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Proteomik: Das frühe Netzwerk lenkt den Wurm

Berge von Daten sammeln sich auf den Servern der Genforscher an. Genome und Eiweißstrukturen, genetische Aktivitätsprofile und Bibliotheken über Wechselwirkungen zwischen Proteinen. Doch wächst mit den archivierten Bioinformationen wirklich das Wissen über das Leben? - Vielleicht wenn man anfängt, sie zu verknüpfen.
Wurmnetz
Interaktom ist so ein Wort. Proteom, Trankriptom oder Kinom sind weitere dieser Neologismen, die – kaum befand sich das Genom in aller Munde – wie Pilze aus dem Boden schossen. Das Mammutwerk der (fast) kompletten menschlichen Erbgutsequenz war endlich unter die Haube von Großrechnern gebracht, da begann die eigentliche Sammelwut erst.

Denn mit dem Genom allein ist wenig anzufangen, stellten die Molekularbiologen fest. Kennt man jedoch erst einmal das Transkriptom – alle zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle angeschalteten Gene – und, noch besser, auch das Interaktom – sämtliche Kontakte, die Proteine untereinander pflegen –, dann wird dem Leben schon auf die Schliche zu kommen sein, hoffen sie heute.

Los geht's mit den ehrgeizigen Unterfangen nach bewährter Strategie: bei winzigen Modellorganismen. So einer ist beispielsweise die Bäckerhefe. Deren knapp 6000 Proteine nahmen japanische Genomiker um Takashi Ito schon 2001 unter die Lupe.

Mit einer raffinierten Ködertechnik fischten sie für Tausende von Eiweißen Partnermoleküle aus der Proteinsuppe des Einzellers. Alle erwischten sie freilich nicht. Dennoch identifizierten sie einige Protein-Cliquen, deren Mitglieder gegenseitig aneinander haften blieben. Für eine dieser Cliquen fanden die Japaner auch eine konkrete Aufgabe: Sie manövriert Transportblasen durch das Zellplasma.

Unterdessen geht das Angeln weiter. Auch beim Fadenwurm Caenorhabditis elegans nimmt das Interaktom Gestalt an. Besonders gut untersucht ist das Eiweißgemisch im frühesten Lebensabschnitt des Wurms, wenn die befruchtete Eizelle sich zunächst in zwei, dann in vier Zellen teilt.

Ein amerikanisch-deutsches Genetiker-Team aus New York, Harvard und Dresden ist nicht ganz unschuldig an der vorliegenden Datenfülle. Die nutzten die von Fabio Piano angeführten Wissenschaftler nun, um dem Werden des Wurms eine umfassende Netzwerkanalyse zu widmen. Der Clou ihrer Arbeit ist, dass sie außer den mit der Angelmethode aufgedeckten, direkten Wer-mit-Wem-Beziehungen der Proteine noch zwei weitere Merkmale in ihr Kalkül mit einbezogen.

So berücksichtigten sie zum einen die gut dokumentierten Aktivitätsprofile der Proteingene, also wie stark die einzelnen Erbfaktoren zu verschiedenen Zeiten im Embryo abgelesen werden. Ferner verwendeten sie Phänotyp-Analysen. Diese erfassen, welche Defekte – etwa eine falsche Verteilung der Chromosomen – auftreten, wenn ein bestimmtes Protein fehlt. Mit den drei unterschiedlichen Datensätzen fütterten die Wissenschaftler sodann ein Computerprogramm.

Wurmnetzwerk | Die Grafik veranschaulicht, dass in den verschiedenen Stadien der Entwicklung jeweils andere der als molekularen Maschinen fungierenden Protein-Knäuel aktiv sind.
Das verdaute die Proteine in Kilobyteform eine Weile und spuckte erst ein unübersichtliches Liniengewirr aus. Schließlich aber – nach dem Feinjustieren der Algorithmen – erschienen hochgradig geordnete Netzkarten auf dem Bildschirm. Aus dem Plan stachen einige Dutzend größerer und kleinerer Protein-Knäuel hervor – die schon von der Hefe bekannten Cliquen; nur diesmal mit viel höherer Genauigkeit. Während die Mitglieder einer solchen Gruppe untereinander stark verknüpft waren, verbanden hingegen nur relativ wenige Linien die einzelnen Cliquen.

Der Computer zeichnete immer dann eine Verbindungslinie zwischen zwei Eiweißen, den Knoten im Netzwerk, wenn sich ihre Aktivitätsprofile und Phänotypen ähnelten oder ein direkter Kontakt im Interaktom verzeichnet war. Je nachdem wie streng die beteiligten Informatiker die Kritereien für eine Linie wählten, tauchten verschiedene Netzwerkverbände auf.

Betonten sie eher die unmittelbaren physischen Verbindungen, spiegelten die Netzdiagramme die bekannten Riesenkomplexe der Zelle wider: die Ribosomen etwa, die Proteinfabriken, oder das Proteasom – den Schredder für ausgebrauchte Proteine. Spielten sie indes weiter mit den Parametern herum, tauchten auch kleinere Knäuel auf – Proteingemeinschaften, die sich zu nur kurzzeitig relevanten Aufgaben zusammenfinden, beispielsweise um die Ebene der Zellteilung festzulegen.

Auch die gut 600 für die ersten Teilungsschritte des Wurmembryos besonders wichtigen Proteine organisieren sich in Cliquen. Fabio Piano nennt die Eiweißkonglomerate molekulare Maschinen. "Es sieht so aus, als sei nur eine recht kleine Anzahl dieser molekularen Maschinen für die Embryonalentwicklung von C. elegans nötig", meint Piano, "diese müssen aber umso besser zusammenarbeiten."

Um die opulenten Visualisierungen der embryonalen Proteinkommunikation auf den Realitäts-Tüv zu stellen, überprüften sie die Vorhersagen, die ihre Modelle für zehn Proteine mit bis dato unbekannter Funktion lieferte. Dazu pappten sie Eiweißen mit viel sagenden Namen wie "Y55B1BR.3" oder "WD8F4.8" eine grün leuchtende Fluoreszenzfackel an die Aminosäurekette und schauten im Mikroskop nach, wo sich diese in der Zelle zu schaffen machten. Und tatsächlich fanden die Forscher die Proteine immer an den auf Grund der Netzwerklinks prognostizierten Orten, etwa an der Taille von Chromosomen oder in der Nähe von Kanälen in der Zellkernmembran.

Die Metapher des Netzes greift im Internetzeitalter sicher allerorten um sich. Piano glaubt jedoch, dass es sich um mehr als nur eine Modeerscheinung handelt: Er hält die von ihm angewandte Strategie problemlos auf das Interaktom des Menschen übertragbar. Ohne die Hilfe von Informatikern und Mathematikern indes werden die Molekularbiologen dabei nur schwerlich vorankommen.

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