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Wie Frösche einander übertönen

Für die Körpergröße quaken manche Froschmännchen extrem laut, um Revierkonkurenten einzuschüchtern und vor allem Weibchen anzulocken. Außerdem hat sich bei ihnen eine Fülle von Anpassungen entwickelt, durch die ihre Rufe den Hintergrundlärm durchdringen.

Wenn die Sonne hinter dem Gipfel des El Yunque versinkt, setzt im Karibischen Nationalpark das allabendliche kakophonische Konzert ein. Hier in der Berglandschaft im Osten Puerto Ricos beginnen nun unzählige Tiere zu krächzen, zu rufen und zu schreien, und jedes sucht das andere zu übertönen. Der Lärmpegel ist nicht anders, als donnerten U-Bahnen vorbei.

Besonders ein Chor läßt Studenten, die frisch zur Forschungsstation von El Verde gekommen sind, zusammenfahren und sich entsetzt die Ohren zuhalten. Um so erstaunter sind sie zu erfahren, daß die Urheber nicht einmal vier Zentimeter große Fröschchen sind, die heißen, wie sie rufen: Coqui (Bild 1).

Der stimmgewaltige Antillen-Pfeiffrosch, auch wissenschaftlich Eleutherodactylus coqui benannt, wird merkwürdigerweise in vielen Wiegenliedern der Region besungen. Er ist seit vielen Jahren eines meiner liebsten Studienobjekte.

Als ich mich 1970 als junger Ingenieur der Elektrotechnik nach einem Forschungsprojekt über tierische Kommunikation umsah, kam ich zufällig mit Robert R. Capranica von der Cornell-Universität in Ithaca (US-Bundesstaat New York) zusammen. Er machte akustische Experimente mit dem Nordamerikanischen Ochsenfrosch. Wenn er einem gefangenen Männchen synthetische Laute vorspielte, die dessen Paarungsruf glichen, bellte es sofort los, blieb hingegen bei den Schreien von 34 anderen Frosch- und Krötenarten stumm. Es gelang auch nicht, die Ochsenfrösche zu überlisten: Ihr typischer Ruf enthält Anteile aus zwei Frequenzbändern, und keine der beiden Komponenten durfte fehlen.

So wurde ich neugierig, wie solche akustischen Feinheiten wohl auf Leben, Verhalten und Umwelt dieser Tiere abgestimmt sind. Noch heute finde ich immer neue, faszinierende Anpassungen.

Akustische Nischen

Hauptsächlich scheinen Froschrufe darauf angelegt zu sein, daß sie sich von einer Geräuschkulisse abheben. Gerade im Regenwald, wo die meisten Frösche leben, gibt es viele lautstarke Kreaturen. Ein einzelnes Froschmännchen (die Weibchen rufen kaum) muß nicht nur aus dem Getön anderer Tiergruppen und sonstiger Frösche herauszuhören sein, sondern sich vor allem gegen konkurrierende Geschlechtsgenossen durchsetzen.

Ein Prinzip der Abgrenzung gleicht dem von Radiosendern: Jede Art belegt ein bestimmtes Frequenzband. Eindrucksvoll ist dies im Spektrogramm (siehe Kasten auf Seite 92 oben) erkennbar: Die nächsten Verwandten des Coqui haben alle sozusagen besondere akustische Kanäle – die einen quaken mit höheren, die anderen mit tieferen Frequenzen. Das scheint auch für die meisten übrigen Froscharten zu gelten, die im Karibischen Nationalpark um El Yunque leben.

Offenbar funktioniert das trotz mancher Einschränkungen. So haben große Frösche dunklere Stimmen und kleine hellere. Selbst unter den Coquis gibt es deutliche Unterschiede; aus unbekannten Gründen werden die Exemplare in höheren Lagen Costa Ricas größer und rufen dann etwas sonorer. Außerdem wirkt sich bei den wechselwarmen Amphibien die Außentemperatur aus: Mit kalten, trägen Muskeln legen sie zwischen den Rufen längere Pausen ein.

