder Galaxien sind (siehe "Edwin Hubble und die Expansion des Universums", Spektrum der Wissenschaft 09/1993, S. 78)

Warum sammeln sich Sterne zu solch gigantischen Gebilden, die durch riesige leere Zonen getrennt sind, und wie kommen die Galaxien zu ihrer verwirrenden Vielfalt an Formen, Größen und Massen? Seit Jahrzehnten geht die Wissenschaft diesen Fragen nach. Einer Galaxie bei ihrem Entstehen zuschauen können die Forscher allerdings nicht: Der Vorgang dauert viel zu lange. Stattdessen müssen sie die Entwicklung rekonstruieren, indem sie viele verschiedene extragalaktische Sternsysteme mit unterschiedlichem Entwicklungsgrad beobachten. Erst vor etwa einem Jahrzehnt sind solche Messungen Routine geworden, und ein neues goldenes Zeitalter der Astronomie begann.

Grandiose Fortschritte in der Teleskop- und Detektortechnik ermöglichen den Astronomen heute, die Veränderungen von Galaxien über kosmische Zeitskalen hinweg zu erfassen. Aufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops und des Very Large Telescope (VLT) in Chile zeigen selbst sehr lichtschwache Galaxien am Himmel. Andere Großgeräte wie die beiden Keck-Teleskope auf Hawaii haben umfangreiches Datenmaterial über solch ferne Galaxien zusammen-getragen. Weil deren Licht mehrere Jahrmilliarden unterwegs war, sehen wir diese Sternsysteme in einem frühen Entwicklungsstadium, das in der unmittelbaren Nachbarschaft unseres Milchstraßensystems nicht mehr vertreten ist. Die Astronomen haben damit etwas in der Hand, wovon Evolutionsbiologen nur träumen können: eine Art Zeitmaschine, mit der sie in die Vorzeit zurückreisen und die Entwicklung ihrer Studienobjekte von den frühesten Formen an untersuchen können.

Die Aufgabe hat wahrhaft astronomische Dimensionen. Physik auf extrem unterschiedlichen Skalen spielt eine Rolle, von der kosmologischen Entwicklung des gesamten Universums bis herab zur Bildung eines einzelnen Sterns. Das macht es schwer, wirklichkeitsgetreue Modelle der Galaxienbildung zu entwerfen, doch nur so kann sich der Kreis schließen. Nach der Entdeckung der Abermilliarden von extragalaktischen Sternsystemen schien es zunächst so, als hätten Stellarastronomie und Kosmologie nichts miteinander zu tun. Wie sollten auch die kleinen Sterne das Gesamtbild des Kosmos beeinflussen? Umgekehrt waren den Stellarastronomen die Debatten über den Ursprung des Universums viel zu abstrakt. Doch inzwischen wissen wir, dass ein geschlossenes Bild des Universums die großen und die kleinen Dinge gleichermaßen berücksichtigen muss.

Um zu verstehen, wie sich Galaxien bilden, suchen die Astronomen nach Mustern und Trends in ihren Eigenschaften. Gemäß dem bereits von Hubble eingeführten Klassifikationsschema kann man Galaxien grob in drei Klassen einteilen: elliptische, spiralförmige und irreguläre. Die massereichsten sind die elliptischen. Sie sind glatte, strukturarme und ungefähr kugelförmige Systeme mit wenig oder gar keinem Gas und Staub. In ihnen sausen die Sterne herum wie Bienen um einen Stock. Die meisten dieser Sterne sind sehr alt.

Spiralgalaxien wie unser Milchstraßensystem sind stark abgeplattete und strukturierte Gebilde, in denen sich die Sterne und das Gas auf mehr oder weniger kreisförmigen Bahnen um das Zentrum bewegen – deshalb werden sie auch Scheibengalaxien genannt. Die einem Feuerrad ähnelnden Spiralarme bestehen aus heißen jungen Sternen, Gas und Staub. Die Zentralgebiete der Spiralgalaxien sind verdickt. Diese "Bäuche", die auch in der deutschen Fachsprache mit dem englischen Wort bulges bezeichnet werden, sind kugelförmige Anhäufungen von Sternen, die an kleine elliptische Galaxien erinnern. Ungefähr bei jeder dritten Spiralgalaxie setzen die Spiralarme nicht direkt am Bulge, sondern an einer länglichen Struktur an. Diese so genannten Balken entstehen wohl durch Instabilitäten in der Scheibe.

