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Geoengineering: Riskanter Eingriff ins Wetter

Angesichts der fortschreitenden globalen Erwärmung gerät eine umstrittene Strategie wieder verstärkt in den Fokus: In die Stratosphäre eingebrachte Partikel sollen das einfallende Sonnenlicht zurückwerfen und so die Erde künstlich kühlen. Doch welche weiteren Folgen hätte das Vorgehen?
Sonnenaufgang über den Wolken
Dünner Schild: Die Atmosphäre mitsamt ihrer Wolken steht zwischen der Erdoberfläche und dem wärmenden Licht der Sonne. Zusätzliche Aerosole können sich auf das Rückstrahlungsvermögen auswirken.

An einem Nachmittag des 12. Februar 2023 fuhren zwei Männer mit einem Wohnmobil zu einem Feld außerhalb von Reno in Nevada. Auf einem tragbaren Grill entzündeten sie eine faustgroße Menge Schwefelpulver. Das gelbe Häufchen verbrannte zu farblosem Schwefeldioxid (SO2). Während beißender Geruch die Luft durchdrang, fingen die Männer das Gas auf und pumpten es in einen Ballon mit dem Durchmesser eines Sonnenschirms. Zusätzlich eingefülltes Helium ließ ihn abheben und mitsamt einer daran befestigten Kamera und einem GPS-Sensor den Himmel emporsteigen. Auf seinem mehrere Stunden dauernden Weg in Richtung Stratosphäre driftete das Gespann weit nach Südwesten ab und überquerte die Berge der Sierra Nevada, bevor die Hülle platzte und den gasförmigen Inhalt frei gab. Schließlich stürzte die Vorrichtung auf eine Kuhweide in der Nähe von Stockton in Kalifornien.

Der Ballon setzte nur wenige Gramm SO2 frei. Dennoch brach die Aktion mit einem Tabu. Dabei geht es um die Frage, ob die Menschheit chemische Substanzen in die Stratosphäre einbringen sollte, um die globale Erwärmung zu bremsen. Das SO2 bildet zusammen mit Wasserdampf Tröpfchen, die in der Luft schweben und wie winzige Spiegel das einfallende Sonnenlicht zurück ins All reflektieren. Luke Iseman und Andrew Song, die Gründer des Unternehmens Make Sunsets, hatten zuvor Gutschriften an Unternehmen und Privatpersonen verkauft: Zehn US-Dollar finanzierten die Freisetzung von einem Gramm SO2, das nach ihren Angaben ein Jahr lang die atmosphärische Erwärmung durch eine Tonne Kohlendioxid ausgleichen würde. Ursprünglich hatten die beiden den Start in Mexiko geplant, doch nachdem die mexikanische Regierung es ihnen untersagt hatte, wechselten sie in die USA.

Viele Menschen schrecken vor »Geoengineering« zurück. Der Gedanke hinter dem Solar Radiation Management (SRM), wie es auch genannt wird, scheint allzu verwegen: die Atmosphäre, die wir verändert haben, wieder in Ordnung zu bringen, indem wir sie zusätzlich manipulieren. Solch ein Akt faustischen Hochmuts muss doch sträflich missglücken! Allerdings zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die CO2-Emissionen wohl nicht schnell genug sinken werden, um die globale Erwärmung auf die international vereinbarten 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Deswegen erscheinen die Folgen von Geoengineering einigen Fachleuten weniger beängstigend als ein ungebremster Klimawandel. Einerseits gibt es daher immer konkretere Konzepte zur Kühlung des Planeten, während andererseits die Debatte darüber zunehmend erbittert geführt wird.

Solar Radiation Management ahmt ein natürlich auftretendes Phänomen nach, das im Nachklang großer Vulkanausbrüche zu beobachten ist. Bei der Eruption des Vulkans Pinatubo auf den Philippinen im Jahr 1991 wurden 20 Millionen Tonnen SO2 in Richtung Stratosphäre geschleudert. Dieser Schirm aus Aerosolen kühlte den Planeten während des darauf folgenden Jahres um etwa ein halbes Grad Celsius ab, bevor die Tröpfchen wieder zum Erdboden sanken.

Untersuchungen deuten darauf hin, dass in ausreichendem Umfang eingesetztes SRM – das Äquivalent eines Viertels des Pinatubo-Ausbruchs pro Jahr, was ein oder zwei Prozent des Sonnenlichts zurückhalten würde – die Erwärmung verlangsamen und den Planeten sogar etwas abkühlen könnte. Die Auswirkungen wären innerhalb weniger Monate spürbar, und das Ganze würde nur ein paar Milliarden US-Dollar pro Jahr kosten. Hingegen wird die Abkehr von fossilen Brennstoffen voraussichtlich Jahrzehnte dauern und das bis dahin ausgestoßene CO2 die Erwärmung weiter verstärken. Zwar ließen sich ebenfalls Geräte einsetzen, die mittels so genannter direkter Luftabscheidung Milliarden Tonnen CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen, aber solche Maschinen brauchen wiederum viel Energie, bis zu 25 Prozent des globalen Energiebedarfs.

Schwefeldioxid als Sonnenschirm | Schwefeldioxid (SO2) entsteht natürlicherweise etwa bei Vulkanausbrüchen oder Waldbränden. Es bildet zusammen mit Wasser und anderen Molekülen in der Atmosphäre kleine Partikel aus Schwefelsäure. In der hoch gelegenen Stratosphäre können die Teilchen bis zu drei Jahre verweilen. Dort reflektieren sie einfallende Sonnenstrahlung und verringern so die Erwärmung der Land- und Meeresoberflächen.