Die artspezifischen Frequenzbänder wurden sehr effektiv genutzt. So haben beim Coqui die beiden Silben im Oktavabstand verschiedenen Sinn: Das tiefe co, das in 900 Metern Höhe mit etwa 1160 Hertz ertönt, soll offenbar das Territorium markieren. Als wir nämlich einem Männchen Rufe eines anderen vorspielten, ließ es prompt die zweite Silbe weg, quakte aber kräftig weiter co – co – co; auch scherte es sich nicht darum, wenn wir in den vorgespielten Rufen elektronisch die Reihenfolge der Silben vertauschten. Dagegen ist das hohe qui bei Frequenzen um 2090 Hertz offenkundig für Weibchen bestimmt. Denn nur bei ihnen findet sich eine bestimmte große Gruppe von Hörneuronen, die am empfindlichsten auf Signale dieses Frequenzbereichs ansprechen.

Des weiteren quaken Frösche in für die Wahrnehmung günstigen Phasen und Momenten. Zum einen beschränken viele Arten ihre Lautäußerungen auf bestimmte Tageszeiten; der Coqui zum Beispiel läßt sein Stimmorgan von Sonnenuntergang bis Mitternacht erschallen. Zum anderen praktizieren Reviernachbarn eine Art Zeitmultiplex-Verfahren: Sie setzen mit ihrem Ruf vornehmlich in Pausen der übrigen ein. Dies gelingt ihnen, obwohl jedes Tier seinen eigenen Rhythmus hat – größere Coquis tönen ungefähr alle vier Sekunden, kleine hingegen alle zwei.

Wie sie die kurzen Lücken abpassen, wollten mein Student Randy Zelick und ich genauer untersuchen. Dazu konfrontierten wir zunächst Männchen alle 2,5 Sekunden (etwa in der natürlichen Ruffrequenz) mit einem kurzen Sinuston und steigerten allmählich dessen Dauer – die Pause wurde dadurch immer kürzer. Die Tiere schafften es tatsächlich, die Mehrzahl der Rufe in die Phase zwischen den Tönen zu plazieren, sogar dann, wenn sie nur 10 Prozent des Zyklus ausmachte (Kasten auf Seite 92 Mitte).

Als nächstes prüften wir, ob die Frösche sich nach der Periode des Signals richteten und wie rasch sie sich auf Wechsel einzustellen vermochten. Wir spielten ihnen dafür zufallsverteilt zwei verschieden lange Töne vor mit einer stets gleich langen Pause von 750 Millisekunden dazwischen. Auch dann vermochten die Coquis solo einzusetzen (Kasten auf Seite 92 unten). Wie überhaupt bei periodischen Verhaltensmustern und Funktionen ist auch in diesem Falle anzunehmen, daß Oszillationen in neuronalen Schaltkreisen dazu befähigen. Offenbar kann beim Coqui das Erregungssystem, das die Stimm-Muskeln steuert, von Mal zu Mal auf Bereitschaft geschaltet werden – der auslösende Reiz scheint plötzliche Stille zu sein.

Nun gibt es in der Natur unablässig Hintergrundgeräusche. Was würde geschehen, wenn in der Signalpause ein etwas leiserer Ton erklingt? Dazu beobachteten wir 23 Männchen im Freiland, denen wir wiederum im 2,5-Sekunden-Zyklus einen 1,5 Sekunden langen lauten Kontrollton von Ruffrequenz und einen schwächeren, eine Sekunde langen Testton vorspielten. Allmählich steigerten wir dessen Lautstärke, um festzustellen, welche Differenz die Frösche nicht mehr wahrzunehmen vermochten.

Sie erwiesen sich als unerwartet feinhörig: Selbst wenn Kontroll- und Testton sich nur noch um vier bis sechs Dezibel unterschieden, begannen 16 der 23 Männchen nach Abbruch des lauteren Signals zu quaken. Menschen würden solche Intensitätsabstufungen bei der in dieser Umwelt herrschenden Geräuschkulisse kaum wahrnehmen.

Trotz all solcher Verhaltensanpassungen können, wenn viele Froscharten ansässig sind, einzelne Rufe im allgemeinen Lärm untergehen. Dem begegnen viele von ihnen mit Redundanz. Unermüdliches Lautgeben ist nicht nur für werbende Frösche typisch: Wenn ein Tier minutenlang rhythmisch und stereotyp seine Stimme erschallen läßt, trifft es doch einmal in eine stillere Phase, in der es Aufmerksamkeit findet. Zudem gilt wie beispielsweise für manche zirpenden Insekten auch für Frösche, daß Sender und Empfänger aufeinander abgestimmt sind: Das Hörsystem verarbeitet vornehmlich die charakteristischen Frequenz- und Zeitmuster von Rufen der eigenen Art (Bild 2 oben).