Die irregulären Galaxien passen in keine der beiden vorgenannten Klassen. Manche von ihnen könnten spiralförmige oder elliptische Sternsysteme gewesen sein, bevor sie durch Begegnungen mit einem Nachbarn vor relativ kurzer Zeit gestört wurden. Andere aber stehen einzeln im Raum und haben eine völlig unregelmäßige Gestalt, ohne jedes Anzeichen einer kürzlich erfolgten Störung.

In jeder dieser Klassen umspannt die Leuchtkraft der Galaxien einen weiten Bereich. Im Mittel jedoch sind elliptische Galaxien heller als Spiralen, und bei lichtschwächeren Sternsystemen ist der irreguläre Typ häufiger. Für die lichtschwächsten Galaxien bricht das Klassifikationsschema allerdings völlig zusammen. Solche Zwerggalaxien sind sehr uneinheitlich, und alle Versuche, sie in ein Ordnungsschema zu pressen, blieben umstritten. Grob gesprochen fallen sie in zwei Kategorien: gasreiche Systeme, in denen aktiv Sterne gebildet werden, und gasarme Systeme ohne Sternbildung.

Einen wichtigen Hinweis auf den Ursprung der Formenvielfalt lieferte eine bemerkenswerte Korrelation zwischen dem Typ und der lokalen Dichte der Sternsysteme. Die meisten Galaxien sind im Raum verstreut und haben keine direkten Nachbarn: Die meisten von ihnen sind Spiralsysteme; der Anteil der elliptischen liegt nur zwischen zehn und zwanzig Prozent. In Galaxienhaufen jedoch kehrt sich das Verhältnis um: Hier dominieren die elliptischen Systeme, und die wenigen Spiralen sind recht unscheinbar, mit nur wenig Gas und wenigen jungen Sternen. Diese so genannte Morphologie-Dichte-Beziehung hat die Astronomen lange vor ein Rätsel gestellt.

Ein kleiner Prozentsatz der spiralförmigen und elliptischen Systeme zeichnet sich durch eine Besonderheit aus: Sie enthalten einen extrem leuchtkräftigen, punktartigen Kern. Die extremsten und zugleich seltensten Vertreter solcher "aktiver Galaxienkerne" (active galactic nuclei, AGN) sind die Quasare, wo die Zentren so gleißend hell leuchten, dass sie die jeweilige Wirtsgalaxie fast völlig überstrahlen. Die meisten Astronomen sind überzeugt, dass aktive Galaxienkerne von Schwarzen Löchern mit Millionen bis Milliarden Sonnenmassen angetrieben werden. Der Theorie zufolge wandelt sich etwa ein Zehntel der Gasmasse, die in solche Monster stürzt, in Strahlungsenergie um. Derart gewaltige Leuchtfeuer kann man quer durch das gesamte Universum sehen.

Einst für Abnormitäten gehalten, haben sich die aktiven Galaxienkerne jüngst als wesentlich für den Prozess der Galaxienbildung herausgestellt. Ihre Anzahl war am höchsten, als das Universum ungefähr ein Viertel seines heutigen Alters hatte – also etwa drei bis vier Milliarden Jahre nach dem Urknall (siehe "Quasare – die kosmischen Mahlströme", Spektrum der Wissenschaft 08/1998, S. 40). In dieser Ära entstanden auch die meisten Sterne in den elliptischen Galaxien. Auch glaubt man heute, dass in praktisch jedem elliptischen Sternsystem ein extrem massereiches Schwarzes Loch verborgen ist, ebenso in jeder Spiralgalaxie mit einem Bulge – unabhängig davon, ob deren Kerne heute noch aktiv sind oder nicht. Folglich sollte jede Galaxie im Zuge ihrer Entwicklung eine oder mehrere Phasen der AGN-Aktivität durchlaufen. Solange Materie in das Schwarze Loch fällt, ist der Kern aktiv. Strömt kein neues Material mehr nach, fällt er in eine Art Winterschlaf.