Aus politischer Sicht ist SRM reizvoll, weil es schnell Wirkung zeigen könnte. Es ist »das Einzige, was Volksvertreter tun können, um die Temperatur innerhalb ihrer Amtszeit spürbar zu beeinflussen«, kommentiert Ken Caldeira, ein emeritierter Atmosphärenforscher der Carnegie Institution for Science in Washington, D.C. Er ist leitender Wissenschaftler bei Breakthrough Energy, einer von Bill Gates gegründeten Organisation, die sich mit verschiedenen Strategien beschäftigt, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Allerdings betonen Caldeira und andere Fachleute, dass SRM nur mit äußerster Vorsicht angegangen werden sollte – wenn überhaupt. Es könnte sich merklich auf zahlreiche atmosphärische Phänomene auswirken: einen weißen Schleier vor den blauen Himmel legen, die schützende stratosphärische Ozonschicht schwächen und Wettermuster verschieben. Womöglich würden sich Monsune verändern, von denen die Ernten für Milliarden von Menschen abhängen. Und es hülfe nicht gegen andere CO2-bedingte Probleme wie die Ozeanversauerung, wegen der Korallen, Muscheln und andere Meerestiere weniger gut Schalen und Kalkskelette bilden.

Kritiker wenden außerdem ein, bereits ein hypothetischer Ausweg wie durch SRM könnte die Unterstützung für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen untergraben. Ähnlich wie ein verschreibungspflichtiges Medikament könnte SRM bei verantwortungsvollem Einsatz – zeitlich begrenzt und in geringen Dosen – Symptome lindern. Es würde ein voraussichtlich gefährlich heißes Jahrhundert abmildern und der Menschheit etwas mehr Zeit für den Übergang zu erneuerbaren Energien verschaffen. Aber es birgt auch die Gefahr des Missbrauchs. In höheren Dosen könnte es das Klima und die Wettermuster auf eine gefährliche Weise verzerren und möglicherweise zu Kriegen um Ressourcen führen.

»Alle mir bekannten Wissenschaftler, die daran arbeiten, wollen das eigentlich gar nicht tun«Alan Robock, Rutgers University in New Jersey

Aus all diesen Gründen haben mehr als 400 Fachleute einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie die Regierungen zu einem weltweiten Verbot von SRM-Experimenten auffordern. Andere forschen weiter, wenngleich zögerlich. »Alle mir bekannten Wissenschaftler, die daran arbeiten, wollen das eigentlich gar nicht tun«, berichtet der Klimatologe Alan Robock von der Rutgers University in New Jersey. Robock hat zuvor bereits öffentlich vor den Folgen eines nuklearen Winters nach einem Atomkrieg gewarnt. Er befasst sich mit Geoengineering aus einem Gefühl der Verantwortung heraus: »Wer in Zukunft der Versuchung erliegt, das zu tun, sollte über die Konsequenzen informiert sein.«

Fürsprecher der Experimente weisen darauf hin, dass eine ungebremste Erwärmung ebenso folgenreich wäre. In einem im Mai 2023 veröffentlichten Bericht gibt die Weltorganisation für Meteorologie eine 66-prozentige Wahrscheinlichkeit dafür an, dass bis 2027 die weltweite Jahresdurchschnittstemperatur 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau liegen wird. Diese Schwelle gilt als gefährliche Marke, ab der das Risiko für Umweltschäden stark steigt. Am 27. Februar 2023, also wenige Tage nach Isemans und Songs Demonstrationsversuch, veröffentlichten zahlreiche Klimawissenschaftler einen offenen Brief, in dem sie für die Unterstützung der SRM-Forschung plädierten. Am Tag darauf forderten die Vereinten Nationen internationale Richtlinien für solche Experimente. Und im Juni 2023 veröffentlichte die US-Regierung einen Bericht, in dem sie darlegte, wie ein SRM-Forschungsprogramm aussehen könnte.

Unbekannte Schäden in Kauf nehmen, um sicher kommende zu reduzieren?

Selbst durch ein Senken der Durchschnittstemperaturen würde SRM das Klima zwar nicht in einen Zustand wie vor der Industrialisierung zurückversetzen, sagt Geophysiker David Keith von der University of Chicago – doch es könnte die Schäden reduzieren. Keith untersucht seit zwei Jahrzehnten Methoden, mit denen sich das Klima manipulieren ließe.

Die Vorstellung, der Mensch könne die Atmosphäre zu seinem Vorteil verändern, hat eine lange Geschichte. 1962 startete das US-Militär ein Stormfury genanntes Projekt. Es war ein Versuch, Hurrikane zu schwächen, indem man mit Flugzeugen Partikel aus Silberjodid in die Wolken einbrachte. Von 1967 bis 1972 versuchte die US-Luftwaffe, in das Wetter über Vietnam und Laos einzugreifen. Im Rahmen der streng geheimen Operation Popeye versprühten täglich mehrere Flugzeuge Blei- und Silberjodidpulver in Monsunwolken. Ziel war es, die Regenfälle zu verstärken, dadurch ein Netz von Versorgungswegen schlammig werden zu lassen und so die Nachschublinien des Vietcongs zu unterbrechen.