Eingebauter Schalldämpfer

Das Auffallendste an den Froschrufen bleibt aber doch die Lautstärke (Bild 2 unten). Im Regenwald bei unserer Forschungsstation sitzt ungefähr alle zehn Quadratmeter ein Coqui-Männchen, das sich gegen Konkurrenten durchsetzen muß. Der Schalldruckpegel der Rufe beträgt denn auch auf einen halben Meter Entfernung 90 bis 95 Dezibel, mehr als der eines sieben Meter entfernten Preßlufthammers.

Es gelang mir an einem frühen Abend, einem rufenden Revierinhaber ein Mikrophon bis etwa 20 Millimeter vor das oberflächlich liegende große Trommelfell zu schieben, ohne ihn zu beunruhigen. Der Schalldruckpegel betrug dort 114 Dezibel beim co und 120 beim qui (lag damit recht nah an der Schmerzgrenze des Menschen). Wie kann ein kleiner Lurch das elf Monate im Jahr ohne Gehörschaden aushalten?

Nun hängt die Schwingungsintensität des Trommelfells – und damit die Stimulierung der Sinneshärchen im Innenohr – nicht nur vom Außendruck ab; der Gegendruck von innen spielt dabei mit. Beim Quaken pressen Frösche die Lungen zusammen und halten gleichzeitig Maul und Nase geschlossen. So wird die Luft an den Stimmbändern vorbei in ein geschlossenes System von Kammern und in die Mundhöhle gedrückt, deren häutiger Kehlsack sich ballonartig zur Schallblase aufbläht und die Vibrationen nach außen überträgt – sie dringen aber eben auch in die Gehörgänge (Bild 4).

Die Neuroethologen Günther Ehret und Jürgen Tautz hatten an der Universität Konstanz ein raffiniertes System entwickelt, mit dem sich Trommelfellbewegungen messen lassen. Dorthin machte ich mich mit zehn der stärksten Schreihälse auf, die ich bei der Feldstation El Verde frisch gefangen hatte. Das Gerät ist ein Laser-Doppler-Vibrometer, dessen niederenergetischen Helium-Neon-Laserstrahl man direkt auf das Trommelfell lenken kann. Bewegt sich die Membran nicht, bleibt die Wellenlänge des reflektierten Lichts unverändert; schwingt sie, ändert sich die Wellenlänge, und das Gerät bestimmt daraus die Auslenkung auf einen millionstel Millimeter genau (siehe Bild 2 oben).

Wir richteten allen Männchen ein eigenes Terrarium mit tropischen Pflanzen ein und hielten sie bei gewohnter Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Aber keines gab innerhalb der drei Wochen, die ich in Deutschland bleiben konnte, auch nur einen Laut von sich. Uns blieb nichts anderes übrig, als Tonbandaufnahmen zu Hilfe zu nehmen, die wir so abspielten, daß sie am Trommelfell einen Schalldruckpegel entsprechend dem der Rufe von Reviernachbarn hatten: 66 Dezibel das co und 73 das qui.

Die Experimente waren als Doppelblindstudie angelegt: Meine Kollegen pflegten die Bewegungen des Trommelfells zu beobachten, während ich den Laserstrahl ausrichtete. Für jeweils eine Testserie spielten wir 130 Rufe ab, und dann lenkte ich das Licht zur Gegenkontrolle auf einen Punkt am Schädel. So stellten wir sicher, daß wir nicht etwa nur Vibrationen des gesamten Körpers in dem starken Schallfeld erfaßten. (Außerdem mußte das Tier völlig ruhig sitzen; doch praktischerweise erstarrten die Frösche, wie wir zuvor herausgefunden hatten, sobald sie im Dunkeln der Laserstrahl traf; Bild 4 links.) Aus Test- und Kontrollmessungen war die Nettobewegung des Trommelfells leicht zu errechnen, indem wir die beiden Spektren voneinander subtrahierten.

Eine der aufschlußreichsten Entdeckungen machten wir, als mir bei einem Kontrolldurchgang die Hand abrutschte. Der Strahl traf versehentlich die Körperseite des Tieres auf Höhe der Lungen. Erstaunlicherweise zeigte das Meßgerät auch jetzt eine Reaktion an: Die Haut vibrierte deutlich unter dem Froschruf vom Tonband.