Fast alles, was wir über jene Phänomene wissen, haben wir aus elektromagnetischer Strahlung, aus Photonen erschlossen: dem optischen Sternenlicht, den Radiowellen von neutralem Wasserstoffgas, der Röntgenstrahlung von ionisiertem Gas. Doch der größte Teil der Materie im Kosmos strahlt gar keine Photonen ab: Das ist die berühmte Dunkle Materie, deren Vorhandensein sich lediglich über ihre Schwerkraftwirkung erschließt. Die sichtbaren Teile der Galaxien sind nach heutiger Vorstellung von gigantischen "Halos" aus Dunkler Materie umgeben. Auf noch größeren Skalen halten wohl ähnliche Halos ganze Galaxienhaufen zusammen.

Gewöhnliche und Dunkle Materie gingen getrennte Wege

Leider hat bis jetzt noch niemand die Dunkle Materie direkt nachgewiesen. Woraus sie besteht, ist nach wie vor ungeklärt. Heute favorisieren die meisten Astronomen die Vorstellung, die Dunkle Materie bestehe größtenteils aus noch nicht identifizierten Elementarteilchen, die kaum mit anderen Teilchen oder auch untereinander in Wechselwirkung treten. Diese Klasse von Teilchen wird meist Kalte Dunkle Materie (cold dark matter, CDM) genannt, und jedes kosmologische Modell, das ihre Existenz voraussetzt, ist ein CDM-Modell.

In den letzten zwei Jahrzehnten haben die Astronomen in mühevoller Arbeit ein Modell der Galaxienbildung entwickelt, das die Kalte Dunkle Materie mit einschließt. Es basiert auf der Standardtheorie vom Urknall, welche die Expansion des Universums beschreibt. Zwar sind sich die Astronomen noch nicht einig darüber, was genau die Expansion antrieb und was in den Momenten nach dem Urknall geschah, aber das ist für die Entstehung von Galaxien auch nicht wesentlich. Es reicht, wenn wir 100000 Jahre nach dem Urknall in die Geschichte einsteigen, als das Universum Baryonen enthielt (die Bestandteile gewöhnlicher Atomkerne) sowie Elektronen (an die Kerne gebunden), Neutrinos, Photonen und Kalte Dunkle Materie. Beobachtungen zeigen, dass Materie und Strahlung damals sehr gleichmäßig verteilt waren: Die Dichte variierte von Ort zu Ort um nicht mehr als ein tausendstel Prozent. Die Herausforderung ist nun nachzuvollziehen, wie diese einfachen Zutaten zu der erstaunlichen Vielfalt der Galaxien führten.

Wenn man die Bedingungen damals mit denen heute vergleicht, fallen zwei wichtige Unterschiede auf. Zum einen überspannt das jetzige Universum einen enormen Bereich an Dichtewerten. So sind die Zentralbereiche von Galaxien mehr als hundertmilliardenmal dichter als das Universum im Mittel. Die Erde ist weitere zehn Milliarden Milliarden mal dichter. Zudem sind die Baryonen und die Kalte Dunkle Materie heute überhaupt nicht mehr so durchmischt wie einst: Die Baryonen bilden jetzt dichte Knoten (nämlich die Galaxien) innerhalb gigantischer Halos aus Dunkler Materie. Auf irgendeine Weise haben sich die Baryonen von der Kalten Dunklen Materie abgekoppelt.