Als sich die Erkenntnis durchsetzte, dass steigende CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre die Erdoberfläche erwärmen würden, kamen die ersten Vorschläge auf, dem Effekt durch ein erhöhtes Reflexionsvermögen entgegenzuwirken. In einem 1965 vorgelegten Bericht an Präsident Lyndon B. Johnson präsentierten Wissenschaftler die Verteilung reflektierender Partikel über die Ozeane als mögliche Option. 1974 schlug der russische Klimatologe Mikhail Budyko vor, das Sonnenlicht durch die Einbringung von SO2 in die Stratosphäre mittels Flugzeugen oder Raketen zurückzuwerfen. Diese Technologie, so schrieb er, »sollte unverzüglich entwickelt werden«.

In den darauf folgenden Jahrzehnten wuchs jedoch die Skepsis gegenüber solchen weltumspannenden Experimenten. Als Lowell Wood, ein anerkannter und mehrfach ausgezeichneter Geophysiker und Ingenieur am kalifornischen Lawrence Livermore National Laboratory, 1998 auf der Konferenz des Aspen Global Change Institute die kühlende Wirkung stratosphärischer Aerosole anpries, wurde das wenig wohlwollend aufgenommen. »Ken [Caldeira] und ich standen in den hinteren Reihen und schrien ihn fast an«, erinnert sich Keith. Ihrem damaligen Eindruck nach hätte er »völlig überschätzt, wie gut es funktionieren würde«. Ihre Kritik beruhte auf einer einfachen Logik: CO2 absorbiert die langwellige, von der Erde abgegebene Strahlung und erwärmt den Planeten gleichmäßig – das ganze Jahr über, Tag und Nacht sowie vom Äquator bis zu den Polen. Das Sonnenlicht hingegen heizt den Planeten hauptsächlich dort, wo es auftrifft, also eher in den niedrigeren Breitengraden, im Sommer und tagsüber. Entsprechend dachten Caldeira und Keith, eine Abschattung der Sonne würde die Temperaturen ungleichmäßig senken: »Am Äquator würde die Abkühlung viel stärker ausfallen.«

Kein Heilmittel für extreme Entwicklungen

Caldeira kehrte nach Livermore zurück, wo er ebenfalls arbeitete, und überzeugte den dort tätigen Klimawissenschaftler Govindasamy Bala, die Idee mit einem ausgeklügelten Computermodell zu testen. Um den Erwärmungseffekten des gegenüber vorindustriellen Zeiten aufs Doppelte erhöhten CO2-Anteils entgegenzuwirken, verringerte die Simulation das einfallende Sonnenlicht um 1,7 Prozent. »Das funktionierte viel besser, als wir erwartet hatten«, räumt Caldeira ein. Die im Jahr 2000 veröffentlichten Ergebnisse zeigten, dass SRM die Tropen zwar tatsächlich stärker abkühlen würde als die Pole und dass der Effekt im Sommer ausgeprägter wäre als im Winter. Doch insgesamt schienen die Auswirkungen viel gleichmäßiger zu sein, als Bala, Caldeira und Keith vorab gedacht hatten.

Forschungsgruppen, denen auch Robock angehörte, reproduzierten die Ergebnisse später mit verschiedenen Klimamodellen. Doch Erkenntnisse aus dem Jahr 2013 gaben ein Warnsignal: Mit zunehmender Konzentration stratosphärischer Aerosole entwickelt sich die Abkühlung in den Simulationen ungleichmäßiger und verzerrt das Klima stärker. Würde man auf dem Weg die Erwärmung global ausgleichen, die durch eine Vervierfachung des CO2-Gehalts entstünde, wären die Tropen um 0,3 Grad Celsius kühler als in der vorindustriellen Zeit und die Polargebiete immer noch um 0,8 Grad Celsius wärmer. Permafrost und Meereis wären also möglicherweise weiterhin stark vom Klimawandel betroffen.

Bala entdeckte ein weiteres beunruhigendes Detail: Aerosole in der Stratosphäre verringern möglicherweise die Regen- und Schneefälle. Eigentlich nimmt mit ansteigender Temperatur die Verdunstung von Wasser zu, was zu kräftigeren Niederschlägen führt. Doch eine Verdunkelung der Sonne könnte Letztere stärker reduzieren, als durch den reinen Effekt auf die Temperatur zu erwarten wäre. Das liegt daran, dass Wasserdampf bei abnehmendem Licht und gleich bleibendem CO2-Gehalt offenbar weniger zur Wolkenbildung neigt. Ein Dutzend Modellrechnungen sagten im Szenario der CO2-Vervierfachung voraus, dass sich bei einem Ausgleich der Erwärmung durch SRM die jährlichen Niederschläge in einigen Teilen der Tropen um fünf bis sieben Prozent verringern würden.

Diese und andere Beobachtungen veranlassten David Keith und seine Kollegen dazu, einen vorsichtigeren Ansatz für SRM vorzuschlagen. Demnach sollten Aerosolinjektionen in die Stratosphäre nur eingesetzt werden, um die Auswirkungen des Klimawandels so lange zu dämpfen, bis die Länder ihre laufenden Treibhausgasemissionen hinreichend gesenkt und bis dahin emittiertes CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen hätten.