Unverzüglich maßen wir die gesamte Körperoberfläche durch. Nur ein kleiner Fleck an den Flanken war empfindlich – der allerdings sprach kaum weniger stark an als das Trommelfell selbst, fast wie ein zweites Paar Ohren (Bild 4 oben).

Als nächstes bestimmten wir zusammen mit Barbara Schmitz von der Universität Konstanz die Druckschwankungen in der Mundhöhle, wenn ein kleiner, direkt der Haut aufliegender Lautsprecher die Stelle in Höhe der Lungen in Schwingungen versetzte. Weil dann auch das Trommelfell vibrierte, muß von den Lungen bis hierhin eine durchgehende Luftverbindung bestehen. Mit einem solchen Hohlraumsystem läßt sich gleich zweierlei erklären: wie Frösche Schallquellen orten und wie sie sich vor ihrem eigenen Krach schützen.

Das Ohr von Säugetieren und Vögeln ist biophysikalisch ein geschlossener Drucksensor (Bild 3 links). Mit einem einzelnen Empfänger dieser Art läßt sich die Schallrichtung nicht erkennen; dazu müssen beide Ohren zusammenwirken, wobei Unterschiede von Ankunftszeit und Intensität des jeweiligen Signals verrechnet werden. (Die Funktion der Ohrmuscheln bei Säugern und des Schädels, der hohe Frequenzen dämpft, sind bei dieser Betrachtung zu vernachlässigen.)

Die Hörorgane vieler Insekten detektieren hingegen Druckgradienten. Der Schall trifft von beiden Seiten auf das Trommelfell auf, und zwar je nach Herkunftsrichtung verschieden stark. Diese Druckdifferenz wird registriert, genauer gesagt der Phasenunterschied beider Schwingungen, der sich dadurch ergibt, daß der Schall bis zur einen Seite länger braucht als bis zur anderen. Somit ist die Richtung allein mit einem Hörorgan lokalisierbar (Bild 3 Mitte).

Bei den Fröschen ist nun beides kombiniert. Ihre Ohren sind gewissermaßen asymmetrische Druckgradientensensoren: Auch bei ihnen trifft der Schall beidseits auf das Trommelfell, allerdings mit recht ungleicher Druckamplitude, und diese Differenz ergibt das Vibrationsmuster des Trommelfells. Die Richtung der Schallquelle wird dabei auf recht komplexe Weise bestimmt, denn innen am Trommelfell jeder Seite treffen mindestens zwei Schallwege zusammen: vom anderen Ohr und aus der Lunge (Bild 3 rechts).

Dieses Hohlraumsystem könnte außerdem erklären, wie die empfindlichen Strukturen des Ohres vor Überstimulierung bei eigener Vokalisation geschützt werden. Wenn ein Männchen ruft, so vermuteten wir, müßte sich der hohe Luftdruck in der Mundhöhle dem Trommelfell mitteilen, das sich dadurch nach außen wölben, also spannen dürfte. Der von außen auftreffende Schall sollte es nun weniger stark auslenken: Sein Effekt würde gedämpft. Zudem würden die an den Stimmbändern erzeugten Töne nicht nur von der Schallblase nach außen abgestrahlt und dann vom Trommelfell aufgefangen, sondern auch im Organismus zum Ohr weitergeleitet. Kämen beide Wellenpakete nahezu phasengleich an, fielen also die Perioden hohen Drucks zusammen, würde das Trommelfell kaum ausgelenkt.

Ob diese Vorstellung zutraf, ließ sich nur prüfen, wenn die Froschmännchen quakten, wozu wir sie in Gefangenschaft nicht bringen konnten. Die nächsten Experimente mußten meine Doktorandin Pamela Lopez und ich deswegen wieder in der Freilandstation in El Verde durchführen. Wir benutzten dazu ein tragbares Laser-Doppler-Vibrometer.

Weil die Tiere bei den hochempfindlichen Messungen nicht mit einem Ast oder Blatt schwanken durften, konnten wir nur Männchen untersuchen, die sich beispielsweise einen Baumstamm oder ein Hausdach zum Revier erkoren hatten. Problematischer war, daß der Coqui am kräftigsten bei nahezu 100 Prozent Luftfeuchtigkeit schreit, also im Regen oder kurz danach im nassen Laub; dann arbeitet unser Gerät aber nicht, denn weder der Laserstrahl noch das reflektierte Licht darf Wassertropfen treffen.