Den ersten dieser Unterschiede erklärt die Gravitationsinstabilität: Wenn die Dichte in einer Raumregion geringfügig größer ist als im Mittel, übt der Massenüberschuss auch eine etwas überdurchschnittliche Schwerkraft aus und zieht weitere Materie an. Das Gravitationsfeld wird stärker, wodurch noch mehr Materie angezogen wird. Dieser sich selbst verstärkende Prozess vergrößert die ursprünglichen Dichteunterschiede. Die ganze Zeit über konkurriert die Schwerkraft in dieser Region mit der Expansion des Universums, welche die Materie auseinander zieht. Anfangs überwiegt die kosmische Expansion und die Dichte sinkt. Doch sie sinkt langsamer als in der Umgebung. Deshalb wird die relative Überdichte irgendwann so groß, dass die Schwerkraft über die Expansion siegt: Die Materie in der Region zieht sich enger zusammen, sie beginnt zu kollabieren.

Bis hierhin ist die Materieansammlung noch kein eigenständiges Gebilde, sondern lediglich ein Bereich zufällig erhöhter Dichte in dem Materieschleier, der das Universum erfüllt. Hat der Kollaps aber erst einmal eingesetzt, beginnt im Inneren dieses Keimes eine Art Eigenleben. In dem System – das wir jetzt eine Protogalaxie nennen können – stellt sich langsam ein Gleichgewicht ein. Wissenschaftler bezeichnen diesen Vorgang als Relaxation. Die Baryonen verhalten sich dabei wie die Teilchen eines Gases: Aufgeheizt durch Stoßwellen, die der Kollaps ausgelöst hat, tauschen sie durch direkte Stöße Energie aus und erreichen so ein hydrostatisches Gleichgewicht, bei dem sich Druck und Schwerkraft die Waage halten.

Innerhalb der Dunklen Materie verläuft die Relaxation jedoch völlig anders. Weil deren Teilchen kaum miteinander wechselwirken, können sie keine Energie durch Stöße übertragen. Ein System aus Kalter Dunkler Materie kann demzufolge kein hydrostatisches Gleichgewicht erreichen. Stattdessen spielt sich etwas ab, was wir als heftige Relaxation bezeichnen können: Jedes einzelne Teilchen tauscht Energie nicht mit seinesgleichen, sondern über das Schwerefeld mit dem gesamten Kollektiv aus.

Eine solche Umwandlung zwischen Gravitations- und Bewegungsenergie findet stets statt, wenn sich ein Körper in einem Schwerefeld bewegt. Wenn man einen Ball in die Luft wirft, steigt er höher, wird aber langsamer: Die Gravitationsenergie vergrößert sich auf Kosten der kinetischen. Beim Fallen geschieht das Umgekehrte: Der Ball gewinnt kinetische Energie in dem Maße, in dem die Gravitationsenergie abnimmt. Mit den Teilchen der Kalten Dunklen Materie in einer Protogalaxie geschieht dasselbe. Sie bewegen sich und verändern dabei je nach Balance zwischen Gravitations- und kinetischer Energie ihre Geschwindigkeit. Doch anders als Bälle nahe der Erdoberfläche bewegen sich CDM-Teilchen durch ein zeitlich variierendes Schwerefeld. Schließlich wird dieses ja von all den Teilchen zusammen erzeugt, die an dem Kollaps beteiligt sind.

Veränderungen im Gravitationsfeld lassen nun einige Teilchen Energie gewinnen und andere verlieren. Wie bei den Baryonen, so erlaubt die Umverteilung der Teilchenenergien eine Relaxation des gesamten Systems. Dieser Vorgang, durch den der Halo ein Gleichgewicht erreicht, ist kompliziert und konnte noch nie im Detail durchgerechnet werden. Stattdessen begnügen sich die Forscher mit numerischen Simulationen: Deren Ergebnisse zeigen, dass alle CDM-Halos, die in dieser Form von Gleichgewicht sind, ähnliche Dichteprofile aufweisen.

Am Ende des Kollapses und der Relaxation steht eine Protogalaxie, in derem Halo aus Dunkler Materie baryonisches Gas eingebettet ist, das sich in einem hydrostatischen Gleichgewicht befindet und üblicherweise einige Millionen Grad heiß ist. Während jedes CDM-Teilchen von nun an seine Energie behält, kann das baryonische Gas strahlen. Durch diesen Energieverlust kühlt es sich ab, zieht sich zusammen und sammelt sich im Zentrum des Dunkelmaterie-Halos. Durch diese Abkühlung entkoppeln sich also die Baryonen von der Kalten Dunklen Materie.