Gedämpfte Extreme

Keith skizzierte dieses Szenario in einer Veröffentlichung von 2018, die er gemeinsam mit dem Geoengineering-Forscher Douglas MacMartin von der Cornell University in Ithaca und der Klimawissenschaftlerin Katharine Ricke von der Scripps Institution of Oceanography in San Diego verfasst hat. In der hier beschrieben Welt würden die Treibhausgasemissionen so gesenkt und Techniken zur CO2-Abscheidung aus der Atmosphäre so eingesetzt werden, dass der Spitzenwert von CO2 im Jahr 2070 bei etwas mehr als dem Doppelten der vorindustriellen Konzentration liegt, bevor er langsam wieder abnimmt. Für sich genommen verursachte das eine durchaus dramatische Erwärmung von etwa drei Grad Celsius. Um den Wert auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, begännen von etwa 2030 an Aerosolinjektionen in die Stratosphäre und nähmen allmählich zu. Sie würden nach einem Höhepunkt im Jahr 2070 wieder langsam reduziert und etwa zwei Jahrhunderte später eingestellt werden, wenn die Menge von CO2 in der Atmosphäre ausreichend gesunken ist. Der Klimaforscher Peter Irvine vom University College London hat dieses Szenario mit 13 Modellen eingehender studiert und die Resultate 2019 in der Fachzeitschrift »Nature Climate Change« veröffentlicht. Demzufolge verringerten die Aerosole während des Zeitraums der höchsten CO2-Konzentration die Erwärmung und schwächten auf praktisch der gesamten eisfreien Landfläche die Niederschlagsextreme (von Dürren bis zu Überflutungen) ab.

Mit zusätzlichen Methoden des Solar Radiation Management könnten sich die Folgen der globalen Kühlung auf regionaler Ebene modulieren lassen. Beispielsweise würde im Rahmen der so genannten Aufhellung von Meereswolken (Marine Cloud Brightening, kurz MCB) Salzwasser aus dem Ozean rund einen Kilometer hoch in die Luft gesprüht werden. Das soll die Bildung von Wolkentröpfchen anregen, wodurch tiefere Wolkenschichten mehr Sonnenlicht ins All reflektieren würden. Bei der Ausdünnung von Zirruswolken (Cirrus Cloud Thinning, kurz CCT) wiederum würden feine Partikel von Silberjodid in Wolken in Höhen von vielen Kilometern gebracht, wodurch die dort befindlichen Eiskristalle wachsen und schneller vom Himmel fallen würden. Die verbleibenden Zirruswolken wären dünner und würden mehr langwellige Strahlung von der Erde in den Weltraum entweichen lassen. Beide Methoden hätten lokalere Auswirkungen als die Injektion von SO2. Deswegen wäre es denkbar, sie gezielt einzusetzen, um die Auswirkungen stratosphärischer Aerosole auszugleichen, sagt Sarah Doherty, Atmosphärenforscherin an der University of Washington in Seattle. Sie untersucht insbesondere die Aufhellung von Meereswolken und sagt: »Es könnte sich herausstellen, dass eine Mixtur von Methoden die Vorteile maximieren und die Risiken minimieren kann.«

Kühlende Eingriffe in den Himmel | Das Einbringen von Aerosolen in die Stratosphäre wirkt sich global aus. Die Effekte anderer diskutierter Methoden des Geoengineering wären stärker regional begrenzt. Dazu gehören die Aufhellung von Meereswolken oder die Ausdünnung von Zirruswolken.

Das Einbringen von Aerosolen in die Stratosphäre ist der am besten untersuchte SRM-Ansatz und auch derjenige, der einer Anwendung am nächsten kommt. Dennoch wären enorme Herausforderungen zu bewältigen. Die dafür zu erreichenden mindestens 20 Kilometer Höhe entsprechen dem Doppelten der üblichen Reiseflughöhe von Verkehrsmaschinen. Die Verhältnisse dort ähneln weder denen auf dem Erdboden noch denen im Weltraum. Hier beträgt der Luftdruck nur fünf Prozent dessen, was wir gewohnt sind – die Flüssigkeit in Mund und Lunge eines Menschen würde sofort verdampfen. Die Auftriebskräfte an den Tragflächen eines Flugzeugs sind so gering, dass es nur eine Hand voll geeigneter Forschungsflugzeuge gibt. Dazu gehört die ER-2 der NASA, eine Weiterentwicklung des Spionageflugzeugs Lockheed U-2. In dem winzigen Rumpf zwischen übergroßen Tragflächen hat nur ein einziger Mensch Platz, der wie ein Astronaut einen Druckanzug tragen muss. Das Flugzeug kann weniger als zwei Tonnen Fracht transportieren.

Eine Flotte im Kampf gegen den Klimawandel

Die ER-2 hat in den letzten 50 Jahren mehr als 4500 Forschungsflüge absolviert. Die Einsätze haben Untersuchungen von Aerosolen und Gasen in der Stratosphäre ermöglicht, unser Verständnis der Zerstörung der Ozonschicht verbessert und sogar Daten aus den Rauchfahnen von Vulkaneruptionen geliefert. Sie haben also zu den wissenschaftlichen Grundlagen des Geoengineering beigetragen. Doch mit solchen Maschinen lassen sich niemals die erforderlichen Mengen SO2 für dessen Umsetzung transportieren.