Nun herrschte in Puerto Rico gerade damals ein besonders trockener Sommer. Schließlich verfielen wir darauf, die Frösche einige Minuten lang künstlich zu beregnen – das stimulierte sie zu quaken, und wir konnten nachweisen, daß das Trommelfell eines Coquis tatsächlich nur sehr schwach schwingt, wenn er für Menschenohren unerträglich laut ruft. Derzeit versuchen wir herauszufinden, mit welchem Phasenunterschied die Laute an beiden Seiten des Trommelfells ankommen.


Das Seismometer der Frösche

Einige wenige Arten, die keine so durchdringende, schrille Stimme haben wie der Coqui, verschaffen sich auf eigene Weise Gehör. Zu ihnen gehört der nachtaktive Weißlippen-Pfeiffrosch (Leptodactylus albilabris), der in weiten Teilen Puerto Ricos im Morast von Feuchtgebieten und an Wasserläufen vorkommt. Die lautgebenden Männchen hocken in dichten Grasbüscheln, herabgefallenem Laub, seichten Vertiefungen oder selbstgegrabenen Löchern; die Weibchen sind gut getarnt und bleiben stumm.

Als ich den Ruf zum ersten Mal hörte und mich anzuschleichen versuchte, verstummten die Tiere augenblicklich. Nur mit äußerster Vorsicht konnte ich einige Männchen fangen (Bild 5 links). Mit Edwin R. Lewis von der Universität von Kalifornien in Berkeley untersuchte ich, wie die Frösche leichte Bodenerschütterungen aus der Distanz wahrnehmen.

Für den Vibrationssinn von Fröschen und Kröten sind, wie man weiß, Sinneszellen mit einem Schopf feiner, empfindlicher Härchen im Sacculus des Innenohrs zuständig (vergleiche "Die Haarzellen den Innenohrs" von A. J. Hudspeth, Spektrum der Wissenschaft, März 1983, Seite 108); beim Weißlippen-Pfeiffrosch sind es 600. Auf ihnen ruht eine Anhäufung von Calciumcarbonatkristallen, die träge verharrt, wenn die Sinneshaare bei Erschütterung des Tieres vibrieren, so daß sie ausgelenkt werden. Dieser Reiz verändert die normale Impulsrate der Haarzellen, die auch sonst fortwährend feuern.

Wir entdeckten denn auch eine Gruppe von Nervenfasern, die aus dem Innenohr kommen und sehr heftig ansprachen, wenn wir ein Tier tiefen Vibrationen zwischen 20 und 160 Hertz aussetzten, wie sie im Boden weitergeleitet werden. Manche reagierten noch auf Beschleunigungen von rund einem Millionstel der Erdbeschleunigung, sind also hundertmal so empfindlich wie die von Säugetieren.

Es schien uns wenig wahrscheinlich, daß ein solch feines Sensorium allein Schritte eines sich nähernden Feindes wahrnehmen soll, und wir vermuteten, daß es auch der Verständigung zwischen Artgenossen dient. Um dies zu prüfen, plazierten wir ein Geophon (oder Seismophon), das sehr genau Bodenvibrationen mißt, direkt neben einem Frosch. Tatsächlich registrierte es bei jedem Quaken einen kräftigen Stoß.

Die Männchen des Weißlippen-Pfeiffrosches graben sich nach Regen in den schlammigen Grund; nur der Kopf und die Vorderbeine schauen noch hervor. Wenn sie nun quaken, dehnt sich die Schallblase explosionsartig aus und schlägt dabei auf den Boden. Die Erschütterung pflanzt sich mit ungefähr 100 Metern pro Sekunde als Oberflächenwelle (als Rayleigh-Welle) fort; nach einem Meter beträgt die Spitzenbeschleunigung noch zwei Tausendstel der Erdbeschleunigung, und die Vibrationsfrequenzen liegen im selben Bereich wie die größte Empfindlichkeit der Innenohr-Sinneszellen.

Lewis und seine Kollegen konstruierten nun eine Vorrichtung, die wie ein Frosch den Boden beben läßt, aber keinen über die Luft hörbaren Schall erzeugt. Sie verwendeten dafür die Magnetspule einer elektrischen Schreibmaschine und synchronisierten den Auslösemechanismus mit Tonbandaufzeichnungen von Froschrufen, so daß das Pochen genau dem natürlichen entsprach. Im Umkreis von drei Metern reagierten alle Männchen darauf derart präzise, als ob das Gerät einen Chor dirigierte.