Galaxien stießen zusammen

Bislang haben wir die Vorgänge in einer einzelnen Protogalaxie beschrieben und ihre Umgebung ignoriert. In Wirklichkeit werden sich aber nahebei andere Protogalaxien bilden. Infolge der gegenseitigen Massenanziehung werden sie sich einander annähern, bis sie schließlich zu einem größeren Gebilde verschmelzen. Dieses wird wiederum mit anderen verschmelzen und so weiter. Ein solcher hierarchischer Aufbau ist ein Charakteristikum von CDM-Modellen.

Der Grund ist einfach: Weil kleinräumige Dichtefluktuationen großräumigen überlagert sind, erreicht die Dichte ihren Maximalwert in den kleinsten Bereichen. Ein Analogon wäre der Gipfel eines Berges. Dessen höchste Stelle ist durch einen winzigen Gegenstand festgelegt – zum Beispiel durch einen Kiesel auf einem Felsbrocken auf einem Hügel auf dem Gipfel. Wenn sich eine Wolkenbank auf den Berg senkt, verschwindet der Kiesel zuerst, dann der Felsbrocken, der Hügel und schließlich der ganze Berg.

Im frühen Universum sind auf ähnliche Weise die kleinsten Protogalaxien die dichtesten Regionen. Sie sind also die ersten Bereiche, die kollabieren, gefolgt von immer größeren Strukturen. Was die Kalte Dunkle Materie von anderen denkbaren Arten von Dunkler Materie unterscheidet, sind ihre Dichtefluktuationen auf allen Größenskalen. Neutrinos zum Beispiel haben keine Fluktuationen auf kleinen Skalen. Ein neutrino-dominiertes Universum wäre wie ein Berg mit einem völlig glatten Gipfel.

Die hierarchische Entstehung der Dunkelmaterie-Halos lässt sich nicht durch einfache mathematische Beziehungen beschreiben; sie wird am besten im Computer simuliert. Um einen repräsentativen Teil des Universums mit genügend hoher Auflösung zu erfassen, damit die Entstehung einzelner Halos sichtbar wird, müssen die Wissenschaftler die modernsten Supercomputer einsetzen. Die statistischen Eigenschaften und die räumliche Verteilung der Halos, die bei diesen Simulationen entstehen, stimmen mit den tatsächlichen Beobachtungen exzellent überein. Diese Resultate stützen das hierarchische Bild und sind damit auch ein wichtiges Argument für das Vorhandensein von Kalter Dunkler Materie.

Das hierarchische Bild erklärt die Formen der Galaxien auf natürliche Weise. In Spiralgalaxien bewegen sich Sterne und Gas auf Kreisbahnen. Die Gestalt dieser Galaxien wird deshalb vom Dreh-impuls bestimmt. Aber wo kommt dieser her? Im Standardbild übten die Protogalaxien Gezeitenkräfte aufeinander aus und versetzten sich gegenseitig in Rotation. Nachdem sie kollabiert waren, blieb bei jeder etwas Drehimpuls übrig.

Als sich das Gas in den Protogalaxien abzukühlen begann, zog es sich zusammen und sammelte sich nach und nach im Zentrum. So, wie sich Eiskunstläufer schneller drehen, wenn sie bei einer Pirouette die Arme anziehen, rotierte das Gas immer rascher, je weiter der Kollaps voranschritt. Das Gas plattete sich dabei ab, so wie auch die Erde infolge ihrer Drehung ein wenig abgeplattet ist. Schließlich rotierte das Gas so schnell, dass die nach außen gerichtete Zentrifugalkraft den nach innen wirkenden Zug der Gravitation gerade ausglich. Bei Erreichen dieses Gleichgewichtszustandes hatte das Gas bereits die Form einer Scheibe angenommen. Diese war ausreichend dicht, sodass sich das Gas zu kleineren Wolken verklumpen konnte, aus denen schließlich Sterne entstanden: Eine Spiralgalaxie war geboren.