Flugzeuge, die dazu in der Lage sind, könnten allerdings durchaus auf Basis bereits vorhandener Technologien entwickelt werden, sagt Wake Smith, ein ehemaliger Luftfahrtmanager, der heute an der Yale University lehrt. Seit 2017 hat Smith das Konzept eines sechsmotorigen Flugzeugs verfeinert, das grob auf der Boeing B-47 Stratojet basiert. Dieser Bomber der US-Luftwaffe wurde von den 1940er Jahren an entwickelt, um tief in sowjetisches Gebiet vordringen zu können. Smith nennt seine Variante Stratospheric Aerosol Injection Lofter. Das Flugzeug würde bei jedem Einsatz mehr als 15 Tonnen Aerosol in eine Höhe von 20 Kilometern befördern. Je nachdem, wie viel SRM gewünscht wird, rechnet Smith vor, dass bis zum Jahr 2100 täglich 90 bis 900 solcher Flugzeuge im Einsatz sein könnten. Die Konstruktion eines Prototyps dürfte zehn Jahre dauern, der Aufbau einer ganzen Flotte zwei Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Werden die Injektionen falsch angegangen, könnten sie das Leben von Milliarden Menschen durcheinanderbringen

Smith schätzt, dass so ein Programm zusätzlich zum Bau der Flugzeuge für jedes Grad Celsius Kühlung rund 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr kosten könnte. Das ist ein geringer Betrag im Vergleich zu den Hunderten von Milliarden Dollar, die jährlich nötig wären, um Milliarden von Tonnen CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Im Gegensatz dazu ist bei SRM jedoch die Gefahr ungleich größer, unbeabsichtigt fürchterliche Folgen heraufzubeschwören. Ganz gleich, welches Land damit beginnt – Injektionen in die Stratosphäre würden sich global auswirken. Werden sie falsch angegangen, könnten sie das Wettergeschehen und damit das Leben von Milliarden Menschen durcheinanderbringen.

Verschiebung einer atmosphärischen Lebensader

Die Nahrungsmittelversorgung eines Gutteils der globalen Bevölkerung hängt von einer weltumspannenden Wanderung von Luftmassen ab, die intensive Niederschläge mit sich bringt. Diese so genannte innertropische Konvergenzzone verläuft nahe dem Äquator und verschiebt sich im Lauf der Jahreszeiten bis zu 2500 Kilometer nach Norden oder Süden, immer in Richtung der wärmeren Hemisphäre. Die Bewegung ruft die Monsune hervor, die jeden Sommer über Afrika, Indien, Südostasien und weitere Regionen hinwegziehen und dabei jährlich mehr als 45 000 Kubikkilometer Wasser niederdonnern lassen. Von diesem Rhythmus hängt allein in Südasien die Ernährung von 1,5 Milliarden Menschen ab.

Innertropische Konvergenzzone | Durch aufeinandertreffende Passatwinde entsteht eine Tiefdruckrinne. Sie wirkt sich entscheidend auf Niederschläge und Luftströmungen rund um den Planeten aus. Die Befürchtung im Rahmen der Diskussion um Geoengineering: Manche Maßnahmen könnten diese Wettermuster verändern.

Nach seinen ersten Modellierungen von SRM wechselte Bala 2008 an das Indian Institute of Science in Bengaluru und begann zu untersuchen, wie menschliche Aktivitäten den Monsun in Indien beeinflussen könnten. Seine Simulationen ergaben: Aerosole, die am Äquator ausgebracht werden, würden sich über die nördliche und südliche Hemisphäre ausbreiten, ohne die Monsunmuster zu beeinflussen. Einige haben jedoch eine andere Strategie vorgeschlagen, bei der Aerosole in den hohen nördlichen Breiten in die Atmosphäre injiziert würden, um die rasche Erwärmung der Arktis zu verlangsamen, ohne die Tropen zu unterkühlen. Der gut gemeinte Ansatz hätte »enorme Auswirkungen«, sagt Bala. Seine 2022 veröffentlichten Berechnungen legen nahe, dass sich das Regenband um etwa 150 Kilometer nach Süden verschieben könnte, wenn man mit SRM auf diese Weise den Planeten um 1,5 Grad Celsius abkühlen will. Das würde die sommerlichen Regenfälle in Indien um bis zu 29 Prozent reduzieren und die Ernten gefährden.

Laut Balas Studie wäre die Wirkung von Aerosolen in der Stratosphäre nicht lokal begrenzt, sondern hätte stets weit reichende Auswirkungen. Zusätzliche Untersuchungen unterstützen die Erkenntnis. 2021 hat Katharine Ricke simuliert, ob sich mit Aerosolinjektionen über dem Indischen Ozean die Niederschläge erhöhen und eine lang anhaltende Dürre in der Sahelzone Nordafrikas beenden ließen. Doch das könnte die Dürre lediglich auf eine andere Gruppe von Ländern in Ostafrika verlagern. Eine Modellierung aus dem Jahr 2022 legt nahe, dass stratosphärische Aerosole zwar für weniger Malaria in den Hochlandgebieten Ostafrikas sorgen könnten, allerdings um den Preis eines erhöhten Auftretens der Seuche andernorts in Afrika und im südasiatischen Tiefland. In einigen Regionen würde es zu kalt für den Parasiten werden, während sich andere, derzeit zu heiße Gebiete weit genug abkühlen würden. Christopher Trisos ist Ökologe an der Universität Kapstadt und Autor der Malaria-Studie. Er mahnt: Solche Verschiebungen könnten »Ländern schaden, die oft nicht mitreden, wenn wir über Geoengineering sprechen«.