Ob die Frösche die akustische und die seismische Komponente des Signals von Nachbarn voneinander unterscheiden können, wissen wir noch nicht. Doch scheinen die Wahrnehmungen von Schwingungen, die auf den Körper einwirken, und die von Druckänderungen an den Ohren eng verknüpft zu sein.

Kürzlich wiesen wir und andere Forscher in diesem Zusammenhang an Leopardfröschen zwei wichtige Gruppen von Nervenfasern nach. Die eine entspringt einer besonderen Struktur im Innenohr von Amphibien – der Papilla amphibiorum – und spricht bei tieferfrequenten Tönen an (beim Hören scheint sie für Amphibien als Sinnesendstelle die Hauptrolle zu spielen). Die andere, die wir bereits beim Weißlippen-Pfeiffrosch erwähnten, kommt vom Sacculus und ist für Vibrationsreize zuständig. Eine Unterscheidung ist aber offenbar eher funktional, denn beide Gruppen reagieren jeweils auch auf das andere Signal. Wesentlich anders ist wohl nur der Weg, auf dem die Reize die Sinneszellen erreichen. Diese Bahnen sind noch nicht vollständig aufgeklärt.

Seismische Kommunikation wie bei Amphibien hat man jetzt auch bei Blindmäusen (Gattung Spalax) nachgewiesen, die in Südosteuropa und im Gebiet des östlichen Mittelmeeres leben, bei Bleßmullen (Georychus) in Südafrika und bei Känguruhratten (Dipodomys) im Südwesten der Vereinigten Staaten.

Interessant ist in diesem Zusammenhang das Verhalten eines malayischen Laubfrosches, Polypedates leucomystax, wie Albert S. Feng von der Universität von Illinois in Urbana, Jakob Christensen-Dalsgaard von der Universität Odense (Dänemark) und ich vor kurzem entdeckten: Die Weibchen kommen nachts aus den auf dem Wasser treibenden Pflanzenmatten hervor, in denen sie leben, klettern auf einen Halm und trommeln rhythmisch mit den Zehen der Hinterfüße dagegen – minutenlang, wobei sie auch gelegentlich quaken. Männchen finden sich daraufhin sehr schnell zur Paarung ein (Bild 5 rechts).

Diese Kommunikation mittels Vibration ist nicht nur wegen der Umkehrung der Verhältnisse bemerkenswert (bei Laubfröschen haben normalerweise die Männchen den anlockenden Part). Die Polypedates-Weibchen sind auch die ersten bekannten landlebenden Wirbeltiere, die für seismische Signale nicht den Boden benutzen. Gerade Frösche bewohnen so viele verschiedene Habitate, daß wohl noch manche Überraschung zu gewärtigen ist.

Literaturhinweise

- Gibt es Frösche mit 4 Ohren? Lasermessungen zeigen neuen Schalleingang beim Laubfrosch, Eleutherodactylus coqui. Von J. Tautz, G. Ehret und P. Narins in: Verhandlungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft, Band 81, 1988, Seite 303.

– Accessory Pathway for Sound Transfer in a Neotropical Frog. Von P. M. Narins, G. Ehret und J. Tautz in: Proceedings of the National Academy of Sciences, Band 85, Heft 5, Seiten 1508 bis 1512, März 1988.

– Seismic Communication in Anuran Amphibians. Von P. M. Narins in: Bioscience, Band 40, Heft 4, Seiten 268 bis 274, April 1990.

– Biological Constraints on Anuran Acoustic Communication: Auditory Capabilities of Naturally Behaving Animals. Von P. M. Narins in: Evolutionary Biology of Hearing. Herausgegeben von D. B. Webster, R. R. Fay und A. N. Popper. Springer, Heidelberg 1992.

– Reduction of Tympanic Membrane Displacement during Vocalization of the Arboreal Frog, Eleutherodactylus coqui. Von P. M. Narins in: Journal of the Acoustical Society of America, Band 91, Heft 6, Seiten 3551 bis 3557, Juni 1992.

– Comparative Aspects of Interactive Communication. Von P. M. Narins in: Active Hearing. Herausgegeben von Å. Flock, D. Ottosen und M. Ulfendahl. Elsevier Science, 1995.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1995, Seite 90
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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