Weil jeder Dunkelmaterie-Halo etwas Drehimpuls mitbekam, muss man sich wundern, warum nicht alle Galaxien Spiralen sind. Wie entstanden die elliptischen Galaxien? Lange diskutierten die Astronomen zwei konträre Ansichten. Gemäß der einen Vorstellung entstanden die meisten Sterne in den heutigen elliptischen Galaxien und in den Bulges, als früh in der kosmischen Geschichte das Gas überall im Universum kollabierte. In der anderen Sichtweise sind die elliptischen Sternsysteme gewissermaßen Spätgeborene, die durch die Verschmelzung von Spiralgalaxien entstanden.

Diese zweite Hypothese ist immer populärer geworden. Detaillierte Computersimulationen der Verschmelzung zweier Spiralgalaxien zeigen, wie das stark fluktuierende Gravitationsfeld die beiden Scheiben zerstört. Beide Systeme durchdringen sich dabei, ohne dass ihre Sterne direkt zusammenstoßen. Die Verschmelzung läuft deshalb ähnlich ab wie die eingangs beschriebene "heftige Relaxation" der Dunklen Materie: Energie wird zwischen den Gesamtsystemen ausgetauscht. Falls beide Galaxien vergleichbare Massen hatten, entsteht als Resultat ein einfaches Konglomerat von Sternen, dessen Eigenschaften stark an eine elliptische Galaxie erinnern. Das meiste Gas aus den zwei ursprünglichen Scheiben verliert seinen Drehimpuls und fällt Richtung Zentrum. Dort erreicht es hohe Dichten, wodurch sich mit einer gewaltigen Rate Sterne zu bilden beginnen. Später mag neues Gas einfallen, sich abkühlen und eine neue Scheibe um die elliptische Galaxie ausbilden. Das Resultat wäre dann eine Spiralgalaxie mit einem Bulge in der Mitte.

Die hohe Effizienz der Sternbildung während Verschmelzungen erklärt, weshalb elliptische Galaxien meist wenig Gas enthalten: Sie haben es schlicht verbraucht. Das Verschmelzungsszenario ist auch mit der Morphologie-Dichte-Beziehung verträglich: Eine Galaxie in dichter Umgebung erleidet mehr Kollisionen und wird mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einer elliptischen.

Beobachtungen bestätigen, dass Verschmelzungen und Wechselwirkungen im Universum häufig vorkamen, vor allem in der Anfangszeit. Auf Bildern des Hubble-Weltraumteleskops ist zu erkennen, dass die Gestalt vieler ferner (und deshalb junger) Galaxien gestört ist – ein deutliches Indiz für Wechselwirkungen. Auch nimmt der Anteil der so genannten Starburst-Galaxien, in denen neue Sterne mit enormer Rate gebildet werden, dramatisch zu, je weiter die Beobachtungen in die Vergangenheit reichen. Möglicherweise können die Astronomen hier erstmals die Entstehung elliptischer Galaxien direkt beobachten.

Wenn elliptische Galaxien und die Bulges von Spiralgalaxien mit galaktischen Verschmelzungen zusammenhängen, dann müssen bei diesen Ereignissen auch extrem massereiche Schwarze Löcher entstehen. Deren Massen korrelieren stark mit denjenigen der elliptischen Galaxien oder Bulges, in denen sie sitzen, aber nicht mit den Massen der Spiralscheiben. Die Astronomen haben ihre Verschmelzungsmodelle inzwischen erweitert, um die extrem massereichen Schwarzen Löcher und somit auch die aktiven galaktischen Kerne miteinzubeziehen. Das reichlich vorhandene Gas, das während einer Verschmelzung Richtung Zentrum geschleudert wird, könnte ein nicht aktives Schwarzes Loch wiederbeleben. Mit anderen Worten: Quasare waren deshalb in der Frühzeit des Universums häufiger, weil damals viel mehr Galaxien miteinander verschmolzen.