»Ich halte es für unvermeidlich, dass es jemand versuchen wird«Katharina Ricke, Scripps Institution of Oceanography in San Diego

Aus all diesen Gründen befände sich die SRM-Forschung in einer »sehr gefährlichen Lage«, urteilt Ricke. Die meisten Studien gehen davon aus, dass Geoengineering international koordiniert durchgeführt wird, aber die Klimawissenschaftlerin betont, dass auch Szenarien untersucht werden sollten, in denen manche Akteure einen Alleingang wagen. Angesichts der relativ geringen Kosten von SRM könnten sich das viele Länder leisten: »Ich halte es für unvermeidlich, dass es jemand versuchen wird.«

Ein Albtraumszenario wäre eines, in dem einzelne Länder als Reaktion auf Hitzewellen, Brände oder Überschwemmungen unilateral Aerosole ausbringen. So könnte Russland in den hohen Breitengraden Partikel ausstoßen, um die arktischen Regionen zu kühlen. Das würde den Monsungürtel nach Süden verschieben und Indien, Thailand und Vietnam wichtige Regenfälle vorenthalten sowie möglicherweise durch deren Verlagerung Überschwemmungen in Brasilien auslösen. Wenn diese Länder daraufhin mit eigenen SRM-Maßnahmen reagieren, könnte es zu einer gefährlichen Eskalation in der Stratosphäre kommen.

Befürworter von SRM verweisen auf Untersuchungen, denen zufolge es die Klimaextreme kostengünstig reduzieren könnte. Kritiker führen Studien zu den möglichen Schäden an. Aber wer auch immer versucht, die Auswirkungen vorherzusagen, muss zugeben, dass die meisten Angaben mit großen Unsicherheiten behaftet sind. Das beginnt bei den verwendeten Simulationen. Selbst wenn die Ergebnisse bei mehr als einem Dutzend Klimamodellen gut übereinstimmen, muss das nicht zwangsläufig daran liegen, dass verschiedene Ansätze dieselben Antworten brächten. Vielmehr, so David Keith, »benutzen zu viele Leute ähnliche Klimamodelle«. Wenn die Grundannahmen hinter einer Berechnung falsch sind, dann könnten alle Simulationen gleichermaßen danebenliegen.

Fragwürdige Simulationen

Modelle, die zur Vorhersage der Auswirkungen von SRM verwendet werden, enthalten Dutzende von Variablen, die für physikalische Parameter stehen, von der chemischen Reaktivität der Aerosoltröpfchen bis hin zu ihrer Größe. Winzige Veränderungen können weit reichende Folgen haben. Beispielsweise sollte ein Tröpfchen mit einem Durchmesser von ein bis zwei Mikrometern (das ist kleiner als ein rotes Blutkörperchen) das Sonnenlicht am besten reflektieren, da viele von dessen Wellenlängen dieser Größenordnung entsprechen. Dickere Tropfen sind nicht nur weniger effektiv, sie könnten sogar eine Erwärmung bewirken, indem sie langwellige Strahlung von der Erdoberfläche absorbieren, die normalerweise ins All entweichen würde. Eine weitere entscheidende Variable ist die Geschwindigkeit, mit der die Partikel Ozon zerstörende chemische Reaktionen auslösen. Die Vorhersage der Auswirkungen von Injektionen in die Stratosphäre basiert auf den besten Schätzungen für solche Variablen. Bloß verwenden die meisten Studien ähnliche Näherungswerte. »Die große Frage ist: Liegen wir falsch?«, so Keith.

Um diese Ungewissheit zu beseitigen, empfiehlt der Geophysiker »Ensembles« – Hunderte von verschiedenen Versionen desselben Modells, in die unterschiedliche Kombinationen von Zahlen eingesetzt werden. Bisher gibt es nur wenige solcher Erhebungen zu den potenziellen Auswirkungen von SRM. David Keith hofft, dass er an der University of Chicago mehr Ensemble-Studien durchführen kann. Die Bandbreite an Ergebnissen könnte wiederum in Modelle einfließen, die vorhersagen, wie sich SRM auf Ernteerträge, Waldbrände, Stürme oder die Verbreitung von Krankheiten auswirken könnte.

Doch ganz gleich, wie groß in den Simulationen die Ensembles werden und wie viele davon die Wissenschaftler durchführen – man weiß über tatsächlichen Folgen von Geoengineering wenig, solange es nicht in der realen Welt getestet wurde. Dazu bräuchte es allerdings einen viel größeren Einsatz als den von jenen zwei Männern mit einem Ballon außerhalb von Reno. Im Jahr 2011 veröffentlichten Keith und Caldeira eine Analyse, der zufolge ein aussagekräftiger Versuch mit stratosphärischer Injektion ein Jahrzehnt dauern würde. Jahr für Jahr wären dafür mehrere hunderttausend Tonnen SO2 nötig. Das genügte theoretisch zum Ausgleich von zehn Prozent der Erwärmung durch eine Verdopplung des vorindustriellen CO2-Niveaus. Mit anderen Worten wäre selbst das minimal durchführbare Experiment, so Caldeira, »nicht von einem Einsatz zu unterscheiden«.

