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News: Auf und ab im Hominidenzoo

Im Jahr 2001 hatten über fünf Millionen Jahre alte Knochen den Status einer neuen Unterart namens Ardipithecus ramidus kadabba erhalten. Jetzt gehen die Entdecker einen Schritt weiter und wollen ihren Fund zur echten Art befördern - und zweifeln gleichzeitig die Existenz anderer Hominidengattungen an.
Ardipithecus kadabba
Langsam wird es kompliziert. Noch vor wenigen Jahren erschien der Stammbaum des Menschen einigermaßen überschaubar – neben unserer eigenen Gattung Homo mit einigen Arten wie Homo habilis oder Homo erectus gab es noch die Gattung Australopithecus, deren berühmtester Vertreter Australopithecus afarensis als "Lucy" Karriere machte –, doch seit Anfang dieses Jahrtausends müssen wir immer neue Namen lernen: Sahelanthropus tchadensis, Orrorin tugenensis oder auch Kenyanthropus platyops wollen ebenfalls in die große Familie der Hominiden aufgenommen werden.

Auch der äthiopische Anthropologe Yohannes Haile-Selassie, der inzwischen am Cleveland Museum of Natural History beschäftigt ist, trug zur Erweiterung des Hominidenzoos bei: Im Jahr 2001 beschrieb er die Überreste von mindestens fünf Individuen, die vor mehr als fünf Millionen Jahren in Middle Awash, einer der fossilreichsten Regionen Äthiopiens, gelebt hatten. Vorsichtig klassifizierte er seinen Fund nicht als Art, sondern lediglich als neue Unterart der Hominidenspezies Ardipithecus ramidus. In Anlehnung an das Wort kadabba für "Stammvater" in der Sprache der hier lebenden Afar gab Haile-Selassie dieser neuen Subspezies den Namen Ardipithecus ramidus kadabba.

Der Forscher war sich jedoch schon damals sicher, dass er die Überreste einer echten, bisher unbekannten Art in den Händen hielt – einer Spezies, die durchaus zur direkten Linie unserer Vorfahren gehören könnte. Seine Interpretation blieb unter Kollegen des Metiers umstritten, doch jetzt will er den fehlenden Artbeleg nachreichen.

Grundlage für die Artbeschreibung sind ganze sechs Zähne, deren Alter auf bis zu 5,8 Millionen Jahre geschätzt wird. Diese Zähne erinnerten den Anthropologen an das Gebiss heutiger Schimpansen, zeichnen sich diese Tiere doch durch die Eigenart aus, ihre Eckzähne mit den gegenüberstehenden Backenzähnen zu schärfen. Bekanntermaßen haben wir Menschen diese praktische Begabung längst verloren, und auch andere Hominiden – einschließlich Ardipithecus ramidus – verfügten wohl nicht über dieses "primitive" Merkmal. Also steht eine Beförderung an: Aus der Unterart wird die Art Ardipithecus kadabba.

Und dieser Neuling ist nicht irgendwer, sondern soll unmittelbar an der Basis des Stammbaums gestanden haben, nachdem Menschen und Affen getrennte Wege gingen. Nach Ansicht von Haile-Selassie führt eine direkte Linie von Ardipithecus kadabba über Ardipithecus ramidus zu Australopithecus afarensis – jener berühmten Lucy. Von ihr ist es dann nicht mehr weit zum Menschen.

Diese Beförderung reicht Haile-Selassie jedoch nicht aus. Gleichzeitig will er ein wenig Ordnung schaffen und einige Hominidengattungen zurück zu Arten oder gar Unterarten degradieren. Denn die Variationen der doch recht spärlichen Fossilfunde früher Hominiden seien zwar beachtlich, allerdings nicht so groß, dass sie eigene Gattungen rechtfertigen. Schließlich könnten sie auch lediglich auf lokale Anpassungen beruhen. Die Gattungen Orrorin und Sahelanthropus gehören seiner Ansicht nach wohl eher zur Gattung Ardipithecus.

Haile-Selassies Doktorvater, Tim White von der University of California in Berkeley, der an der Arbeit seines Zöglings mitgewirkt hatte, fordert schon lange ein derartiges Aufräumen. Pikanterweise hatte er selbst die Hominidenvielfalt mit seiner Beschreibung von Ardipithecus ramidus erweitert, denn bis 1995 wurde diese Art noch zur Gattung Australopithecus gezählt. Doch an die Gattungen Kenyanthropus und Orrorin hatte White nie geglaubt.

Andere Wissenschaftler sehen das natürlich anders. Schließlich, so betont David Begun von der University of Toronto, könnten die vielen Arten und Gattungen zu Beginn der Menschwerdung der Ausdruck einer adaptiven Radiation sein, jener explosionsartigen Artbildung aus einer Stammform, die sich in der Lebensgeschichte häufig einstellte, wenn sich neue ökologische Nischen auftaten.

Die Frage, ob viele Hominidenarten gleichzeitig existiert haben oder nur wenige zu Homo sapiens führten, wird wahrscheinlich nie endgültig zu klären sein. Die Lösung des Problems, so Begun, ist das Mantra aller Paläontologen: "Wir brauchen mehr Fossilien!"

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