Zwerge passen nicht ins Bild

Was die Zwerggalaxien betrifft, so sind sie im hierarchischen Bild die Überbleibsel des Geschehens: kleine Zusammenballungen von Gas und Sternen, die noch nicht mit anderen Systemen verschmolzen sind. Neuere Beobachtungen zeigen, dass in ihnen die Sternbildung besonders unregelmäßig abläuft, in kurzen Schüben mit langen Pausen dazwischen (siehe "Starbursts in Zwerggalaxien", Spektrum der Wissenschaft 10/2000, S. 30) In größeren Systemen wie unserer Galaxis hingegen entstehen Sterne mit einer recht gleichmäßigen Rate. Diese Befunde sind faszinierend, weil viele Astronomen angenommen hatten, die Masse einer Galaxie würde ihre Fruchtbarkeit bestimmen. Vielmehr scheint die Sternbildungsrate eher von den speziellen Anfangsbedingungen und von zufälligen Ereignissen bestimmt zu sein. Denn in kleinen Galaxien können Supernova-Explosionen leicht das Gas durcheinander wirbeln oder gar völlig aus dem System heraustreiben, was die Sternentstehung zum Erliegen bringt. Selbst die kleinsten Störungen können schon einen dramatischen Einfluss haben. Evevtuell ist diese Empfindlichkeit der Grund für die Vielgestalt der Zwerggalaxien.

Wenngleich das allgemeine Modell der Galaxienentstehung erstaunlich erfolgreich ist, haben die Forscher noch lange nicht alle beteiligten Prozesse im Griff. Und es bleiben bedenklich stimmende Widersprüche. Das einfache Bild von kühlendem Gas in einem Halo aus Dunkler Materie kann nämlich so nicht stimmen, weil das Gas derart rasant abkühlen müsste, dass alles im Zentrum landete und der intergalaktische Raum praktisch leer wäre. Weil der Raum zwischen den Galaxien aber alles andere als leer ist, muss das Gas durch eine zusätzliche Energiezufuhr daran gehindert worden sein, ganz auszukühlen.

Ein anderes Problem betrifft den Drehimpuls. Der Drehimpuls, den die Protogalaxien in den Modellen erhalten, ist mit demjenigen vergleichbar, den wir in den Spiralgalaxien tatsächlich sehen. Solange das Gas seinen Drehimpuls behält, vermag das CDM-Bild die beobachteten Größen der Spiralen zu erklären. Aber leider zeigen die Computersimulationen, dass sich der Drehimpuls verringert: Ein großer Teil geht während der Galaxienverschmelzung an die Dunkle Materie über. Im Ergebnis sind die Scheiben, die bei diesen Simulationen entstehen, nur ein Zehntel so groß, wie sie sein sollten. Offenbar sind die Modelle noch nicht vollständig.

Eine dritte Inkonsistenz betrifft die Anzahl der Zwerggalaxien. Die hierarchischen Theorien sagen eine große Zahl von Dunkelmaterie-Halos geringer Massen und somit auch von Zwerggalaxien voraus. Doch die Beobachtungen ergeben ein anderes Bild. In der Nachbarschaft des Milchstraßensystems liegt die Anzahl der Zwergsysteme mit geringer Masse um einen Faktor 10 bis 100 unter den Prognosen. Also gibt es diese Dunkelmaterie-Halos entweder nicht, oder aber sie haben sich der Entdeckung bisher entzogen, weil sich in ihnen keine Sterne bilden.

Angesichts dieser noch offenen Probleme plädiert ein Teil der Astronomen dafür, das Modell grundlegend zu ändern – zum Beispiel eine andere Art der Dunklen Materie anzunehmen. Die meisten aber wollen das bisherige CDM-Modell beibehalten, weil es die allgemeine Struktur des Universums und die Galaxienverteilung so gut erklärt. Sie sehen die Ursache der Mängel eher darin, dass die bisherigen Modellrechnungen den Prozess der Sternbildung nicht adäquat zu behandeln vermögen. Dieser Vorgang läuft nämlich auf Skalen ab, die viel kleiner sind als eine typische Galaxie. Um ihn angemessen zu berücksichtigen, müsste die Datenmenge in den Simulationen um ein Vielfaches gesteigert werden – doch das würde die heutigen Hochleistungsrechner weit überfordern.