Immerhin könnten kleinere Feldversuche die Unsicherheiten bei den Modellen verringern. Die Forscher dürften beispielsweise ein besseres Verständnis der Injektionsvorgangs erhalten, indem sie die entsprechenden Anlagen bauen und SO2 im Kilogramm- oder Tonnenmaßstab in die Stratosphäre einleiten. Das gäbe Aufschluss darüber, welche Größe die ausgestoßenen Tröpfchen in der Luft annehmen würden, welche chemischen Reaktionen ablaufen und welche Auswirkungen sie auf das Ozon haben. Es gibt bereits seit den 1960er Jahren Studien, bei denen »Tracer« wie Zinksulfidpulver oder Schwefelhexafluoridgas als Indikatoren in die Stratosphäre eingebracht werden, um Luftströmungen zu untersuchen.

Großer Widerstand selbst gegen kleine Feldversuche

Wenn es jedoch um SRM geht, werden die Hürden selbst für kleine Experimente extrem hoch. Ein solches planten Keith und der deutsche Atmosphärenchemiker Frank Keutsch, der an der Harvard University lehrt, Anfang 2021. Das Stratospheric Controlled Perturbation Experiment (SCoPEx) hatte zum Ziel, eine Freisetzung durch ein Flugzeug in der Stratosphäre nachzuahmen. Ein Ballon mit Propellerantrieb sollte 20 Kilometer aufsteigen, ein halbes Kilogramm Sulfat abgeben und dann durch die Aerosolspur fliegen, um zu beobachten, wie sie sich entwickelt. Das Experiment würde nur 0,3 Prozent der Menge freisetzen, die bei einem kommerziellen Transatlantikflug ausgestoßen wird. Der erste Start, der für Juni 2021 in Nordschweden geplant war, war lediglich als Test für die Ausrüstung vorgesehen, ohne Gas freizusetzen. Dazu ist es aber nie gekommen.

Im Februar 2021 protestierte der Samenrat, der ein indigenes Volk in der Region vertritt, da er nicht über den Plan in ihrem Luftraum informiert worden war. Zusammen mit Greenpeace Schweden und anderen Umweltgruppen überzeugte er die schwedische Regierung, das Vorhaben abzusagen. Douglas MacMartin meint, dass es bei den Protesten nie um die Auswirkungen des Tests an sich ging: »Die gesamte Diskussion darüber, ob man diesen Weg grundsätzlich einschlagen will, wurde dem Experiment aufgebürdet.«

»Das wertvollste Experiment, das man jetzt machen könnte, ist eines, das fürchterliche Folgen demonstriert«Ken Caldeira, leitender Wissenschaftler bei Breakthrough Energy

Viele SRM-Gegner würden solche Unterfangen am liebsten ganz verbieten. Doch einige Wissenschaftler setzen die Forschung fort, weil sie gerade das für das Verantwortungsvollste halten. »Die Leute, die sich am meisten für Versuche einsetzen sollten, sind diejenigen, die glauben, dass etwas Schlimmes passieren würde«, sagt Caldeira. »Das wertvollste Experiment, das man jetzt machen könnte, ist eines, das fürchterliche Folgen demonstriert.« Wenn SRM untersucht und vielleicht sogar eingeführt werden soll, ist es besser, früher und schrittweise damit zu beginnen, um die Konsequenzen gründlich zu verstehen. Ironischerweise könnte Geoengineering in der Öffentlichkeit mehr Unterstützung finden, wenn sich alles so lange verzögert, bis die Auswirkungen des Klimawandels extrem werden. Doch dann wäre es umso dringender, Maßnahmen zu ergreifen. »Zwischen dem, was politisch, und dem, was ökologisch riskant ist, gibt es eine echte Diskrepanz«, urteilt Caldeira.

Selbst kleine Experimente benötigten eine Legitimierung, indem sie von Regierungen finanziert und reguliert werden, betont Kelly Wanser. Sie ist Geschäftsführerin von Silver Lining, einer gemeinnützigen Organisation, die bei der US-amerikanischen National Science Foundation und anderen staatlichen Stellen dafür eintritt, Mittel für die SRM-Forschung bereitzustellen und Regeln für Experimente aufzustellen. Ricke sagt, für die Wissenschaft wäre diese Art der Regulierung begrüßenswert. Schließlich gibt es solche Richtlinien schon seit Langem für andere sensible Bereiche wie medizinische Studien am Menschen, und dort haben sie die Qualität der Forschung verbessert. Das Ziel wäre ein internationales Gremium ähnlich dem Weltklimarat IPCC, das notwendige Prioritäten aufzeigt und dabei sowohl die Interessen der reichen als auch der armen Länder berücksichtigt. Ohne so eine Struktur käme Ricke zufolge die seriöse Wissenschaft nicht voran, und die Bahn wäre frei für Alleingänge.

Zwei Monate nach dem Start des Ballons bei Reno, am 10. April 2023, besuchten Iseman und Song die Berkeley Marina in Kalifornien, um drei weitere Stratosphärenballons zu starten, die durch von Kunden gekaufte Kühlgutschriften im Wert von 2840 Dollar finanziert wurden. »Eine 747 stößt diese Menge in ein paar Minuten aus«, sagte Iseman, als er den ersten Ballon hochhielt, während im Hintergrund die Bucht von San Francisco schimmerte und ein Kamerateam filmte. Dann ließ er ihn los. Einige Tage später nahmen die beiden Männer an einer Veranstaltung zum Tag der Erde in San Francisco teil, bei der sie Kindern halfen, ihre eigenen kleinen Ballons zu starten, die mit Kreidestaub beschichtet waren, der dadurch in die Luft verteilt werden sollte. »Unser Ziel«, so Iseman, »ist es, 1000 neue Menschen für Geoengineering zu begeistern.«

Saurer Regen durch SO2?

