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Influenza: Die Grippewelle betrifft besonders Kinder

Vieles deutet darauf hin, dass die Grippe 2023/2024 Kinder und Jugendliche besonders stark trifft. Fachleute gehen von zahlreichen Ansteckungen mit der gefährlichen Krankheit aus. Doch es gibt auch gute Nachrichten.
Baby mit Fieberthermometer unterm Arm.
Krankes Kleinkind. Bei Kindern unter zwei Jahren kann Grippe schwerer verlaufen als bei älteren Kindern, die meist nur leicht erkranken.

Vor einigen Tagen ging Michael Hubmann, Präsident des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) mit einer durchaus überraschenden Aussage an die Öffentlichkeit. Die Grippeimpfung ab dem Kleinkindalter sei medizinisch sinnvoll – für alle Kinder. Bisher gilt die Impfempfehlung nur für Kinder mit Risikofaktoren. Das sei aus der Sicht des Verbandes falsch, erklärte Hubmann. Der Mediziner begründet die Empfehlung vor allem mit dem Ziel, die Krankheitslast in der Allgemeinbevölkerung und besonders bei den älteren zu senken. Doch es gibt auch einen anderen Grund: Die Grippewelle dieses Jahr wird vermutlich recht stark – und viel deutet darauf hin, dass Kinder ganz besonders betroffen sein werden.

Derzeit steigen die Grippezahlen bundesweit ungewöhnlich schnell an. Noch Mitte Dezember spielte das Influenzavirus kaum eine Rolle, seit Weihnachten allerdings tauchen immer mehr Erkrankte in Arztpraxen und auch Kliniken auf. Wie schwer die Welle wird, ist bisher nur schwer einzuschätzen, doch es gibt einige Indizien. Fachleute schauen dabei insbesondere auf das Grippegeschehen auf der Südhalbkugel. In Australien, Südafrika und Südamerika hat die Grippe ihren Höhepunkt zwischen Juli und September – und die gleichen Erreger kursieren einige Monate später auch in den Ländern des Nordens. Deswegen geben diese Länder wichtige Hinweise darauf, welche Auswirkungen die Grippe bei uns haben wird.

Die schlechte Nachricht ist, dass insbesondere Kinder an Grippe erkrankten. Schon in der letzten Grippesaison machten Kinder bis 16 Jahre einen ungewöhnlich großen Anteil der Fälle aus, und dieser Effekt scheint 2023 noch ausgeprägter zu sein. Während die meisten von ihnen nur leicht erkranken, sind Säuglinge stärker gefährdet. Grippe im Kindesalter kann in seltenen Fällen das Herz oder das Gehirn betreffen oder vorübergehend das Immunsystem schwächen. In Australien, wo es sehr gute Daten gibt, starben nach Angaben der Gesundheitsbehörde mehr Kinder an Grippe als in vielen vorpandemischen Jahren. Die Impfquote sei besonders bei Kindern sehr gering gewesen, und über die gesamte Saison hinweg seien immer wieder schwere Verläufe bei Kindern gemeldet worden. Dagegen seien in der klassischen Risikogruppe über 70 Jahre die wenigsten Grippefälle aufgetreten.

Ein Grund für die Häufung der Grippe bei Kindern ist möglicherweise, dass dieses Jahr ein anderer Subtyp die Grippewelle dominiert. Während seit 2020 der Subtyp A/H3N2 den größten Teil der Fälle verursachte, ist dieses Jahr A/H1N1 dominant – ein Abkömmling des Pandemievirus von 2009. Kinder hatten mit diesem Virus deswegen oft noch keinen Kontakt, besonders solche, die nach 2019 geboren wurden. Daneben kursierte auf der Südhalbkugel Influenza B recht stark unter Kindern, dieser Erreger war in den letzten Jahren ebenfalls deutlich seltener. Auch wegen der neuen Verteilung der Grippetypen ist die Impfung sinnvoll, der Impfstoff enthält alle drei Erreger. Wie wirksam die diesjährige Impfung vor der Infektion schützt, ist bisher unklar. Genetische Untersuchungen in Australien zeigen, dass die Impfstoffe gut zu den Viren passen, allerdings ist die Grippeimpfung nur mäßig effektiv. In den meisten Jahren reduziert sie den Ausbruch einer Erkrankung nur um etwa ein Drittel bis die Hälfte. Immerhin erkranken Geimpfte im Mittel weniger schwer – und eine Grippe kann außerordentlich unangenehm werden.

Dass A/H1N1 die aktuelle Grippesaison dominiert, ist allerdings vor allem eine gute Nachricht: Dieser Grippesubtyp und Influenza B verursachen meist weniger schwere Erkrankungen als A/H3N2. Laut Daten ist auch die Grippeimpfung gegen A/H1N1 effektiver. In einer aktuellen Studie reduzierte die Impfung Krankenhausaufenthalte bei A/H3N2 um weniger als ein Drittel, bei A/H1N1 dagegen um etwa die Hälfte. Insgesamt zieht deswegen die Australische Gesundheitsbehörde eine positive Bilanz der Saison 2023: Die Grippewelle habe zwar zu sehr vielen Ansteckungen geführt, dennoch seien insgesamt weniger Menschen schwer erkrankt. Neben den weniger gefährlichen Grippetypen sei dafür wohl auch eine deutlich bessere Wirkung der Impfung verantwortlich.

Es ist zumindest wahrscheinlich, dass die Grippewelle in Deutschland ungefähr dem Verlauf auf der Südhalbkugel folgt. Das würde bedeuten, dass sich sehr viele Menschen anstecken, insbesondere Kinder – laut aktuellen Daten des RKI sind derzeit tatsächlich überwiegend junge Menschen betroffen. Bisher gibt es jedoch keine Hinweise darauf, dass häufiger schwere Erkrankungen auftreten als in anderen Jahren, was auch überraschend wäre. Die Indizien deuten derzeit auf eine hohe, aber insgesamt nicht allzu schwere Grippewelle. Allerdings weist Kinderarzt Hubmann auf ein anderes Problem hin, das die Situation verschlechtern könnte: Es gebe Engpässe bei der Versorgung mit Medikamenten. Schon 2022 waren Fiebersäfte für Kinder kaum zu bekommen, dieses Jahr betreffe es unter anderem das Antibiotikum Penizillin, das effektivste Mittel gegen Streptokokken. Eine Grippeinfektion begünstigt eine Ansteckung mit diesen Bakterien – auch das spricht für die Impfung.

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