Wir wissen bereits, dass sich die Sternbildung tiefgreifend auf die Struktur einer Galaxie auswirken kann (siehe "Das Gas zwischen den Sternen", Spektrum der Wissenschaft 03/2002, S. 30). Manche Astronomen hoffen denn auch, damit gleich alle drei Probleme auf einmal lösen zu können. Die Energie, welche die Sterne freisetzen, kann das Gas aufheizen. Die Sterne könnten also die geforderte zusätzliche Energiequelle sein. Die Aufheizung verlangsamt auch den Fall des Gases zum Zentrum der Galaxie. Somit würde sich auch der Übertrag von Drehimpuls auf die Dunkle Materie verzögern – das zweite Problem wäre gelöst. Und Supernova-Explosionen könnten Materie aus den Galaxien zurück ins intergalaktische Medium schleudern (siehe "Gigantische Explosionen in aktiven Galaxien", Spektrum der Wissenschaft 04/1996, S. 48). Für Halos mit sehr geringer Masse, deren Entweichgeschwindigkeit klein ist, könnte dieser Prozess so effizient sein, dass sie praktisch keine Sterne bilden – was erklären würde, warum wir weniger Zwerggalaxien sehen als vorhergesagt.

Weil wir diese Prozesse so schlecht verstehen, sind noch zu viele Parameter in den Modellen variierbar. Es wird sich zeigen, ob die bestehenden Probleme wirklich gelöst werden können oder ob sie vielmehr auf die Notwendigkeit eines völlig neuen Rahmenwerks hindeuten.

Unsere Theorie der Galaxienentstehung wird sich gewiss noch weiter entwickeln. Die Himmelsdurchmusterungen, die derzeit laufen, wie etwa der Sloan Digital Sky Survey, werden das Datenmaterial über nahe wie ferne Galaxien immens verbessern. Fortschritte in der Kosmologie werden die Anfangsbedingungen der Galaxienentstehung weiter einschränken. Präzise Beobachtungen der kosmischen Hintergrundstrahlung haben bereits die Werte der kosmologischen Parameter auf großen Skalen geliefert, sodass sich die Theoretiker jetzt auf die Feinarbeit konzentrieren können. Und schon bald können wir vielleicht das Große, das Kleine und das Mittlere zu einem lückenlosen Bild der kosmischen Evolution vereinigen.

Literaturhinweise


The Angular Momentum Content of Dwarf Galaxies: New Challenges for the Theory of Galaxy Formation. Von F.C. van den Bosch et al. in: Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, Bd. 326, Heft 3, S. 1205 (21. September 2001).

The Formation of Ellipticals, Black Holes and Active Galactic Nuclei: A Theoretical Perspective. Von G. Kauffmann et al. in: Philosophical Transactions of the Royal Society of London. Series A, Bd. 358, Heft 1772, S. 2121 (15. Juli 2000).


In Kürze


- Eines der lebendigsten Arbeitsgebiete der heutigen Astrophysik geht der Frage nach, wie der Formenreichtum der Galaxien entstanden ist. Teleskope spüren den allerersten Galaxien nach, und Computersimulationen verfolgen ihre Entwicklung im Detail.

- Die Forschung könnte für die Galaxien bald das erreichen, was sie für Sterne Anfang des 20. Jahrhunderts leistete: eine vereinheitlichte Erklärung, die auf wenigen grundlegenden Prozessen beruht, aber für eine Vielfalt von Himmelskörpern gilt. Bei Galaxien umfassen diese Prozesse Gravitations-Instabilitäten, Abkühlung durch Strahlung, Relaxation (wobei Galaxien ein inneres Gleichgewicht erreichen) und Wechselwirkungen zwischen Galaxien.

- Die noch offenen Fragen lassen sich möglicherweise klären, wenn der Einfluss der Sternentwicklung auf die Gestalt einer Galaxie genauer untersucht wird.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2002, Seite 54
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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