Schwefeldioxid in der Atmosphäre – Moment mal, war da nicht was? Zu Beginn der 1980er Jahre entbrannte eine breite gesellschaftliche Debatte um »Waldsterben« und sauren Regen: Niederschläge, deren pH-Wert durch Luftverschmutzung und insbesondere durch Schwefeloxide sank, galten als eine der Hauptursachen für zunehmende Waldschäden. Schuld waren Abgase vor allem aus Kohlekraftwerken. Daraufhin sorgten strengere Vorgaben dafür, dass mehr Anlagen zur Rauchgasentschwefelung installiert und Verfahren zur Entfernung von Schwefel aus Kraftstoffen etabliert wurden. Seit 1990 sind in Deutschland die Emissionen von Schwefeldioxid um mehr als 90 Prozent zurückgegangen.

Und nun soll derselbe Stoff gezielt und in riesigen Mengen in die Atmosphäre gebracht werden, um den Klimawandel zu bekämpfen? Da liegt die Frage nahe, ob man damit nicht den Teufel durch Beelzebub austreiben und sich wieder Umweltschäden durch sauren Regen einhandeln würde. Die Frage wurde im Rahmen mehrerer Studien näher untersucht.

In einem viel beachteten Essay des niederländischen Atmosphärenchemikers und Nobelpreisträgers Paul Crutzen (1933–2021) betonte dieser 2006, die Politik stehe vor einem Dilemma. Einerseits hätte der anthropogene Ausstoß von SO2 einen kühlenden Effekt und wirke so der menschengemachten CO2-bedingten Erderwärmung entgegen. Andererseits gelte es, die mit der Luftverschmutzung einhergehenden gesundheitlichen und ökologischen Folgen zu reduzieren.

Crutzen wies auf einen Ausweg hin: Es macht einen entscheidenden Unterschied, in welcher Höhe das Sulfat platziert wird. Ein Gutteil des SO2 aus Industrieschloten und Auspuffen landet in der tief gelegenen Troposphäre. »Der große Vorteil davon, reflektierende Partikel in der Stratosphäre auszubringen, ist deren lange Verweilzeit von ein bis zwei Jahren dort, verglichen mit einer Woche in der Troposphäre«, schrieb Crutzen. »Deswegen wäre erheblich weniger Schwefel in der Stratosphäre nötig, nur wenige Prozent, um eine vergleichbare Kühlung zu erhalten wie mit troposphärischen Sulfat-Aerosolen.«

Dennoch landet auch das stratosphärische SO2 irgendwann auf dem Erdboden. Wo würde das geschehen, in welchen Mengen und mit welchen Auswirkungen? Bereits 2009 hat das Ben Kravitz, damals Student im Team von Alan Robock an der Rutgers University und heute Professor an der Indiana University in Bloomington, mit Hilfe von Simulationen untersucht. Eine jährliche Injektion von fünf Millionen Tonnen SO2 in die tropische Stratosphäre – das entspricht einer Pinatubo-Eruption alle vier Jahre – beziehungsweise von drei Millionen Tonnen in der Arktis hätte demzufolge keine negativen Folgen. In den industrialisierten Regionen wäre die Schwefelmenge deutlich geringer als das, was dort heute ohnehin schon ankommt. Nahezu alle Ökosysteme vom Land bis zum Ozean wären erst bei mindestens zehnmal mehr SO2 nennenswert beeinträchtigt. Die Ausnahme bilden Binnengewässer, bei denen nur diejenigen potenziell gefährdet wären, die besonders schlecht gegen Säureeintrag gepuffert sind.

Eine jüngere Veröffentlichung von Atmosphärenforscher Daniele Visioni von der Cornell University in Ithaca betrachtet eine noch dramatischere Variante. Visioni hat 2020 ein extremes Szenario modelliert, bei dem die Temperaturen durch Schwefelaerosole konstant gehalten werden, während die Treibhausgasemissionen weiter steigen. Hier blieben die SO2-Injektionen also nicht Jahr für Jahr gleich, sondern stiegen kontinuierlich. Zusätzlich griff Visioni auf eine Datenbank mit pH-Werten der Böden zurück und betrachtete die Folgen ihrer Versauerung. Dabei werden Aluminiumionen ausgewaschen, die Wurzeln und Mikroorganismen schädigen. Zwar veränderte sich selbst bei so einer dramatischen globalen Entwicklung, die ohne Geoengineering zu einer Erwärmung von fünf Grad Celsius führte, die oberflächliche Sulfatmenge weltweit gesehen kaum – die Injektionen nähmen zu, aber währenddessen sänken die industriellen Emissionen. Allerdings wäre die Verteilung eine andere. Vor allem in hohen Breitengraden wären manche Böden von Aluminiumfreisetzungen bedroht. Natürliche Stoffkreisläufe könnten also durchaus auf vielfältige Weise betroffen sein, schließt Visioni: »Um zu beurteilen, ob stratosphärische Sulfatinjektionen Teil einer Strategie sein könnten, dem Klimawandel zu begegnen, braucht es die Zusammenarbeit zahlreicher Fachgebiete. Sonst läuft man Gefahr, bei der Auswertung entscheidende Aspekte zu übersehen.«

Mike Zeitz ist Redaktionsleiter Physical Sciences bei Spektrum der Wissenschaft.

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